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Demokratie am Arbeitsplatz

Alle vier Jahre werden sie gewählt: die Betriebsräte. Vom 1 März bis 31. Mai entscheiden die Arbeitnehmer*innen darüber, welche ihrer Kolleg*innen ihre Interessen im Betrieb vertreten, wenn es beispielsweise um die Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen, die Durchsetzung von Gesundheitsprogrammen oder um Kündigungen bzw. Mobbing geht. Im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen um den Erhalt von Arbeitsplätzen können Betriebsräte unter Nutzung ihrer Informations- und Mitbestimmungsrechte auch alternative Modelle zur Beschäftigungssicherung mit den Beschäftigten entwickeln und vorantreiben.

Während Mitbestimmung für Arbeitnehmer*innen ein Stück Demokratie zur Gestaltung ihrer Arbeits- und damit ihrer Lebensbedingungen ist, ist sie für Arbeitgeber meist eine lästige Beschränkung von Direktionsrechten. Deshalb: Diejenigen die sich an der Wahl beteiligen, nehmen nicht nur ein Grundrecht in Anspruch, sondern stärken zugleich eine zentrale Institution, die auf betrieblicher Ebene Voraussetzungen für kollektiven Schutz und demokratische Beteiligungsmöglichkeiten schafft. Dies ist in einer Zeit weitreichender Umbrüche in der Arbeitswelt wichtiger als zuvor.

Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) sieht vor, dass in Betrieben mit mindestens fünf ständigen wahlberechtigten Arbeitnehmer*innen ein Betriebsrat gewählt werden kann. Es gibt allerdings keine Pflicht, dass dies tatsächlich geschieht. Und da es keine Berichtspflicht gibt, ist die Datenlage relativ unsicher. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) spricht von 180.000 Betriebsratsmitgliedern in rund 28.000 Betrieben. Allein im Organisationsbereich der IG Metall sind nach Angaben der Gewerkschaft 78.000 Betriebsratsmandate in rund 11.000 Betrieben zu vergeben.

Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesarbeitsagentur für Arbeit (1) gab es 2016 nur in neun Prozent der Betriebe (West wie Ost) einen Betriebsrat. Die Abhängigkeit von der Betriebsgröße ist eindeutig. Während nur fünf Prozent der Betriebe im Westen und sechs Prozent der Betriebe im Osten mit bis zu 50 Beschäftigte einen Betriebsrat aufweisen, ist es in Großbetrieben über 500 Beschäftigte annähernd umgekehrt: 82% mit Betriebsrat im Westen und sogar 95% in den ostdeutschen Bundesländern.

In den betriebsratsfreien Betrieben werden die Konflikte »systematisch individualisiert«, was die Beschäftigten mit unterschiedlicher Härte zu spüren bekommen. Die »ausbeutungsartigen« Arbeitsbedingungen, die geringe Entlohnung und die systematische Verletzung der menschlichen Würde durch repressives Managementverhalten tragen andererseits aber auch dazu bei, dass Belegschaften gerade im Segment der von prekären Arbeitsbedingungen geprägten Dienstleistungen wie z.B. Call-Center, Logistik, Systemgastronomie, Lieferdiensten die »Angstkultur« überwinden und Betriebsräte gründen.

In Betrieben mit Betriebsräten profitieren in der Regel beide Seiten von einer funktionierenden Mitbestimmung. Dennoch gibt es Situationen, in denen die positiven Effekte durch Konflikte zunichte gemacht werden. Vor allem dann, wenn Manager eher an kurzfristiger Profitmaximierung wie beispielsweise im aktuellen Konflikt im Siemens-Konzern als an dauerhafter Zusammenarbeit interessiert sind oder Mitbestimmung grundsätzlich ablehnen, weil sie um Status und Macht fürchten.

Zwar machen sich Anteilseigner oder Manager, die Betriebsratswahlen behindern, nach § 119 BetrVG strafbar, dennoch gehen Arbeitgeber nach einer Analyse des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) (2) aggressiv gegen Neugründungen von Betriebsratsgremien vor. Sie verhindern die Bestellung von Wahlvorständen, schüchtern Kandidat*innen ein oder drohen mit Kündigung. In rund der Hälfte der in der WSI-Auswertung dokumentierten Fälle haben die Unternehmer bei ihren Störaktionen externe Dienstleistungen durch Anwaltskanzleien in Anspruch genommen, die »Betriebsrat-Bashing« und »Union-Busting« zu einem einträglichen Geschäftszweig entwickelt haben.

Neben »Psychoterror und Mobbing« droht den gewerkschaftlich orientierten betrieblichen Interessenvertreter*innen neuerdings auch Ungemach von Seiten der Neuen Rechten. Nachdem die AfD in Landtage und schließlich auch in den Bundestag eingezogen ist, nimmt vor allem deren völkisch-nationalistischer Flügel die Betriebe als neues Betätigungsfeld ins Visier. Die anstehenden Betriebsratswahlen sollen genutzt werden, um den DGB-Gewerkschaften mit eigenen Listen Konkurrenz machen.

Im Zentrum der Versuche rechter Gruppen, in Betrieben stärker Fuß zu fassen, stehen vor allem die großen Automobilproduzenten. So will der Verein »Zentrum Automobil« (ZA) und dessen Chef Oliver Hilburger, (3) der seit acht Jahren im Betriebsrat des Untertürkheimer Daimler-Werks vertreten ist und vor vier Jahren mit fast zehn Prozent der Stimmen vier Sitze gewinnen konnte, bei den kommenden Betriebsratswahlen seinen Einfluss ausbauen. Das »Zentrum« sieht sich als »alternative Arbeitnehmervertretung« zu den »Staatsgewerkschaften«.

In den Daimler-Werken Rastatt und Wörth tritt das Zentrum im März zum ersten Mal an. In Sachsen tritt Hilburgers rechte Truppe unter dem Namen »IG Beruf und Familie« bei der Betriebsratswahl im Leipziger BMW-Werk an. Auch bei Opel in Rüsselsheim und bei Audi berichten Gewerkschafter von rechten Initiativen. Zusätzlich gebe es weitere 200 Personen »in verschiedenen Branchen und Unternehmen, die verstreut über die gesamte Bundesrepublik« antreten (Süddeutsche Zeitung, 12.2.2018). Bevorzugt werden Betriebe, in denen Listenwahlen durchgeführt werden, weil hier für rechte Kandidaten größere Chancen bestehen, in den Betriebsrat einzuziehen.

Unterstützt werden diese Aktivisten vom Netzwerk der Neuen Rechten: Dazu gehört die AfD genauso wie das Magazin Compact des Rechtspublizisten Jürgen Elsässer, aber auch die Kampagne »Ein Prozent für unser Land«, die auf YouTube bei ihren Anhängern unter dem Motto »Patrioten schützen Patrioten«, dafür wirbt, bei den Betriebsratswahlen zu kandidieren: »Gewählte Betriebsräte können andere Patrioten am Arbeitsplatz schützen, ihnen weiterhelfen und so endlich die Macht linker Gewerkschaften brechen«, heißt es in dem Spot.

DGB-Chef Reiner Hoffmann stuft diese Vorgänge bislang als »Randphänomen« ein, dennoch beobachten die Gewerkschaften die Entwicklungen neuerdings genauer. Schließlich sind sie selber betroffen: Bei der Bundestagswahl im Herbst 2017 wählten 15% der Gewerkschaftsmitglieder die AfD, im Bundesdurchschnitt waren es 12,6%, in Ostdeutschland sogar 22%. Klaus Dörre, Sozialwissenschaftler an der Universität Jena, überrascht diese Entwicklung nicht: »Es gibt schon lange ein ernst zu nehmendes rechtspopulistisches Potenzial unter den Gewerkschaftsmitgliedern. Es lag nahe, dass es früher oder später hervorbrechen würde«. Dementsprechend sieht Dörre ein Potenzial für rechte Betriebsratslisten, hält es jedoch für fraglich, ob es den Rechten gelingen kann, dieses tatsächlich zu mobilisieren.

Gerade deshalb sind gewerkschaftliche Vertrauensleute, organisierte Betriebsratsmitglieder und Jugend- und Auszubildendenvertreter*innen gefordert, mit den Beschäftigten politische Diskussionen am Arbeitsplatz, in der Kantine und im Pausenraum zu führen – gemäß der Strategie »klare Kante und offene Tür«, so das geschäftsführende IG Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban. Will heißen: Rassismus und Hetze nicht dulden, aber mit den über Ungerechtigkeit zurecht Empörten über gewerkschaftliche Alternativen und gemeinsames Handeln sprechen.

Die Kandidat*innen der DGB-Gewerkschaften müssen bei den Betriebsratswahlen im März klarmachen, dass sie ihre künftige Arbeit mit und für die Beschäftigten ohne Ansehen von Geschlecht, sozialer und ethnischer Herkunft und Religion ausüben, auf größtmögliche Transparenz gegenüber ihren Wähler*innen setzen und mit ihrer Praxis deutlich machen, dass Betriebsrat ein politisches Wahlamt und keine Managementfunktion ist. Eine an den Interessen der Beschäftigten ausgerichtete gewerkschaftliche Betriebspolitik verbunden mit einer kämpferischen Tarifpolitik wie in der zurückliegenden Metalltarifrunde – eingebettet in ein politisches Mandat – sind überzeugende Argumente gegen marktradikale Unternehmensstrategien und rechtspopulistische Gewerkschaftsgegner.

Leicht gekürzter Artikel von Otto König, ehemaliger 1. Bevollmächtigter der IG Metall (Hattingen) und Richard Detje, Redakteur der Zeitschrift Sozialismus (Hamburg) in: Zeitschrift Sozialismus März 2018

Anmerkungen
(1) Ellguth, P/Kohaut S. „Tarifbindung und betriebliche Interessenvertretung“, Ergebnisse aus dem IAB-Betriebspaneel 2014, in WSI Mitteilungen 68/2015.
(2) Martin Behrens/Heiner Dribbusch: Aggressive Arbeitgeber: Jede sechste Betriebsratsgründung wird behindert, Studie des WSI 2016. 
(3) Oliver Hilburger, Daimler-Arbeiter und früherer Gitarrist der Neonazi-Band „Noie Werte“, deren Musik die Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) als Soundtrack für ein Bekennervideo genutzt hatte, vertrat bis 2007 bei Daimler die „Christliche Gewerkschaft Metall“ (CGM). 2009 gründete er das „Zentrum Automobil“ als „alternative“, „unabhängige“ und „oppositionelle“ Bewegung. Auf der Jahreskonferenz des Magazins Compact in Leipzig Im November 2017 vertrat Hilburger das klassische Argumentationsmuster der Neuen Rechten von wegen die Gewerkschaften seien vom System gekauft und würden die Interessen der Arbeitnehmer verraten.                                                                                             

Foto: Betriebsratswahlen 2014 – Auszählung der Stimmen bei der Firma Hesterberg in Ennepetal – Foto: IGM GH-Archiv

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