AktuellesArtikelPolitisches

Den Frieden gewinnen, nicht den Krieg!

Gegen die Militarisierung der Außen- und Sicherheitspolitik

Mit dem Begriff „Zeitenwende“ ist die Militarisierung der deutschen Außen- und Sicherheits-politik und ein gigantisches Rüstungsprogramm verbunden. Diese Kehrtwende in der sicherheitspolitischen Debatte wurde durch den sogenannten „Münchner Konsens“ eingeleitet. Bundespräsident Joachim Gauck, Ursula von der Leyen (damals Verteidigungsministerin) und Frank-Walter Steinmeier (damals Außenminister) erklärten auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2014:  Es gehe darum, die in Deutschland an den Tag gelegte „Kultur der militärischen Zurückhaltung“ endgültig abzustreifen und zu einer „normalen“ Großmacht zu werden. Seither ist es wieder normal geworden, dass deutsche Politiker*innen jedweder Couleur für „ihr“ Land „Führungsmacht“ einfordern.

Doch alle Plädoyers für eine stärkere „Wehrhaftigkeit“ und für eine Übernahme einer „militärischen Führungsrolle“ haben in der Bevölkerung bisher kaum gefruchtet. Schon im Mai 2014 stellte die Süddeutsche Zeitung fest: „Eine deutliche Mehrheit steht den Plädoyers von Bundespräsident Joachim Gauck, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Steinmeier, Deutschland möge sich weltweit mehr engagieren, erst mal skeptisch gegenüber.‘“ Nur 37 Prozent sprachen sich laut einer repräsentativen Umfrage der Körber-Stiftung im Mai 2014  für ein größeres deutsches Engagement aus.(1)

Deshalb setzten Akteure des militärisch-industriellen Komplexes große Hoffnungen darauf, dass die russische Invasion in der Ukraine und die „Zeitenwende“-Rede von Kanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag dazu beitragen würde, endgültig einen Gesinnungswandel in der Bevölkerung herbeizuführen. Neueste Umfrageergebnisse (2) der Körber-Stiftung belegen jedoch, dass auch heute noch ein Großteil der Bürger*innen nach wie vor bei diesem außen- und sicherheitspolitischen Kurswechsel die Gefolgschaft verweigert. 52 Prozent der Befragten wünschen sich weiterhin „mehr internationale Zurückhaltung von Deutschland“.

Das Meinungsforschungsinstitut Civey (3) kam bei einer Umfrage im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) zwei Monate zuvor zu ähnlichen Ergebnissen: 86 Prozent der Befragten befürworteten, dass sich Deutschland für eine Entspannung in der internationalen Politik und friedliche Eindämmung von Konflikten einsetzen sollte. Diplomatische Verhandlungen werden eindeutig als das wirksamste Mittel der Krisenbewältigung gesehen (87%). Explizit nach dem militärischen Eingreifen in Konflikte gefragt, lehnten dies zwei Drittel der Befragten ab. In der Bevölkerung wird der Einsatz von zivilen Mitteln für deutlich wirksamer gehalten als andere Wege.

Die Ergebnisse sind eine klare Absage auf eine allein auf die militärische Karte setzende Politik und den bellizistischen Kurs von Außenministerin Annalena Baerbock. Die Grünen-Politikerin machte sich auf der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen im Oktober in Bonn erneut für die Lieferung weiterer Waffen und schwerer Kampfpanzer an die Ukraine stark. Und beim „Berliner Forum Außenpolitik“ erteilte sie Rufen nach Verhandlungen mit Russland „eine klare Absage“ , so die Frankfurter Allgemeine Zeitung (18.10.2022) Das sei aus ihrer Sicht eine „naive Haltung“.

Da in der heutigen Welt jede Strategie, die einen Krieg militärisch gewinnen will, in einer Katastrophe zu enden droht, forderte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich gestützt auf die Ergebnisse der vorgenannten Umfragen in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“ Baerbock auf, sich stärker für eine diplomatische Lösung im Ukraine-Krieg einzusetzen. Es komme am Ende auf eine „Balance“ zwischen dem Selbstverteidigungsrecht der Ukraine und der Diplomatie an, so Mützenich. Die vergangenen Wochen hätten bewiesen, dass diplomatischer Fortschritt möglich sei: Trotz massiver militärischer Auseinandersetzungen habe ein großer Gefangenenaustausch stattgefunden und die Übereinkunft über die Getreidelieferungen sei ein „leidlicher Erfolg“.

Auf den Vorstoß des SPD-Politikers reagierte Grünen-Vorsitzender Omid Nouripour mit dem Totschlag-Argument „wer in der aktuellen Situation nach Verhandlungen rufe, helfe letztlich der russischen Seite“. (NTV 24.10.2022) Solche Positionen nannte  der Journalist Heribert Prantl in einem Kommentar im Norddeutschen Rundfunk. (9.10.2022) „fatal und unendlich töricht“.  Für Diplomatie zu werben sei „keine Parteinahme für Putin, sondern eine Parteinahme für die Vernunft“.

Obwohl die Ampel-Regierung mittlerweile Schritte eingeleitet hat, um die Militarisierung stärker in der Bevölkerung zu verankern, ist dies bis heute nicht gelungen. Zur „Umerziehung“ der Bevölkerung sollen nun die militärpolitischen „Think-Tanks“ der Bundesregierung – die  Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) und die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) – konkrete Beiträge leisten. So wirbt die MSC mit einer neuen bundesweiten Kampagne um Akzeptanz für die brand-gefährliche Außen- und Militärpolitik der Bundesregierung. Diese Neuausrichtung soll unter dem Titel „Zeitenwende on tour“ in Bürgerdialogen und Redaktionsgesprächen an Multiplikatoren aber auch an Schulen vermittelt werden. Gefördert und unterstützt wird das Projekt vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, der Deutschen Atlantischen Gesellschaft und der Gesellschaft für Sicherheitspolitik.

Ein neues Strategiepapier der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) liefert für diese Debatte das geistige Rüstzeug. Die fokussierte Ausrichtung der Bundeswehr auf die sogenannte Landes- und Bündnisverteidigung – in der Praxis also auf einen Krieg gegen eine Groß- bzw. Nuklearmacht, etwa gegen Russland – soll um einen Mentalitätswandel ergänzt werden. Die Autoren fordern: Das Bild von Soldat*innen als wehrhafte Verteidiger des Grundgesetzes, der Freiheit und Demokratie“ müsse stärker propagiert werden. Das „Durchstehen außerordentlicher Entbehrungen“ müsse in den Mittelpunkt gestellt werden. Deutsche Soldaten seien, sollte es zu einem Krieg gegen eine Großmacht („Bündnisverteidigung“) kommen, mit einer völlig neuen Lage konfrontiert: Hätten sie in den bisherigen Einsätzen in „gut gesicherten Feldlagern“ noch „eine relative Sicherheit“ genossen, so sei nun die Bereitschaft zum „Durchstehen außerordentlicher Entbehrungen“ und „zum Kampf“ gefragt, heißt es in dem Papier.

Weiter heißt es: Das „potenzielle[…] Kämpfen, Töten und Sterben der eigenen Mitmenschen in Uniform“ seien „zentrale[…] Aspekte des Soldat-Seins“; eine angemessene „Befassung“ mit ihnen sei bislang ausgeblieben. Künftig müssten sie nun „in aller Ehrlichkeit in die gesellschaftliche Wahrnehmung sowie in die Mitte des soldatischen Selbstverständnisses gehoben werden“.

Der Krieg in der Ukraine dauert schon über acht Monate an. Es droht ein Zermürbungskrieg. Die militärische Auseinandersetzung, hat nicht nur großes Leid in der Ukraine erzeugt, sondern auch eine weltweite Katastrophe ausgelöst. Sie bedroht die Menschen in der „Dritten Welt“ mit Hunger, in den reichen Industrieländern erzeugt die Inflation und Energiekrise Kostensteigerungen und sozialen Druck.

Vor 60 Jahren, im Oktober 1962, brachte die „Kuba-Krise“ die Welt an den Rand eines mit Atomwaffen geführten Dritten Weltkriegs. Der eskalierende Ukraine-Krieg lässt die atomare Gefahr wieder konkret werden. Diese Gefahr wird nicht von Leopard-Panzern und einem neuen Soldatenbild abgewendet, sondern durch Verhandlungen. Und das beginnt mit Reden. Es darf nicht sein, dass Reden von vornherein als sinnlos erachtet wird. Es ist endlich an der Zeit, dass Verhandlungsmandate ergriffen werden, mit dem Ziel, einen Waffenstillstand herbeizuführen, um auf dieser Grundlage Gespräche zu einer Friedenslösung aufzunehmen. Es geht darum, den Frieden zu gewinnen – nicht den Krieg.

Autor: Otto König

Anmerkungen

(1)Durchgeführt wurde die Umfrage von der Körber-Stiftung im April und Mai 2014, die auch in den folgenden Jahren die Befindlichkeit in Sachen „Führungsmacht Deutschland“ abfragte.
(2) Die repräsentative Umfrage wurde im Auftrag der Körber-Stiftung von Kantar Public im August 2022 durchgeführt. Es wurden 1.088 Bürger*innen ab 18 Jahren befragt. The Berlin Pulse 2022/23. koerber-stiftung.de.
(3) In einer repräsentativen Umfrage hat das Meinungsforschungsinstitut Civey im Auftrag der FES 2.500 Bürger*innen vom 3. bis 6. Juni zu ihren Einstellungen zur Außenpolitik befragt.
(4) Philipp Fritz, Dominik Steckel: Mindset LV/BV: Das geistige Rüstzeug für die Bundeswehr in der Landes- und Bündnisverteidigung. Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Arbeitspapier 9/22.

Weitere Artikel

Back to top button
Close