»Betriebsräte sind keine Vorstände«

Im Verfahren um die Bezahlung freigestellter Betriebsratsmitglieder – und damit wegen des Verdachts der Untreue – ist Volkswagen auf Nummer sicher gegangen. Ende vergangenen Jahres trat das Unternehmen auf die Bremse und deckelte rückwirkend zum 1. Dezember 2017 die Gehälter von 14 Arbeitnehmervertretern. (1) Ihre Vergütung wird bis zur rechtlichen Klärung auf der Basis der obersten tariflichen Stufe berechnet. In der Spitze liegt das Jahresgehalt damit bei 96.000 Euro. Jahres-Bonuszahlungen liegen auf Eis. (2)
Seit 2005 steht Bernd Osterloh an der Spitze des Betriebsrats – er ist Gesamt- und Konzernbetriebsratsvorsitzender sowie stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats. Für ihn sind die Einbußen heftig. Eingestuft war er als »Bereichsleiter«, als ein Mitglied der mittleren Führungsebene unterhalb der Marken- und Konzernvorstände. Osterloh zufolge lag das Grundgehalt bei rund 200.000 Euro; hinzu kamen Bonuszahlungen abhängig vom Geschäftsverlauf. Der Konzernbetriebsratsvorsitzende sieht sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. (3)
Was darf ein Betriebsratschef verdienen?
Was darf ein Betriebsratschef verdienen? Diese Grundsatzfrage führt zum §78 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). In Satz 2 ist festgelegt, dass Betriebsratsmitglieder wegen ihrer Tätigkeit weder benachteiligt noch begünstigt werden dürfen. Das gilt in arbeitsmäßiger als auch in finanzieller und beruflicher Hinsicht. Sie werden für ihre Tätigkeit nicht gesondert bezahlt und müssen genauso behandelt werden wie die anderen ArbeitnehmerInnen.
Wie verhält es sich aber in dem Fall, dass jemand wie Osterloh den Job eines Personalvorstands angeboten bekam? Greift da auch der §78 mit der Bestimmung, dass niemand benachteiligt werden dürfe? Im Prinzip ja, argumentiert der Bonner Professor für Arbeitsrecht, Gregor Thüsing, in seiner »Expertise« für VW. So habe der Arbeitgeber bei der Bezahlung ausgeschlagene Angebote zu berücksichtigen, da für den Belegschaftsvertreter eine neue »Anspruchsgrundlage« entstanden sei.
Diese Verteidigungslinie, mit der sich Volkswagen gegenüber der Staatsanwaltschaft zu immunisieren versucht, wird – so ist zumindest zu hoffen – nicht halten. Dem Institut der Mitbestimmung würde damit der Garaus gemacht. Und: Damit würde man Öl ins Feuer einer rechtspopulistischen Propaganda gießen, die gewerkschaftlich orientierte Interessenvertretung im Betrieb als Teil des Establishments kritisiert, das sich in Einkommen und Lebensweise meilenweit von den Beschäftigten entfernt hat.
Vergütung der Betriebsräte „bestgehütetes Geheimnis“?
In der medialen Debatte wird durch eine interessengeleitete Berichterstattung über die finanzielle Karriere einer Gruppe von VW-Betriebsratsmitgliedern, der Eindruck erweckt, hier handle es sich um ein flächendeckendes Problem. Kolportiert wird, es gehöre zu den »bestgehüteten Geheimnissen« der bundesdeutschen Wirtschaftswelt, wie Betriebsräte – die ein Ehrenamt ausüben – bezahlt werden. Harsch forderte Frank Specht im Handelsblatt: »Sie sollten ihr Gehalt offenlegen.« Damit wird suggeriert: Eine Vielzahl von Mitgliedern in Betriebsräten und Aufsichtsräten seien korrumpiert und ihre Arbeit ein Vehikel zur Erzielung persönlicher Vorteile.
Die Realität ist eine andere. Wer sich als Betriebsratsmitglied engagiert, nimmt nicht nur in Kauf, dass er viel Freizeit opfert, sondern oftmals mit Benachteiligungen beim Einkommen und beruflichen Aufstieg rechnen muss. Hinzu kommt die zunehmend hässliche Praxis von »Betriebsrats-Bashing« im Rahmen einer gezielten »Union-Busting«-Strategie in den Betrieben. (4)
Wen meinen die Wirtschaftsredakteure, wenn sie »mehr Transparenz« fordern? Von den rund 79.000 in der IG Metall organsierten Betriebsrats-Mitgliedern sind 73.000 für ihre Betriebsratstätigkeit nicht von ihrer arbeitsvertraglichen Arbeit freigestellt. Ihre Bezahlung ist im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) geregelt. Das Gesetz macht zwei klare Vorgaben: Zum einen darf ihnen keine Vergütung für die Wahrnehmung ihres Amtes zufließen (Ehrenamtsprinzip) und zum anderen ist das Arbeitsentgelt fortzuzahlen, das ohne die Betriebsratstätigkeit bei Erbringung der Arbeitsleistung erzielt worden wäre (Lohnausfallprinzip).
Darüber hinaus sieht §38 BetrVG vor, dass in Betrieben mit in der Regel 200 bis 500 ArbeitnehmerInnen mindestens ein Betriebsratsmitglied von der beruflichen Tätigkeit freizustellen ist. Die Zahl der Freistellungen erhöht sich stufenweise bis 9.001 Arbeitnehmern auf zwölf und in Betrieben mit über 10.000 Arbeitnehmern ist für je angefangene weitere 2.000 Arbeitnehmer ein zusätzliches Betriebsratsmitglied freizustellen.
Für ihre Vergütung, also für die 6.000 freigestellten Betriebsratsmitglieder, die in der IG Metall organisiert sind, gilt der einschlägige §37 BetrVG. In Absatz 4 heißt es, dass deren Arbeitsentgelt »nicht geringer bemessen werden darf als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung«, d.h. sie haben Anspruch auf Höhergruppierungen und Gehaltserhöhungen, die sie durch Beförderungen erhalten hätten. Diese sollen sich an betriebsüblichen Karrieren von Beschäftigten orientieren, die zum Zeitpunkt der Freistellung in ähnlicher Position mit ähnlichen Fähigkeiten wie das Betriebsratsmitglied gearbeitet haben.
Auch wenn häufig umstritten ist, mit welchen Arbeitnehmern ein Betriebsratsmitglied vergleichbar ist, sind erhebliche, überproportionale Gehaltssprünge während der Amtszeit von freigestellten Betriebsratsmitgliedern selten. Der Großteil von ihnen muss meist darum streiten, dass ihre Tätigkeit als Interessenvertreter für sie nicht das Ende ihrer Gehaltsentwicklung bedeutet. Denn der häufigste Fall der Benachteiligung von Betriebsratsmitgliedern ist die Schlechterstellung beim Einkommen und bei der beruflichen Entwicklung.
Die betrieblichen Arbeitnehmervertreter arbeiten in den Unternehmen maßgeblich an Zukunftsstrategien mit und übernehmen in Verhandlungen mit der Arbeitgeberseite Verantwortung für hunderte, ja tausende Beschäftigte. Dennoch sind sie keine Vorstände. Das gilt auch für ihr Entgelt. Es gebe wenige Einzelfälle insbesondere in der Automobilindustrie, dass ein Betriebsratsvorsitzender mehr verdiene als ein Vorstand. »Die sind überzahlt, Betriebsräte sind keine Vorstände«, sagte der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann im Handelsblatt (9.6.2017).
Gesetzesänderung gescheitert
Unstrittig ist: Die Formulierungen zur Vergütung von freigestellten Betriebsratsmitgliedern im Betriebsverfassungsgesetz bedürfen einer Konkretisierung. Deshalb legten der DGB und seine Einzelgewerkschaften schon im Jahr 2015 einen Vorschlag für »faire und transparente gesetzliche Vergütungsregeln« für Betriebsratsmitglieder vor, die die gewachsenen Anforderungen in der Arbeit und die im Rahmen ihrer Tätigkeit erworbenen Qualifikationen und Erfahrungen berücksichtigen sollen, die vergleichbare Kollegen nicht erwerben können.
Zwei Jahre später, Anfang Juni 2017, verständigte sich die Große Koalition am Rande des »8. Meseberger Zukunftsgesprächs der Sozialpartner« auf eine Gesetzesinitiative, die freigestellten Betriebsratsmitgliedern eine bessere Bezahlung sichern sollte. Nach den Plänen der damaligen Bundesarbeitsministerin Nahles (SPD), die von den Gewerkschaften und der Industrie unterstützt wurden, sollte der §37 BetrVG wie folgt ergänzt werden: »Bei der Bemessung des Arbeitsentgelts und der allgemeinen Zuwendungen sind außerdem die zur Wahrnehmung der Betriebsratstätigkeit erworbenen Qualifikationen und Erfahrungen, wie auch regelmäßig wahrgenommenen Aufgaben zu berücksichtigen, sowie sie die Tätigkeit des Betriebsratsmitglieds prägen«.
Das Vorhaben, kurz vor Ende der Legislaturperiode des Bundestages die geplante Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes in das inzwischen verabschiedete »Gesetz zur Sicherung der tarifvertraglichen Sozialkassenverfahren« einzufügen, scheiterte jedoch am Widerstand des Wirtschaftsflügels der Union. Die wirtschaftsliberalen Vertreter entrüsteten sich über den »geplanten Überraschungscoup«, der, so Union-Vize-Fraktionschef Michael Fuchs, »zu weit gefasst, intransparent und mittelstandsfeindlich« und ein Geschenk an die Gewerkschaften sei.
Die geplante Gesetzesänderung hätte die negativen Auswüchse von zu hohen Gehältern von einzelnen Gesamt- und Konzernbetriebsratsvorsitzenden nicht legitimiert, sie hätte jedoch dazu geführt, dass Teile der freigestellten Betriebsratsmitglieder künftig fairer und gerechter entlohnt worden wären. Genau dies haben die Mittelstandspolitiker der CDU/CSU Arm in Arm mit der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) verhindert.
Leicht gekürzter Artikel von Otto König, ehemaliger 1. Bevollmächtigter der IG Metall (Hattingen) und Richard Detje, Redakteur der Zeitschrift Sozialismus (Hamburg) in der Zeitschrift Sozialismus 2/2018
Anmerkungen
(1) Insgesamt gibt es 262 Betriebsräte bei der Volkswagen AG. 95% von ihnen werden nach Tarif bezahlt.
(2) Unter dem Verdacht, durch hohe Bezüge für die Betriebsrats-Spitze Firmengelder veruntreut zu haben, stehen neben Arbeitsdirektor Karlheinz Blessing und dessen Vorgänger Horst Neumann auch der Personalchef der Marke VW, Martin Rosik, und dessen Vorgänger Jochen Schumm sowie der Konzern-Finanzvorstand Frank Witter.
(3) 2016 war für den Vorstand ein wenig ergiebiges Jahr. 2014 lagen die Gesamtbezüge noch zwischen 4,3 und 7,3 Millionen Euro, der Vorstandsvorsitzende Winterkorn kam auf über 15 Millionen. (4) Vgl. Richard Detje/Otto König: Betriebsrats-Bashing: drohen, stänkern, kündigen! in: Sozialismus 12/2016.