
Betriebsrätemodernisierungsgesetz: Gründung und Wahl von Betriebsräten erleichtern
Betriebliche Mitbestimmung in Deutschland ist, seit sie vor mehr als 100 Jahren gesetzlich geregelt wurde, umkämpft. In Paragraf 1 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) von 1951 heißt es: „In Unternehmen mit fünf oder mehr Beschäftigten haben diese das Recht zur Gründung eines Betriebsrats“. Obwohl dies keine Kann-, sondern eine Sollbestimmung ist, sieht die betriebliche Praxis anders aus. „Nach wie vor gehen Geschäftsführungen und Unternehmensvorstände aggressiv gegen Neugründungen von Betriebsratsgremien vor, wie eine Analyse des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) zeigt“, so der Zweite Bevollmächtigte Mathias Hillbrandt.
Die Zahl der Unternehmen mit Betriebsrat ist rückläufig. Tatsächlich hat eine Erhebung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) für das „Betriebspanel 2019“ ergeben, dass der Anteil der Betriebe mit Betriebsrat (hier geht es um Betriebe mit mindestens fünf Beschäftigten) in der Bundesrepublik bis Mitte der 2010er Jahre auf neun Prozent gesunken ist und seitdem in etwa auf diesem Niveau verharrt. Der ernüchternde Befund lautet: Nur noch 41% der westdeutschen und 36% der ostdeutschen Beschäftigten sind in Betrieben mit Betriebsrat tätig.
Mit dem „Betriebsrätemodernisierungsgesetz“ will die schwarz-rote Koalition in Berlin gegensteuern. Das Bundeskabinett brachte den „Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Betriebsratswahlen und der Betriebsratsarbeit in einer digitalen Arbeitswelt“ auf den Weg. Kernpunkte sind: Betriebsratswahlen sollen vereinfacht, der Kündigungsschutz für Initiator*innen verbessert und die Digitale Mitbestimmung ausgeweitet werden. Das vom Kabinett verabschiedete Betriebsrätemodernisierungsgesetz „ist Betriebsrätestärkung light, ein erster Schritt in die richtige Richtung“, so die Zweite Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner. Mit Blick auf die tatsächlichen betrieblichen Herausforderungen sei er bei weitem nicht ausreichend.
Laut dem Regierungsentwurf (RegE) sollen folgende Änderungen „insbesondere in kleineren Betrieben“ die Gründung von Betriebsräten erleichtern:
- Das sog. vereinfachte Wahlverfahren soll in Betrieben mit i.d.R. bis zu einhundert Arbeitnehmern Standard werden; in Betrieben mit bis zu 200 Arbeitnehmern kann das Verfahren ebenfalls nach Vereinbarung zwischen Wahlvorstand und Arbeitgeber angewendet werden (§ 14a)
- Die Anzahl der nötigen Stützunterschriften für einen Wahlvorschlag wird abgesenkt und soll in Betrieben mit bis zu 20 Arbeitnehmern ganz entfallen (§ 14 Abs. 4).
- Beschäftigte, die Betriebsratswahlen initiieren und zu den dafür nötigen Wahlversammlungen einladen, sollen besser und in größerer Anzahl gegen Kündigung geschützt werden. Zudem soll auch im Vorfeld der eigentlichen Einladung unter bestimmten Voraussetzungen ein besonderer Kündigungsschutz für Wahlinitiatoren greifen (§ 15 Abs. 3a und 3b).
- Wahlanfechtungen durch Arbeitnehmer*innen wegen fehlerhafter Wählerlisten sollen erschwert werden; Anfechtungen durch den Arbeitgeber sollen ausgeschlossen werden, wenn dieser dem Wahlvorstand zuvor fehlerhafte oder unrichtige Daten geliefert hat (§ 19 Abs. 3).
- Auch Wahlen zur Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) sollen erleichtert werden, indem künftig auch Auszubildende, die älter als 25 sind, dort aktiv und passiv wahlberechtigt sind (§ 60 bis 64).
Auf Initiative von Teilen der CDU/CSU ist der Schutz der Initiator*innen gegenüber dem Referenten-Entwurf aus dem Bundesarbeitsministerium jedoch durchlöchert worden. Er gilt nur noch für fristgemäße personen- und verhaltensbedingte Kündigungen. „Das eigentliche Problem waren in der Vergangenheit vor allem fristlose Kündigungen, die der Arbeitgeber unter irgendeinem Vorwand ausgesprochen hat, wenn er die Betriebsratswahl verhindern wollte. Hier hatte der Referentenentwurf noch vorgesehen, dass in solchen Fällen eine vorhergehende Bestätigung durch das Arbeitsgericht erforderlich ist“, so Dr. Thomas Klebe, Rechtsanwalt und wissenschaftlicher Berater des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeitsrecht (HSI).
Für bestehende Gremien sieht der Entwurf folgende Neuregelungen vor: Die sich verändernde Arbeitswelt im Blick soll es neue Mitspracherechte dort geben, wo Betriebe neue Technologien und Systeme mit Künstlicher Intelligenz (KI) einführen. Der Arbeitgeber soll über die Einführung von KI mit dem Betriebsrat beraten, so wie es heute schon bei der Planung von Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufen der Fall ist. Dem Betriebsrat soll die Hinzuziehung eines Sachverständigen für Informations- und Kommunikationstechnik (§ 80 Abs. 3 BetrVG) ermöglicht werden. zum anderen soll das Thema Künstliche Intelligenz auch bei den Unterrichtungs- und Beratungsrechten in punkto Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufen (§ 90 Abs. 1 Nr. 3) sowie bei KI-unterstützten Auswahlrichtlinien (§ 95) Berücksichtigung finden.
In den gesetzlichen Katalog der streng mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten gemäß Paragraf 87 BetrVG soll in Nr. 14 die „Ausgestaltung mobiler Arbeit, die mittels Informations- und Kommunikationstechnik erbracht wird“ (§ 87 Abs. 1 Nr. 14) aufgenommen werden. Damit soll mobile Arbeit zum einen stärker gefördert, zum anderen damit verbundene Gefahren wie die Entgrenzung von Arbeits- und Privatleben begegnet werden.
Betriebsvereinbarungen, Sozialplan und Interessenausgleich bei Betriebsänderungen sollen künftig nicht nur schriftlich, sondern auch elektronisch vereinbart werden können. Dabei haben Arbeitgeber und Betriebsrat „dasselbe Dokument elektronisch zu signieren“ (§ 77 Abs. 2). Auch die Verantwortlichkeiten im Datenschutz sollen neu geregelt werden. Dazu heißt es im § 79a: „Bei der Verarbeitung personenbezogener Daten hat der Betriebsrat die Vorschriften über den Datenschutz einzuhalten. Soweit der Betriebsrat zur Erfüllung der in seiner Zuständigkeit liegenden Aufgaben personenbezogene Daten verarbeitet, ist der Arbeitgeber der für die Verarbeitung Verantwortliche im Sinne der datenschutzrechtlichen Vorschriften. Arbeitgeber und Betriebsrat unterstützen sich gegenseitig bei der Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorschriften.“
Umstritten ist der Vorschlag, den in Corona-Zeiten befristet bis zum 30. Juni 2022 neu ins BetrVG eingefügten § 129 hinsichtlich audiovisueller Tagungen für immer gesetzlich zu etablieren. So sollen ordnungsgemäße Sitzungen und wirksame Beschlüsse des Betriebsrats und anderer Gremien (GBR, KBR, Wirtschaftsausschuss etc.) dauerhaft per Video- und Telefonkonferenz durchgeführt werden können. Laut § 30 gelten Präsenzsitzungen jedoch als Regelfall. Auch Hybrid-Formate sollen zulässig werden – mit der Maßgabe, dass „auch eine Teilnahme vor Ort als erforderlich“ gilt, der Arbeitgeber die Tagung von Gremien nicht auf Video-Calls beschränken darf. Bei den Gewerkschaften stößt dies auf große Skepsis und Ablehnung, da sie darin ein Einfallstor sehen, um die Mitbestimmung zu untergraben.
Die Gewerkschaften fordern infolge der Veränderung der Arbeitsweltschon seit langemeine Weiterentwicklung der Mitbestimmung. Der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann sieht in dem Regierungsentwurf nur einen ersten Anfang. „Hier ist noch Luft nach oben. Die IG Metall wird sich auch politisch weiter dafür einsetzen, dass Mitbestimmungsrecht und Betriebsratsarbeit weiterentwickelt werden, um eine wirksame Interessensvertretung in der sich rasant verändernden Arbeitswelt möglich zu machen“, sagte der IG Metall-Vorsitzende.
Im Arbeitgeberlager stießen die Pläne wie nicht anders zu erwarten auf Ablehnung. Die Bundesregierung zeige mit dem Vorhaben, dass ihr „ein auf die derzeitige wirtschaftliche Lage nicht mehr passender Koalitionsvertrag wichtiger ist als die Standortfaktoren für eine wirtschaftliche Gesundung dieses Landes“, schimpfte die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Die Zusammenarbeit der Betriebspartner brauche „keine einseitige Nachhilfe des Gesetzgebers“.
Das Gesetzes-Vorhaben bedarf noch der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat. Ob das Gesetz noch vor den Bundestagswahlen im September verabschiedet wird, ist mehr als fraglich. Deshalb ist die von der IG Metall im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 gestartete „Initiative Mitbestimmung“ notwendiger denn je“, so die IG Metall-Bevollmächtigte Clarissa Bader.
(Unter Verwendung eines Textes des Bund-Verlags)
(Autor: Otto König)