„Arbeiterkind“ stand in ihrem Reisepass

Der türkische Staat hatte sie schon früh „geadelt“. „Arbeiterkind“ stempelten sie in ihren Reisepass. Möglicherweise hat dieser Behördenakt unbewusst darüber mit entschieden, dass Kollegin Emel Cetin keine wissenschaftliche Laufbahn eingeschlagen, sondern sich dafür entschieden hat, sich für die Rechte der arbeitenden Menschen einzusetzen. Womöglich ist diese Annahme weit hergeholt und die Begründung viel einfacher: Emel Cetin hat als Kind einer Familie, die in den 1970er-Jahren als Arbeitsmigranten aus der Türkei ins Ruhrgebiet kamen, schon früh Arbeitsbedingungen mitbekommen, die dringend der Veränderung bedurften. Dazu möchte sie heute in ihrer neuen Tätigkeit beitragen. Seit Anfang April vervollständigt sie das IG Metall-Team in der Geschäftsstelle Gevelsberg-Hattingen.
Geboren wurde Emel Cetin 1983 in Altenessen, im nördlichen Stadtteil der Stadt Essen, nicht weit von der Zeche Zollverein entfernt. Hier ist sie aufgewachsen und zur Schule gegangen, die sie mit dem Abitur abgeschlossen hat. Ihr bevorzugtes Hobby in dieser Zeit, war mit Freundinnen Basketball zu spielen. Gefragt, ob sie als Jugendliche „eher still oder mehr aufmüpfig war“, meint sie, das mit der Aufmüpfigkeit habe erst später während ihres Studiums eingesetzt. Im Jahr 2003 beginnt Emel an der Universität Duisburg-Essen ihr Studium in den Fächern Kommunikationswissenschaft, Germanistik und Marketing.
Als Arbeiterkind blieb es nicht aus, dass sie neben dem Studium jobben musste, um finanziell über die Runden zu kommen. „Da war es natürlich normal, dass ich mit den Gewerkschaften in Kontakt gekommen bin,“ berichtet sie. Sie wurde Mitglied in der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und engagierte sich beim DGB in der Jugendbildungs-arbeit. Dazu gehörten Touren zu den Berufsschulen, um Schüler*innen über die Arbeitswelt und die Gewerkschaften zu informieren und Vorträge zur Berufsorientierung zu halten. Spätestens jetzt, kam sie ihrer späteren Tätigkeit einen Schritt näher.
„Organizing“ bei Enercon
Nach Beendigung ihres Studiums arbeitete die Gewerkschafterin in Essen für die Karl und Veronica Carstens-Stiftung, 1982 vom damaligen Bundespräsidenten Karl Carstens und seiner Ehefrau gegründet. Hier war sie für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit mitverantwortlich. Ein Stipendium zur Erlangung der Doktorwürde führte sie aus dem Ruhrgebiet an die Ostsee an die Universität Rostock. Auch hier suchte Emel den Kontakt zu den örtlichen Gewerkschaften. Ein Seminar bei ver.di zum Thema „Organizing“ ebnete im Jahr 2013 den Weg zur IG Metall. Hier war sie als ehrenamtliche Aktivistin in der von der IG Metall 2010 gestarteten Organizing-Kampagne in der Windkraftindustrie hoch willkommen.
Ziel der Kampagne war es u.a., in den neun Servicegesellschaften beim Windkraftanlagenbauer Enercon mit Sitz in Aurich, die Voraussetzungen zu schaffen, um Betriebsratswahlen einleiten zu können. „Fit dafür machten wir uns auf einem Seminar mit haupt- und ehrenamtlichen Aktivist*innen in einer Bildungsstätte,“ schildert die IG Metallerin. Danach suchten wir die Monteure an den Stützpunkten und Baustellen auf. „Wichtig war, zuhören zu können.“ Entlohnung, Wertschätzung am Arbeitsplatz und die Regelung der Rufbereitschaft seien Themen gewesen, bei denen sich die Monteure Verbesserungen wünschten. Erstmals habe sie erlebt, „welche Ängste Beschäftigte haben, ihre Rechte in Anspruch zu nehmen wie beispielsweise die Gründung von Betriebsräten“. Dennoch, die Arbeit habe sich ausgezahlt. In allen Servicegesellschaften wählten sich die Monteure Betriebsräte.
Der weitere Weg führt sie zurück ins Revier
Ihr weiterer Lebensweg brachte Emel Cetin ins heimische „Revier“ zurück. Ab 2014 war sie zunächst in einem „Angestellten-Projekt“ für die Geschäftsstellen Bochum, Herne und Witten tätig, zwei Jahre später wechselte sie in das „Gemeinsame Erschließungsprojekt“ beim IG Metall Bezirk in Nordrhein-Westfalen. Gemeinsam mit drei Kolleginnen und Kollegen war Emel in elf Geschäftsstellen im Ruhrgebiet unterwegs, um mitzuhelfen „in Schwerpunktbetrieben gewerkschaftliche Strukturen auf- bzw. auszubauen“ mit dem Ziel, neue Mitglieder für die Gewerkschaft zu gewinnen.
Diese Arbeit führten die Projektsekretäre Emel Cetin und Nick Woischneck auch zum Türschließer-Spezialisten dormakaba auf dem Voerder-Berg in Ennepetal. Wir kamen nicht „mit dem Koffer voller fertiger Ideen“ in den Betrieb, sondern entwickelten mit den Vertrauensleuten und Betriebsratsmitgliedern in regelmäßigen Strategietreffen die gemeinsamen Ziele und Umsetzungsschritte. Dazu gehört die Gewerkschaft, in diesem für die Geschäftsstelle strategisch wichtigem Unternehmen, für die dormakaba-Beschäftigten „sichtbar zu machen“ und die „gewerkschaftlichen Strukturen“ im Betrieb und besonders im Angestelltenbereich zu stärken. Es geht schließlich darum, dass aus passiven Mitgliedern aktive Akteure in eigener Sache werden und Beschäftigte sich stärker zu beteiligen. „Dies war am Anfang schwierig, doch nach mehreren Rundgängen im Betrieb und vor allem in den Büros tauten die Kollegen auf und ließen sich auf Gespräche ein,“ sagt Emel und fügt hinzu: „Es hat Spaß gemacht.“
Es war die Erste Bevollmächtigte Clarissa Bader, die bei ihr „anklopfte“, ob sie sich vorstellen könne, als Gewerkschaftssekretärin bei der IG Metall Gevelsberg-Hattingen zu arbeiten, mit der Perspektive der neuen Geschäftsstelle Gevelsberg-Hattingen, Witten und Wuppertal. „Meine Entscheidung ist mir leichtgefallen,“ sagt sie lächelnd. Schließlich hatte sie schon eine Reihe Kolleginnen und Kollegen aus den hiesigen Betrieben kennengelernt, deren „offenen und kollegialen Umgang“ sie schätzt, und vor allem „das Team in der Geschäftsstelle passt“. Seit Anfang April ist Emel Cetin mit zuständig in der Betriebsbetreuung und der Vertrauensleutearbeit. Perspektivisch soll der Aufbau der gewerkschaftlichen Angestelltenarbeit in der Region Ennepe-Ruhr-Wupper hinzukommen.
„Glück auf“, sagt man zur Begrüßung im Ruhrgebiet.
Foto: IGM GH