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Das Schummel-Kartell

Mit großem Tamtam wurde im August in Berlin der »Diesel-Gipfel« (1) inszeniert. »Die Automobilindustrie ist sich mit der Politik einig in dem Ziel, die Luftqualität weiter zu verbessern. Fahrverbote können und müssen in Deutschland vermieden werden«, lautete danach die Siegesmeldung des Verbandes der deutschen Automobilindustrie (VDA). Die Auto-Lobbyisten haben ihr wichtigstes Ziel vorerst durchgesetzt.

Mogelpakete als Gipfelbilanz

Statt einer verbindlichen und überprüfbaren Nachbesserung der Euro-5-Diesel in einem klar definierten Zeitrahmen, (2) einigte man sich auf einen Minimalkonsens, den die Autobranche selbst angeboten hatte: Software-Updates bei 5,3 Millionen Dieselfahrzeugen, damit diese künftig weniger Schadstoffe ausstoßen. Ein Mogelpaket! Darin enthalten sind 2,5 Millionen Fahrzeuge von Volkswagen, für die nach Bekanntwerden des Skandals um manipulierte Werte ohnehin Abgas-Nachbesserungen angeordnet waren, sowie vor dem Gipfel bereits angekündigte – freiwillige – Rückrufe von Audi, Daimler und BMW. Wie hoch die tatsächliche Zahl der »nachgebesserten« Diesel letztlich sein wird, ist damit ungewiss. Die Halter von Alt-Pkws der Euro-Norm 1-4 sollen mit Rabatten zum Umstieg auf die Euro-Norm 5 und 6 bewegt werden.

Die Autoproduzenten BMW, Daimler, Opel und VW spielen also flugs eine neue Software auf – und schon ist das Problem hoher Schadstoffbelastung durch Pkws mit Dieselmotor gelöst? Nein, erneut wird geschummelt, »mit Abwiegeleien, mit nur homöopathischen Zugeständnissen, mit einem bisschen Larifari und digitalem Tandaradei in der Autowerkstatt« (H. Prantl), statt die teurere Umrüstung aller Euro-5-Diesel mit SCR-Technologie – Abgasreinigung mit Harnstoffeinspritzung – durchführen zu lassen. Dadurch könnten die vorgegebenen Grenzwerte im Realbetrieb eingehalten werden! Die Kosten einer Hardware-Umrüstung liegen bei 1.500 Euro pro Fahrzeug, insgesamt bei ca. 13,5 Milliarden; ein Software-Update ist für 50-100 Euro zu machen. Die profitabelste Lösung für die Konzerne – die schlechteste für die Umwelt.  

Das Kartell

Jahrelang haben die deutschen Autokonzerne prächtig verdient. Von dem tiefen Absatz­einbruch in der Wirtschaftskrise 2008/2009 hat sich die Branche schnell erholt. Der VW-Konzern entwickelte sich zum weltgrößten Autobauer. Die »Premiummarken« Mercedes, BMW, Audi und Porsche haben im Luxussegment mit einem Marktanteil von mehr als 80% eine globale Führungsrolle errungen. Besonders in China fanden die deutschen Luxuskarossen einen reißenden Absatz.

Gleichzeitig wurden immer wieder Skandale offenkundig. Neben der Manipulation der Abgaswerte kamen Vorwürfe der »Kartellbildung« auf den Tisch. Ein kurzer Blick zurück: Im November 2006 präsentieren der damalige VW-Markenchef Wolfgang Bernhard, Mercedes-Technikvorstand Thomas Weber und Wolfgang Hatz von Audi in Los Angeles ihre Diesel-Motoren-Allianz mit dem Namen »Bluetec«. Mit Hilfe des Harnstoffs sollen die Abgase von giftigen Stickoxiden gereinigt werden, sodass der Diesel endlich die strengen US-Grenzwerte einhalten kann. Der Deal platzt, weil dem Wolfsburger VW-Konzern der Einbau der neuen Technik zu teuer gewesen sein soll. Die gescheiterte »Bluetec-Allianz« war möglicherweise jedoch der Beginn von Absprachen unter den großen deutschen Autoherstellern. Die »Vereinigten deutschen Motorenwerke« führten im Verborgenen ihre Zusammenarbeit fort.

Durch eine Art Selbstanzeige des Daimler- sowie des VW-Managements bei den deutschen Kartellbehörden wurde öffentlich, dass sich die fünf OEM’s über viele Jahre in »kartellartigen« Arbeitskreisen über Technik, Kosten und Zulieferer abgestimmt haben. Teil der Absprachen soll auch die Abgasreinigung von Dieselfahrzeugen gewesen sein. Ein Ergebnis war anscheinend die Verständigung darauf, die Tanks für das Reduktionsmittel »AdBlue« aus Kostengründen klein zu dimensionieren, mit der Folge, dass die Abgasreinigung ständig abgeschaltet werden muss. Damit wurde der Keim von »Dieselgate« gelegt.

Das Netzwerk

Die Automobilindustrie ist mit ihren ca. 811.000 Arbeitsplätzen und einem Umsatz von über 450 Milliarden Euro eine der wichtigsten Schlüsselindustrien in Deutschland. Die Branche hat ein weit überdurchschnittliches Gewicht für die gesamte Wertschöpfung: Dazu zählen nicht allein die Autohersteller, sondern auch Unternehmen aus der Metall-, der Kunststoff- und Chemieindustrie, die Vorleistungen für die Endhersteller erbringen. Es kommen noch einmal »rund 700.000 indirekt Beschäftigte« hinzu, so Christian Rammer vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim (Zeit online, 24.7.2017).

Die Lobbyisten bringen die ökonomische Bedeutung dieser Branche effektvoll ins Spiel, wenn die »Gefahr« allzu strenger Umweltauflagen ins Haus steht. Mit Hinweis auf die Gefährdung der »Arbeitsplätze unserer Automobilhersteller« in Deutschland hatte VDA-Präsident Wissmann in einem Brief an die Bundeskanzlerin im Mai 2013 – die »liebe Angela« – darum gebeten, sie möge sich doch in Brüssel gegen eine »sehr ambitionierte und in weiten Teilen unausgewogene« CO2-Regulierung einsetzen. Die Bundesregierung grätschte dazwischen und hebelte den zwischen den EU-Staaten ausgehandelten Deal aus.

Auch im Wegschauen waren die politischen Interessenvertreter gut. Während es in den USA wegen des Diesel-Skandals bei 550.000 Fahrzeuge für VW Milliardenstrafen hagelte – etwa 18 Milliarden Euro Entschädigung an Kunden und Händler und vier Milliarden Euro Strafen – geschah in Deutschland nichts. Das zuständige Kraftfahrtbundesamt (KBA) und das Bundesverkehrsministerium (BMVI) ignorierten jahrelang Hinweise und Warnungen von Kritikern und Umweltverbänden. Weiterhin können Tonnenschwere SUVs dank Dienstwagenprivileg voll von der Steuer abgesetzt werden – nach dem Motto: Je schwerer, schneller und teurer, desto mehr Steuern lassen sich sparen.

Neuanlauf für neue Mobilitätskonzepte?

Wie weiter? Im Prozess der Abwägung zwischen Klimazielen und Standortsicherung heißt es jetzt wieder: Gerade, weil Deutschland ehrgeizige Klimaziele verfolge, müsse man die besten Technologien für die Übergangszeit nutzen. Neben Hybridantrieben und effizienten Ottomotoren hätte auch der Diesel eine wichtige Rolle zu spielen, ist vor zu hören. Bei Modellen der neuesten Generation sei es gelungen, den Stickoxidausstoß massiv zu reduzieren; dadurch, dass sie ein Fünftel weniger Sprit als ein Benziner verbrauchen, würden sie viel weniger von dem Treibhausgas Kohlendioxid ausstoßen.

Dagegen führe der aktuelle Absatzeinbruch bei Dieselfahrzeugen (3) wieder zu mehr Benziner-Zulassungen, was den CO2-Ausstoß erhöhe. Das Verfehlen der Klimaziele werde damit noch dramatischer. Deshalb plädiert der baden-württembergische IG Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger für »einen Dreiklang aus den besten Umweltstandards, einer wettbewerbsfähigen Autoindustrie an der Weltspitze und vieler attraktiver Arbeitsplätze für die Menschen«. Schon jetzt sei die Verunsicherung in den Betrieben groß und die Sorge um die Zukunft der Arbeitsplätze wachse täglich.

Doch reicht dieser Ansatz von Reformen, oder müssen schneller größere Schritte gegangen werden? Ganz offenkundig ist die deutsche Automobilindustrie nicht darauf vorbereitet, wenn China ernst damit macht, schnell – eher disruptiv – auf Elektroantriebe umzuschalten. So schnell, wie die der chinesische Markt von den deutschen Premium-Produzenten »erobert« wurde, so schnell können sie abgehängt werden. Und was die »besten Umweltstandards« anbelangt: Nahezu täglich wächst die Liste jener Städte und Regionen, die dringenden Handlungsbedarf wegen weit überschrittener Grenzwerte einfordern.

Die fundamentalen Umbrüche in der Branche – Elektromobilität, autonomes Fahren, digitale Netzwerkarchitekturen im Rahmen von Industrie 4.0 und damit insgesamt neue Wertschöpfungsketten – sollten Anlass sein, tatsächlich neue Wege in Richtung nachhaltiger Mobilitätskonzepte zu gehen. In einer »Erklärung« anlässlich des »Auto-Gipfels« haben IG Metall und die Auto-Gesamtbetriebsratsvorsitzenden wirksame Maßnahmen zur Entlastung bei Kohlendioxid (CO2) und Stickoxiden in Ballungszentren gefordert.

Notwendig seien eine Mobilitäts- und Energiewende: »flächendeckende Einführung klimaneutraler Antriebskonzepte« einschließlich der »zugehörigen Energie- und Ladeinfrastruktur«, »Nutzung technologischer Digitalisierungsoptionen bei Fahrzeugen und Verkehrssystemen«, deutlich ausgebautem öffentlichen Personennahverkehr – per Saldo Mobilitätskonzepte für ökologische Nachhaltigkeit«.

Mit der umweltpolitischen und sind zugleich eine ordnungspolitische Neuorientierung verbunden. Zu recht hat der »Wirtschaftsweise« Peter Bofinger die Frage aufgeworfen, »wieso die seit Jahren bei einer zentralen Technologie bestehenden Probleme, die nur mit krimineller Energie beherrscht werden konnten, nicht Anlass genug gegeben haben, sich verstärkt um Innovationen zu bemühen«? (4) Innovation, Beschäftigung und Umwelt gebieten, Mobilität und Infrastruktur auf einem tatsächlich nachhaltigen Pfad zu definieren und sich dabei von den Dogmen der Markteffizienz zu lösen – industriepolitisch offensiv und nachhaltig.

Gekürzter Artikel von Otto König, ehemaliger 1. Bevollmächtigter der IG Metall (Hattingen) und Richard Detje, Redakteur der Zeitschrift Sozialismus (Hamburg in der Zeitschrift Sozialismus September 2017

Anmerkungen

(1) Verkehrsminister Alexander Dobrindt hatte mit Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) die Chefs der großen Autokonzerne sowie Branchenverbände und die IG Metall am 2. August 2017 zu einem Gipfel nach Berlin eingeladen. Auch neun Länder-Ministerpräsidenten waren bei dem Treffen anwesend.
(2) Zwölf Millionen Diesel-Pkws sind in Deutschland zugelassen. Davon haben rd. neun Millionen die Abgasnormen 5 und 6, die für eine Umrüstung in Frage kommen. Mit diesen Normen – nach Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen – sind die Abgas-Grenzwerte geregelt, die Pkws einhalten müssen, um in der EU eine Typgenehmigung zu bekommen. Autos ohne eine solche Typgenehmigung dürfen in der EU nicht zugelassen werden.
(3) Laut Kraftfahrt-Bundesamt schrumpften im Juli 2017 die Neuzulassungen von Dieselfahrzeugen um fast 13%. Dagegen legten Verkäufe von Benzinern zu. Ihr Anteil liegt inzwischen bei 56%, während Dieselautos nur noch etwas mehr als 40% ausmachen – Tendenz weiter fallend.
(4) Peter Bofinger: Mehr Zentralismus wagen! In: FAS, 13.8.2017

„Dieselgate“ – Foto: dpa

 

 

 

 

 

 

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