Das 65-Milliarden-Euro-Versprechen

3. Entlastungspaket: Kein „großer Wurf“ und zum Teil ein „schlechter Witz“
Ein „wuchtiges“ Entlastungspaket hatte die Ampel-Koalition versprochen. In der Tat klingen 65 Milliarden Euro wuchtig. Tatsächlich ist das dritte Entlastungspaket (1) ein zusammengestoppelt wirkendes Sammelsurium aus sinnvollen und unsinnigen Maßnahmen.
Ob das Paket zielgenau ist und jene entlastet, die es wirklich nötig haben, lässt sich noch nicht abschließend beantworten. Es besteht die berechtigte Befürchtung ist, dass es hinten und vorn nicht passt. Arme sind weiter arm dran, für die untere Mittelschicht reichen die Kompensationen nicht aus, während Gutverdienenden Geld hinterhergeworfen wird und auch das steht fest, an die richtig Reichen traut sich die Bundesregierung erneut nicht ran. Das Paket enthält für den 2. IG Metall-Bevollmächtigten Mathias Hillbrandt, „wichtige Weichenstellungen, doch es lässt viele Fragen offen.“
Von den 65 Milliarden Euro sollen unter anderem Rentner*innen, Studierende und Auszubildende profitieren. Rentner*innen sollen zum 1. Dezember eine einmalige Energiepreispauschale von 300 Euro erhalten. Studierende und Auszubildende bekommen einmalig 200 Euro. Hinzu kommen Zuschüsse für Wohngeldempfänger*innen. Bisher betrifft dies nur einen Personenkreis von rund 700.000 Menschen, durch eine Reform soll dieser auf 2 Millionen Empfängerinnen ausgeweitet werden. Der Zuschuss beträgt einmalig 415 Euro für einen Ein-Personen-Haushalt, 540 Euro für zwei Personen und für jede weitere Person zusätzliche 100 Euro. Das sind sinnvolle Maßnahmen.
Die Ärmsten der Armen jedoch, die Bezieher*innen von Grundsicherung, sollen bis zum Januar 2023 auf Entlastungen warten. Dann soll aus Hartz-IV das „Bürgergeld“ werden, das um 51 Euro auf 500 Euro angehoben werden soll. Der Haken: Die Erhöhung um 51 Euro entspricht gerade einmal dem Inflationsausgleich. Die reale Kaufkraft der neuen Sozialleistung steigt gegenüber den Hartz-IV-Sätzen also nicht an, ein Leben mit dem Bürgergeld wird ein Leben in Armut bleiben. „Mit allem hätten wir gerechnet, aber nicht damit, dass gar nichts passiert mit Auszahlungen im Oktober“, sagte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. „In diesem Herbst, wo wir mit diesen enormen Teuerungen rechnen müssen, finden die Armen keine Unterstützung. Das ist völlig absurd“, kritisierte er. Der geplante Erhöhungsbetrag sei „ein schlechter Witz“.
Ab 1. Januar 2023 wird das Kindergeld um monatlich 18 Euro erhöht. Der Kinderzuschlag für Alleinerziehende wird auf 250 Euro monatlich nochmals angehoben. Geringverdiener*innen müssen künftig erst ab einem Einkommen von 2000 Euro volle Sozialbeiträge zahlen. Dazu wird die Midijob-Grenze, die im Oktober von 1300 auf 1600 Euro steigt, ab Januar 2023 auf 2000 Euro angehoben. Außerdem im Paket enthalten sind erweiterte Kredithilfen für Unternehmen, Ausgaben für globale Ernährungssicherheit, ein Ende der Doppelbesteuerung von Renten, die Verlängerung des vereinfachten Bezugs des Kurzarbeitergelds und der Start der globalen Mindestbesteuerung in Deutschland.
Fakt ist: Die geplanten Maßnahmen gehen vor allem an der unteren Mittelschicht weitgehend vorbei, also an jenen Menschen, die gerade so viel verdienen, dass sie weder von der höheren Grundsicherung profitieren noch von der Ausweitung des Wohngelds, aber die nicht über genug Ersparnisse verfügten, um die steigenden Energiepreise aufzufangen. Für die IG Metall-Bevollmächtigte Clarissa Bader ist das neue Entlastungspaket nicht der „große Wurf“. Erneut würden die sehr gut Verdienenden durch die bereits zuvor von Bundesfinanzminister Lindner (FDP) angekündigten Steuerpläne mit bis zu 1.000 Euro entlastet.
Eine der augenscheinlichsten Lücken ist die fehlende Entlastung für Gaskunden. Diese werden auch in der kalten Jahreszeit mit ihren horrenden Rechnungen allein gelassen. Statt politischer Unterstützung – etwa wie in anderen Ländern in Form eines Preisdeckels – bekommen sie mit der Gasumlage bald von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen) weitere Zusatzkosten aufgebrummt, um die „Verluste“ der Energiekonzerne auszugleichen. Mit dem Thema Preisdeckel soll sich eine Expertenkommission beschäftigen – ein durchsichtiges Manöver, um der Auseinandersetzung darüber aus dem Weg zu gehen.
Woher die Ampel-Regierung das Geld zur Finanzierung nehmen will, bleibt ein Rätsel. Tatsächlich steuert der Bund mit 32 Milliarden Euro nur rund die Hälfte des Geldes bei. Die Schuldenbremse soll im kommenden Jahr eingehalten werden. Finanzminister Christian Lindner und seine Drei-Pünktchen-Partei wollen sich in dieser Sache offenbar nicht bewegen.
Finanziert werden sollen die Mehrausgaben des Staates über eine Abgabe der Konzerne auf „Zufallsgewinne“. Wer diese zahlen muss und in welcher Höhe sie fällig wird, bleibt nebulös. Stromproduzenten sollen belastet werden, die nicht auf teure Gaszufuhren angewiesen sind, sondern sogenannten erneuerbaren, Kohle- oder Atomstrom produzieren und dies zu gleichbleibend geringen Produktionskosten können. Aus der Gewinnabschöpfung werde dann die Strompreisbremse für einen Basisverbrauch von Privathaushalten finanziert, heißt es im Beschlusspapier der Koalition. Den Privathaushalten könne so eine gewisse Menge Strom zu einem vergünstigten Preis gutgeschrieben werden. Ob die Europäische Union dabei wie erhofft mitspielt, ist allerdings unklar. Zwar will die Ampelkoalition notfalls einen nationalen Alleingang wagen. Bis es jedoch so weit ist, dürfte allerdings noch einige Zeit vergehen, Wind- und Atomkraftbetreiber könnten klagen.
Ein anderes Beispiel ist der Nachfolger für das 9-Euro-Ticket, das zwischen 49 und 69 Euro kosten soll. Abgesehen davon, dass die Bürger deutlich mehr für das neue Angebot zahlen sollen, ist auch hier die Finanzierung nicht abschließend geklärt. Der Bund will lediglich 1,5 Milliarden Euro dafür ausgeben und die Länder sollen mindestens ebenso viel zahlen. Es stehen, wie Ministerpräsidenten angekündigt haben, weitere zähe Verhandlungen an.
Gedacht ist das Entlastungspaket zur Beruhigung, zur Linderung der Nöte und Sorgen, von kleineren Handwerksbetrieben, Mieter*innen, Geringverdiener*innen bis zu Unternehmern, die man „sehr sehr ernst nimmt“, sagte Kanzler Olaf Scholz (SPD). Die Bevölkerung soll in Zeiten von Inflation, Stagnation und angekündigter Proteste besänftigt werden. Doch „You’ll never walk alone“ – dieses Gefühl der solidarischen Geborgenheit will bei diesem Paket beim besten Willen nicht aufkommen. Dennoch gibt es für den SPD-Politiker keinen Grund im Herbst und Winter wegen hoher Inflation und Energiepreise auf die Straße zu gehen. Natürlich darf nicht der Hinweis fehlen: „Sollte sich doch jemand auf die Straße wagen, dann müssen sie dem russischen Präsidenten Wladimir Putin auf den Leim gegangen sein.“ Mit dieser Rhetorik werden Mobilisierungen zu Sozialprotesten schon stigmatisiert, bevor sie überhaupt stattgefunden haben.
Eine wuchtige Krisenbewältigung, die diese Gesellschaft zusammenhält und alle mitnimmt, braucht eine beherzte Finanz- und Steuerpolitik, die Aufhebung der Schuldenbremse und klare sozialpolitische Prioritäten. Dafür zu streiten lohnt sich allemal. Umso dringlicher ist es, dass fortschrittliche Kräfte einen Block aus demokratischen Parteien, Bewegungen, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbänden bilden, der für die Forderung nach solidarischen Verhältnissen, gleichen Rechten und Umverteilung mobilisiert und dies mit einer klaren Absage an die AfD und sonstige extreme Rechte verbindet.
Autor: Otto König
Anmerkung
1) Das erste Entlastungspaket bestand im Wesentlichen aus steuerpolitischen Maßnahmen, das zweite beinhaltete die Absenkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe für drei Monate, ein auf denselben Zeitraum befristetes, bundesweit gültiges Neun-Euro-Monatsticket für den Öffentlichen Personennahverkehr, das den Bund 500 Millionen Euro weniger als der Tankrabatt kostete, eine sehr kostenträchtige Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro für alle unbegrenzt steuerpflichtigen Erwerbstätigen, einen Kinderbonus in Höhe von 100 Euro als Einmalzahlung für Familien sowie Einmalzahlungen in Höhe von 200 Euro für Transferleistungsbezieher*innen und in Höhe von 100 Euro für Bezieher*innen von Arbeitslosengeld I.