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Debatte über Rüstungskonversion fortsetzen

Der Delegierte Wolfgang Räschke machte auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall im Oktober 2015 in Frankfurt a.M. eine nachdenkliche Rechnung auf: Jeder Diskutant habe sieben Minuten Redezeit und alle 14 Minuten sterbe ein Mensch durch eine Kugel aus den Läufen der süddeutschen Rüstungsschmiede Heckler & Koch (H&K) in Oberndorf am Neckar. »Zwei Redner, ein Toter«, stellte der IG Metall-Bevollmächtigte der Geschäftsstelle (GS) Salzgitter-Peine fest und forderte vehement ein »Verbot von Waffenexporten«.

Wie notwendig diese Forderung ist, belegt ein Schreiben von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) an die Abgeordneten des deutschen Bundestages. Daraus geht hervor, dass der Bundessicherheitsrat, der geheim tagende Ausschuss des Bundeskabinetts, u.a. die Ausfuhr von 48 Granatmaschinenwaffen, 1.600 vollautomatischen Gewehren und 100 Maschinenpistolen des Waffenproduzenten H&K an das Sultanat Oman im Wert von 3,1 Millionen Euro genehmigt hat (Zeit online, 9.11.2015).

Tatsächlich gibt kaum eine Krisenregion in der Welt, in der nicht Kleinwaffen »Made in Germany« im Gebrauch sind, obgleich diese auf Grund deutscher und europäischer Exportrichtlinien dort nicht zum Einsatz kommen dürften, weil dort Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind. Das todsichere Geschäft blüht.

Die IG Metall ist nicht nur wegen einschlägiger Satzungsbestimmungen Teil der Friedensbewegung. Während in den 1950er Jahren ihre Mitglieder gegen die Wiederbewaffnung kämpften, demonstrierte in den 60ern insbesondere die Metall-Jugend auf den Ostermärschen gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr und in den 80er Jahren beteiligten sich IG MetallerInnen am hundertausendfachen Protest in Bonn gegen die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen.

Lagen auf dem Gewerkschaftstag in Karlsruhe 2011 nur drei Anträge zum Thema »Frieden und Abrüstung« vor, waren es vier Jahre später in Frankfurt 24 Anträge – aus Geschäftsstellen wie Frankfurt, Gevelsberg-Hattingen, Hagen, Hamm, Hamburg und Peine-Salzgitter. Darin wurde ein »intensiveres friedenspolitisches Engagement« angemahnt und »Initiativen zur Rüstungskonversion« und damit »Alternativen für die Beschäftigung« eingefordert.

Wie die Sicherung der Arbeitsplätze der rund 20.000 Beschäftigten in rund 100 bundesdeutschen Waffenfabriken mittel- und langfristig gewährleistet werden kann, stand auf dem Gewerkschaftstag im Mittelpunkt einer kontroversen, aber sachlichen Debatte. Die Delegierten rangen um die Überbrückung des Widerspruchs zwischen dem friedenspolitischen Engagement der IG Metall und der Sorge der Beschäftigten um ihre Arbeitsplätze.

Parallel zur Gewerkschaftstagdebatte verabschiedete das Bundeskabinett den Bericht über Rüstungsexporte im ersten Halbjahr 2015. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der vor über einem Jahr mit der Bemerkung, »der Erhalt von Arbeitsplätzen ist kein Argument für die Genehmigung von Waffenexporten« (Hamburger Abendblatt v. 5.7.2014) und dem Vorhaben, »die Ausfuhr von Kriegsgerät (künftig) restriktiver zu gestalten«, einen Proteststurm der Vorstandschefs der Rüstungskonzerne auslöste, genehmigte nun in seiner Funktion als Wirtschaftsminister Ausfuhren im Wert von 6,35 Milliarden Euro. Das sind so viele Rüstungsexporte wie im gesamten Jahr 2014.

»60 Millionen Menschen sind auf der Flucht vor Krieg, Unterdrückung und Sklaverei«, betonte die Schwäbisch-Haller Bevollmächtigte Heidi Scharf, während Deutschland »nach wie vor Waffen in diese Krisen- und Kriegsgebiete« liefere. Zwischen »der Fluchtbewegung und der Rüstungsproduktion« bestehe ein Zusammenhang. »Flüchtlinge willkommen heißen – das ist das eine; dafür zu sorgen, dass die Menschen gar nicht erst flüchten müssen, das ist genauso wichtig«, pflichtete ihr Wolfgang Räschke bei.

Die Gewerkschaftsdelegierten teilten diese Einschätzungen und beschlossen einen Antrag aus Hamburg, in dem der Vorstand der IG Metall aufgefordert wird, sich bei der Bundesregierung dafür einzusetzen,

> die Rüstungsausgaben deutlich zu senken,
> jegliche direkte oder indirekte Unterstützung von Kriegen oder kriegsähnlicher Handlungen zu unterlassen
oder zu beenden,
> keinen Krieg oder kriegsähnliche Handlungen um Rohstoffe zu führen,
> den sofortigen Rückzug der Bundeswehr aus allen Kampfeinsätzen zu vollziehen, soweit sie nicht durch
UN-Mandat legitimiert sind,
> den Rüstungsexport in Krisenländer zu unterlassen und
> Projekte der Rüstungskonversion mit einem Konversionsfonds zu unterstützen.

Die Wiederaufnahme der Diskussion über die Umstellung der Produktion von Rüstungsgütern auf zivile, gesellschaftlich nützlich Produkte ist dringend erforderlich, um Unternehmen mit hohem Rüstungsanteil langfristig unabhängig von derartigen Aufträgen zu machen. Die Konversionsdebatte müsse in den Rüstungsbetrieben von den Vertrauensleuten und Betriebsräten mit den Betroffenen geführt werden, lautet die Beschlussfassung. Die IG Metall muss in dieser Debatte eine aktive und steuernde Rolle übernehmen.

In der Debatte wurde deutlich, dass der Satzungsauftrag der IG Metall, sich für Frieden, Abrüstung und Völkerverständigung einzusetzen, nicht dem Arbeitsplatzargument untergeordnet werden darf, dennoch aber die Arbeitsplatzangst der Betroffenen ernst genommen werden muss. Gerade deshalb plädierten KollegInnen wie Hamm, Räschke und Scharf für die Wiederaufnahme der Diskussion über Rüstungskonversion.

Mit der Rüstungskonversion soll »an der Qualifikation und an der Kompetenz der Beschäftigten« angesetzt werden, schließlich sei es das »Ziel, dass diese Menschen weiterhin eine gute Arbeit, ein gutes Einkommen und einen Arbeitsplatz haben«. Mit dem hohen Know-how der Beschäftigten müsse es möglich sein, »auch in andere Richtungen zu forschen und in andere Richtungen Produkte zu entwickeln, die nicht für die Rüstung und nicht in Kriegen einge-setzt werden«, sagte Heidi Scharf. Und Roland Hamm unterstrich: »Eine nachhaltige Konversion« ist »ohne staatliche Begleitung nicht zu schaffen«. (1)

DiskussionsrednerInnen aus Rüstungsbetrieben bzw. den zuständigen IG Metall-Geschäftsstellen unterstellten den »Konversionsbefürwortern«, sie wollten die Beschäftigten in die »Schmuddel-Ecke« schieben bzw. deren Arbeitsplätze gefährden. Beim vergeblichen Versuch, die Realisierungschancen der Rüstungskonversion zu konterkarieren, lieferten sie jedoch selbst »unfreiwillig« Beispiele von gelungenen Projekten.

So wies der Augsburger IG Metall-Bevollmächtigte Michael Leppek darauf hin, dass »Airbus Helikopter« am Standort Donauwörth sowohl »Militär- wie zivile Rettungshubschrauber« fertige oder »Premium Aerotec« in Augsburg, vor einigen Jahrzehnten noch ein rein militärischer Betrieb, heute »mit über 80 Prozent zivilem Anteil Airbus-Produkte« herstelle. Und am Augsburger Standort der Renk AG werden zwischenzeitlich nicht nur Getriebe für Militärfahrzeuge montiert«, sondern »auch für Windenergie und Prüfstände für die Automobilindustrie«.

Petra Wassermann, die Erste Bevollmächtigte der GS Ulm, berichtete von Erfahrungen mit Rüstungskonversions-Projekten bei Airbus am »Radarstandort« Ulm: »die Kolleginnen und Kollegen dort, die die IG Metall-Fahnen seit vielen Jahren hochhalten«, hätten »Abstandssensoren« entwickelt und sich »mit der Spracherkennung für Fahrzeuge« beschäftigt.

Woran Umstellungsprojekte von militärischer auf zivile Produkte in der Vergangenheit in den Betrieben scheiterten, brachte der stellv. Betriebsratsvorsitzende der Thyssen Krupp Marine Systems, Achim Haas, auf den Punkt: »Die Manager wollen keine Einmischung, schon gar nicht von IG Metall und Betriebsräten. Ihr Ziel war und ist es, mehr zu exportieren.«

Tatsächlich scheiterte die Realisierung von Konversionsprojekten bisher im Wesentlichen aus zwei Gründen: Zum einen ist die Produktion von Rüstungsgütern trotz Auftragsrückgängen immer noch überdurchschnittlich profitabel; so sind es besonders die politischen Anreize des Staates – neue Beschaffungsprogramme für die Bundeswehr und Lockerung der Genehmigung für Waffenexporte – die die Unternehmen in den lukrativen Rüstungsmarkt ziehen.

Zum anderen wird die Mitbestimmung von Beschäftigten und Interessenvertretungen über die Produktpalette – das »Was«, »Wie« und »Wo« der Produktion – von Eigentümern und Management als Eingriff in das unternehmerische Entscheidungsmonopol strikt abgelehnt.

Mit Blick auf die dem Gewerkschaftstag vorgelegten Anträge und die zu erwartenden Debatten hatte der Vorstand der IG Metall im Oktober die Erarbeitung eines betrieblichen Handlungsleitfadens für Innovations- und Diversifikationsprojekte, die Durchführung betrieblicher und regionaler Workshops in Zusammenarbeit mit Verwaltungsstellen und die Entwicklung eines Strategiepapiers aus deren Ergebnisse beschlossen.

Ziel sind realistische Ansätze in der wehr- und sicherheitstechnischen Industrie, die sich seit den 1990er Jahren im strukturellen Wandel befindet, zur Ablösung einseitiger Abhängigkeiten von der Rüstungsproduktion. Das Bundeswirtschaftsministerium sei gefordert, einen Fonds für Diversifikation und Konversion einzurichten.

Aus Frankfurt ging das klare Signal aus: »Refugees welcome!«, d.h. aber auch Fluchtursachen bekämpfen und den Nachschub von Waffen durch Verbot von Waffenexporten verhindern bzw. erschweren. Und gleichzeitig den Widerstand der gewerkschaftlichen Kräfte und friedenspolitischen AktivistInnen gegen die ideologisch motivierte politische Blockade der Rüstungsindustrie im Zusammenhang mit der Umstellung auf zivile Produkte zu mobilisieren – im Interesse einer friedlichen Zukunft.

(1) Diese und die folgenden Wortbeträge sind dem »Tagesprotokoll« vom 22.10.2015 des 23. Ordentlichen Gewerkschaftstages der IG Metall entnommen.

Gekürzter Artikel von Otto König, ehemaliger 1. Bevollmächtigter der IG Metall (Hattingen) und Richard Detje, Redakteur der Zeitschrift Sozialismus (Hamburg) in der Zeitschrift Sozialismus 1/2016
Foto: Frieden schaffen – Foto: dpa

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