
Putschende Freikorps-Truppen – Bundesarchiv, Bild 183-J0305-0600-003 – CC-BY-SA 3.0
In diesen Tagen, am 13. März jährte sich zum hundertsten Mal der Kapp-Putsch. Am 13. März 1920 hatte eine ultrareaktionäre Gruppe bürgerlicher Politiker und hoher Offiziere, mit dem preußischen Beamten Wolfgang Kapp und dem Befehlshaber des Reichswehr-Gruppenkommandos 1 in Berlin, Walther von Lüttwitz an der Spitze, den Versuch unternommen, die demokratisch gewählte Regierung zu stürzen. Ihr Ziel: Die Weimarer Republik soll beseitigt werden und an ihre Stelle soll ein autoritäres Regime treten.
Die Gesinnung der Soldaten, die unter dem Befehl von Marinekapitän Hermann Ehrhardt durchs Brandenburger Tor ins Regierungsviertel marschieren, Straßensperren errichten und Maschinengewehre postieren, ist schon an ihren Stahlhelmen zu erkennen – viele der 5.000 Soldaten haben Hakenkreuze aufgemalt. In einem ihrer Kampflieder heißt es: „Die Brigade Ehrhardt schlägt alles kurz und klein, wehe Dir, wehe Dir, Du Arbeiterschwein.“ Es sind arbeitslose Frontsoldaten, die nach dem verlorenen Krieg nicht in das Zivilleben zurückkehren wollen, und auch mit Unterstützung von Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) in der teilweise von Privatleuten finanzierten Söldnertruppe unter gebracht wurden.
De Liquidierung der jungen Republik im Auge, verfolgten die Putschisten das Ziel, ein „autoritäres Regime auf monarchisch-föderativer Grundlage“ zu errichten. Sie wollten die Außerkraftsetzung aller in Folge der Novemberrevolution 1918 erlassenen Gesetze – darunter die Beseitigung des Achtstundentages und ein generelles Streikverbot. Mit ihren Gegnern in der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung soll kurzer Prozess gemacht werden. „Diese Schädlinge müssen rücksichtslos vernichtet werden“, hatte Lüttwitz am 1. September 1919 in einer Denkschrift für Reichswehrminister Gustav Noske formuliert.
Die Umsetzung der von den Siegermächten des 1. Weltkrieges durchgesetzte Reduzierung der immer noch etwa 500.000 Mann starken Reichswehr auf zunächst 200.000 Mann und die Auflösung der im Januar 1919 entstandenen paramilitärischen Freikorps-Truppen waren für die Putschisten der offizielle Anlass für den Umsturzversuch. Gerade Letztere betrachteten die Militärs als ihre inoffizielle Reserve, mit der sie die Beschränkungen durch den Versailler Friedensvertrag unterlaufen wollten. Ende Februar 1920 ordnet Noske die Auflösung der Brigade Ehrhardt an. Walter von Lüttwitz verweigert das und konfrontiert die Reichsregierung am 10. März mit der Forderung, die Truppenreduzierung zu stoppen, das Kabinett umzubilden sowie unverzüglich die Neuwahl des Reichstages und des Reichspräsidenten zu veranlassen.
Die SPD-geführte Regierung muss nach Dresden fliehen. Die Reichswehr, die sie schützen sollte, hatte sich entweder auf die Seite der Putschisten geschlagen oder wollte neutral bleiben. Die Generäle weigern sich, den Putschisten entgegen zu treten: „Truppe schießt nicht auf Truppe“, lautet ihr Motto. Deswegen müssen Reichspräsident Friedrich Ebert und Noske ihren ersten Fluchtort Dresden bald wieder verlassen und weiter nach Stuttgart fliehen Hier im Schwäbischen sind die Militärs zumindest nicht zu hundert Prozent gegen die Zivilregierung eingestellt.
Schon vier Tage später, am 17. März, bricht der Putsch zusammen. Dass die Herrschaft der blanken Waffengewalt nicht siegt, verdankt die Reichsregierung einer einmaligen Koalition aus Arbeiterbewegung und bürgerlich-konservativ geprägter Bürokratie. Im ganzen Reichsgebiet folgen die Arbeiter*innen und Angestellten dem Aufruf des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) und der Angestelltengewerkschaft AfA zum Generalstreik. Zwölf Millionen Menschen legen die Arbeit nieder. In den meisten Großstädten ruht der öffentliche Verkehr. Für über eine Woche stehen in Deutschland alle industriellen Räder still.
Es kommt zum größten Streik in der deutschen Geschichte. Im Westen der Republik formiert sich die „Rote Ruhrarmee“, der sich viele Bergarbeiter, Eisenbahner und Metaller anschließen. Im Raum Bochum, Hagen, Wetter, Herdecke und Dortmund gelingt es den bewaffneten Arbeitern den Putschisten unter General von Watter, Kommandeur der Reichswehr-Brigade 7 in Münster, eine Reihe schwerer Niederlagen zu zufügen sowie konterrevolutionäre Einwohnerwehren und Zeitfreiwilligenverbände zu entwaffnen.
Die Anführer des Putsches geben auf. Beim Abmarsch der Brigade Erhardt aus Berlin richten die Söldner noch ein Blutbad an, sie schießen auf Protestierende: Zwölf Menschen sterben und 30 werden verletzt. in Leipzig brennen die rechtextremem Soldaten das Volkshaus, den Sitz und Versammlungsort der Leipziger Gewerkschaften, nieder. Kapp flieht nach Schweden, Lüttwitz nach Ungarn. Die Brigade Ehrhardt wird zwar aufgelöst, doch die Freikorps-Schlächter kommen straflos davon.
Ein breites Bündnis von Demokraten hat die Republik gerettet. „Noch niemals ist eine Bande von Usurpatoren so schnell fortgefegt worden wie die von Kapp und Genossen. Noch nie hat eine Volksparole eine so schnelle und gewaltige Wirkung gehabt wie die Aufforderung zum Streik. Sie war die eigentliche demokratische Parole, die die Grenze zwischen den Links- und Mittelparteien niederlegte und für wenige Tage das ganze arbeitende Deutschland einigte“, kommentiert der Schriftsteller Carl von Ossietzky damals in der „Berliner-Volkszeitung“ den Zusammenbruch des Putsches.
Am 23. März 1920 beenden die Gewerkschaften den Generalstreik. Präsident Friedrich Ebert ist wieder im Amt. Reichskanzler Gustav Bauer (SPD) muss gehen, auch Reichswehrminister Gustav Noske, dem der Spruch „einer muss den Bluthund spielen“ zugeschrieben wird. Zu deutlich ist, dass der „Bluthund“ den Putschisten den Boden mit vorbereitet hat. Die Gewerkschaften fordern von der Regierung Sozialreformen. Die bewaffneten Arbeiter der „Roten Ruhrarmee“, die die Freikorps- und Reichswehrverbände teilweise besiegt oder kampflos zum Aufgeben gezwungen hatten, verlangen jedoch mehr Gegenleistungen von der Regierung: im Grunde wollen sie die Vollendung der steckengebliebenen Revolution im November 1918 – die Sozialisierung der Industrie, aber auch die Zerschlagung der alten Reichswehr und die Demokratisierung des Militärs – Forderungen, die die SPD schon in ihrem Erfurter Programm 1891 verabschiedet hatte.
Es ist die bittere Ironie der Geschichte, dass die knapp dem Putsch entronnene Regierung statt auf die Forderungen einzugehen, nun jenes Militär gegen die Arbeiterverbände vorgehen lässt, das zuvor nicht bereit war, die Demokratie zu verteidigen, was besonders im Ruhrgebiet zu schweren, blutigen Kämpfen führte. General von Watter ließ am 2. April, Reichswehr und Freikorps ins Ruhrgebiet einmarschieren, wo sie den Aufstand mit äußerster Brutalität niedergeschlagen haben.
Ein Befehl des Kommandeurs Ende März machte schon deutlich, mit welcher Rücksichtslosigkeit er die Kämpfe führen ließ: „Verhandelt wird nicht. Solange eine militärische Operation im Gange ist, darf sie auch nicht durch den meist zur Nachgiebigkeit neigenden Einspruch regierungstreuer Zivilisten beeinträchtigt werden. […] In jedem Bewaffneten ist der Feind zu sehen. Unbewaffnete Massen haben ebenfalls auf der Straße nichts zu suchen. Sie müssen durch Feuer zersprengt werden, ehe sie an die Truppe herankommen.“
Der Einsatz seiner Truppen gegen die Arbeiter war begleitet von Misshandlungen und willkürlichen Erschießungen von Gefangenen mit über tausend Toten. Dieses brutale Vorgehen gegen die Teile der Arbeiterbewegung, die den Putsch an der Basis gestoppt hatten und nun nicht gleich wieder zur Tagesordnung übergehen wollten, führte zu „einer bleibenden Traumatisierung und Spaltung der Linken“, so der Sozialwissenschaftler Klaus Gietinger.
Der Kapp-Putsch war der erste Versuch, der von der Bevölkerung mit überwältigender Mehrheit gewünschten Demokratisierung Deutschlands einen Riegel vorzuschieben. Weitere Versuche folgen beispielsweise der von Adolf Hitler und von General Erich Ludendorff imitierte „Bürgerbräu-Putsch“ Ende November 1923 gegen die bayrische Landesregierung und nach Vorbild von Mussolinis Marsch auf Rom gegen die Reichsregierung mit der Zielsetzung der Beseitigung der parlamentarischen Demokratie und der Errichtung eines nationalistischen Diktatorialregimes. Die Aktivitäten der Rechten gewannen an Professionalität und endeten 1933 in der Machtergreifung der Nationalsozialisten.
Eine Lehre aus dem Kapp-Putsch und dem späteren Scheitern der Weimarer Republik findet sich heute in der Satzung der IG Metall. In Artikel 2 heißt es: „Die IG Metall wahrt und verteidigt die freiheitlich-demokratische Grundordnung sowie die demokratischen Grundrechte. Die Verteidigung dieser Rechte und der Unabhängigkeit sowie Existenz der Gewerkschaften erfolgt notfalls durch Aufforderung des Vorstandes an die Mitglieder, zu diesem Zweck die Arbeit niederzulegen (Widerstandsrecht gemäß Artikel 20 Absatz 4 GG).
Autor: Otto König