„Ampel“-Häuschen mit hässlichen gelben Flecken

„Rot-gelb-grüne Koalition“ in Sicht: Die Parteien lassen entscheidende Fragen offen
„Erneuerung“, „Aufbruch“, „Fortschritt“, „Veränderung“, „innovatives Bündnis“, „neue politische Kreativität“, so lauten die Stichworte des 13-seitigen Sondierungspapieres auf das sich die Vertreter*innen von SPD, Grünen und FDP geeinigt haben. Es dient als Grundlage für die nun beginnenden Koalitionsverhandlungen. An vielen Stellen liest es sich wie ein „Buch der edlen Vorhaben“ – wenig Konkretes, dafür viel Lyrik. Baerbock, Habeck, Lindner und Scholz schwärmten bei der Vorstellung euphorisch von einer „Zäsur in der politischen Kultur Deutschlands“ und einer „sozial-ökologisch-liberalen Fortschrittskoalition“.
Ihr Vorhaben, dieses Jahrzehnt zu einem „Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen“ und der „Modernisierung“ zu machen, klingt ambitioniert. Es wird jedoch nicht deutlich, wie die sozial gerechte, digitale und klimaneutrale Transformation der Gesellschaft finanziert werden soll. Der DGB und die IG Metall haben die aus ihrer Sicht dafür nötige Summe von 500 Milliarden Euro bis 2030 schon mal genannt. Das sind rund 50 zusätzliche Milliarden jährlich. Ob dafür der „fiskalische Spielraum für das, was notwendig ist“, reicht, ist mehr als fraglich. Zumal die Grünen weitere Milliarden zur Bewältigung des Klimawandels einfordern.
Der Vorsitzende der „Steuersenkungspartei für Wohlhabende“ hat sein Klientel – Ärzte, Rechtsanwälte, Unternehmensberater etc. – verteidigt. So wird es keine Vermögensteuer geben und der Spitzensteuersatz für Superreiche wird ebenfalls nicht angehoben. Es müsse deshalb geklärt werden, „wie deutlich mehr Zukunftsinvestitionen ohne Steuererhöhungen und unter Einhaltung der Schuldenbremse gelingen sollen“, sagte DIW-Präsident Marcel Fratzscher. Aufhorchen lässt die Ankündigung der FDP, „bisherige öffentliche Ausgaben gründlich auf ihre aktuelle Berechtigung“ überprüfen zu wollen. Eine Reduzierung des Militäretats ist damit wohl nicht gemeint – im Gegenteil:So soll die Ausrüstung „unserer Soldatinnen und Soldaten“ verbessert werden, was für eine weitere Erhöhung der Rüstungsausgaben spricht. Wohl eher denkt die Klientelpartei an Kürzungen bei den Sozialausgaben.
Fakt ist: Rot-Grün und FDP haben sich bei Finanzen und Arbeit auf einen Deal geeinigt: Erhöhung des Mindestlohns, dafür keine Reichensteuer. Im Sondierungspapier heißt es: „Wir werden den gesetzlichen Mindestlohn im ersten Jahr in einer einmaligen Anpassung auf zwölf Euro pro Stunde erhöhen. Im Anschluss daran wird die Mindestlohnkommission über die etwaigen weiteren Erhöhungsschritte befinden.“ BDA-Chef Rainer Dulger jaulte sofort auf: „Das ist ein schwerer Eingriff in die Tarifautonomie“ Für die Unternehmen wäre ein Mindestlohn von 12 Euro „brandgefährlich“. Das würde in über 190 Tarifverträge eingreifen und über 570 tariflich ausgehandelte Lohngruppen überflüssig machen. Dulger’s Sorge: „Eine derartige Mindestlohngrenze erzeugt eine enorme Lohnspirale nach oben.“
Dass der Mindestlohn steigen soll, ist eine gute Nachricht. Das kann tatsächlich das Leben vieler Menschen verbessern. Wenn die künftige Ampel die skandalöse, weit verbreitete Praxis, den Mindestlohn zu unterlaufen, gezielter als bisher bekämpfen würde, wäre es noch besser. Die FDP hat dafür bei Mini- und Midijobs „Flexibilisierungen“ heraus gehandelt. Die Minijobgrenze soll mit der Anhebung des Mindestlohns bei 520 Euro liegen. Die Midijob-Grenze soll auf 1.600 Euro erhöht werden. Die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse bleiben unter der Ampel-Koalition unangetastet, das bedeutet, mit dieser Vorfestlegung sind Reformvorschläge, wie die Forderung nach ihrer Abschaffung, vom Tisch.
Das Sondierungspäckchen enthält viele schöne Worte, ohne klar zu formulieren, was sich dahinter verbirgt. Beispiel: Statt „Hartz IV“ soll ein „Bürgergeld“ gezahlt werden. Es stellt sich die Frage: Geht es hier um eine Verbesserung für die Betroffenen oder nur um einen schöngefärbten neuen Namen? Im Sondierungspapier heißt es: „Das Bürgergeld soll die Würde des und der Einzelnen achten, zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen sowie digital und unkompliziert zugänglich sein. Es soll Hilfen zur Rückkehr in den Arbeitsmarkt in den Mittelpunkt stellen. Während der Corona-Krise galten großzügige Regelungen zu Schonvermögen und zur Überprüfung der Wohnungsgröße. Wir prüfen, welche dieser Regeln wir fortsetzen wollen“. Es bleibt also abzuwarten, ob es sich nur um eine Umetikettierung des bestehenden Begriffs Hartz IV mit einigen Modifikationen handelt, oder ob in den Koalitionsverhandlungen tatsächlich konkrete Veränderungen zu Gunsten der Betroffenen wie beispielsweise die Erhöhung des Regelsatzes festgeschrieben werden.
Zur Alterssicherung und gesetzlichen Rente heißt es in dem Papier: „Wir werden … die gesetzliche Rente stärken und das Mindestrentenniveau von 48 Prozent sichern. Es wird keine Rentenkürzungen und keine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters geben.“ Damit wird womöglich die Forderung nach einer Erhöhung des Rentenniveaus wie von der IG Metall in ihrem Rentenkonzept gefordert, abgeräumt. Dafür setzte die gelbe Pünktchen-Partei den Einstieg in eine teilweise Kapitaldeckung der umlagefinanzierten Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) durch. In einem ersten Schritt sollen aus Steuermitteln 10 Milliarden Euro finanziert werden, damit die Gesetzliche Rentenversicherung an den Finanzmärkten in eine dauerhafte Kapitaldeckung einsteigen kann. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, dass es der GRV ermöglicht werden soll, ihre „Reserven“ an den Börsen anzulegen, wir wissen spätestens seit der Finanzkrise 2009, dass dies ein großes Risiko in sich birgt. Gerade die großen Pensionsfonds in den USA standen kurz vor dem Kollaps.
„Entbürokratisierung und Entfesselung unseres Landes“ sind gemeinsame Anliegen von Gesamtmetall, BDA und BDI sowie den Freidemokraten. So steht in dem Sondierungspapier: „Um auf die Veränderungen in der Arbeitswelt zu reagieren und die Wünsche von Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmern und Unternehmen nach einer flexibleren Arbeitszeitgestaltung aufzugreifen, wollen wir Gewerkschaften und Arbeitgeber dabei unterstützen, flexible Arbeitszeitmodelle zu ermöglichen. (..,.) Außerdem wollen wir eine begrenzte Möglichkeit zur Abweichung von den derzeit bestehenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes hinsichtlich der Tageshöchstarbeitszeit schaffen, wenn Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen dies vorsehen (Experimentierräume).“ Damit hat die FDP, die das Thema „Lockerung des Arbeitszeitgesetzes“ seit Jahren vorantreibt, eine Bresche für die Arbeitgeber geschlagen und ihnen die Möglichkeit eröffnet per Betriebsvereinbarung Tarifverträge auszuhebeln.
Weit oben in dem Papier steht das Klimakapitel. Das 1,5 Grad Ziel wird als „unsere zentrale gemeinsame Aufgabe“ definiert. Doch bei der Frage mit welchen Instrumenten dies erreicht und wie dies finanziert werden soll, bleibt das Papier recht schwammig. Die Grünen können ihrer Parteibasis das neue Bündnis schmackhaft machen, weil dieses zumindest anstrebt, früher als bisher aus der Kohleverstromung auszusteigen. Im Gegenzug haben die Grünen darauf verzichtet, die Forderung nach einem Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen aufrechtzuerhalten. „Das Problem ist dabei weniger das, was drinsteht, als das, was nicht drinsteht“, twitterte die „Fridays for Future“-Aktivistin Luisa Neubauer zu dem Thema Klimaschutz.
Klar ist: Sondierungsgespräche sind keine Verhandlungen über einen Koalitionsvertrag, die beginnen jetzt erst. Die Gewerkschaften und die zivilgesellschaftlichen Aktivist*innen müssen nun den Druck erhöhen, damit die offensichlichsten Leerstellen gefüllt werden. „Wird im Koalitionsvertrag unklar formuliert, kommt später nichts oder nur Flickwerk heraus“, sagt der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann zurecht. Deshalb sei aus Sicht der Beschäftigten klar: Es darf keine De-Industrialisierung mit massenhaften Jobverlusten geben. Sondern Sicherheit im Wandel und Brücken in die Arbeitswelt von morgen. Dazu hat die IG Metall den Koalitionären eine „To-Do“-Liste überreicht.

Um ihre Forderungen sichtbar und hörbar zu machen, gehen am „Aktionstag 29. Oktober“ Metaller*innen bundesweit auf die Straße: > Keine Entlassungen in der Transformation > Zukunftsfähige Arbeitsplätze und sichere Ausbildung > 500 Milliarden Euro öffentliche Zukunftsinvestitionen > Krisengewinnler zur Kasse bitten. Diese Forderungen richten sich sowohl an die Arbeitgeber als auch an die Politik. Fest steht: Zukunft gibt es nur, wenn wir dafür streiten.
Die Metaller*innen der IG Metall Ennepe-Ruhr-Wupper nehmen an der Kundgebung vor dem Thyssen-Stahl Hauptgebäude um 10.00 Uhr in Duisburg teil. Die Busse fahren um 8.00 Uhr am Gewerkschaftshaus in Witten in der Hans-Böckler-Straße ab. Anmeldungen an: Ennepe-Ruhr-Wupper@igmetall.de