Der blanke Hass
»Unsere Stadt – Unsere Regeln«, mit dieser Losung marschierte eine Allianz aus Hooligans, Mitgliedern der rechten Parteien NPD und der »Der 3. Weg«, Aktivisten der Identitären Bewegung, Reichsbürger, Anhänger von AfD und Pegida sowie der Pro-Chemnitz-Bewegung durch Chemnitz, der drittgrößten Stadt des Freistaats Sachsen.
Es war eine Mischung aus aggressiven Schlägertypen und Mitläufern, sogenannten »besorgten Bürger*innen«, die einen Tötungsdelikt instrumentalisierten, um pogromartig gegen Migrant*innen vorzugehen. Die Verbindungen »zwischen rechten Hooligans, organisierten Rechtsextremen und rassistisch motivierten Wutbürgern sind äußert kurz«, so David Begrich, Experte für Rechtsextremismus beim Magdeburger Verein »Miteinander«.
Vorausgegangen war ein Konflikt auf dem Chemnitzer Volksfest, in dessen Folge ein Mann getötet und zwei weitere schwer verletzt wurden. (1) Obwohl der genaue Anlass der Auseinandersetzung bisher unbekannt ist, schlachtete der rechte »Volkszorn« den gewaltsamen Tod für ihre rassistischen Zwecke aus. Das Leitmotiv formulierte der AfD-Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier auf Twitter: »Wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen kann, gehen die Menschen auf die Straße und schützen sich selbst. Heute ist es Bürgerpflicht, die todbringende ›Messermigration‹ zu stoppen!« Dahinter steht die verbreitete Erzählung über die angebliche Häufung von Messerattacken durch Migranten.
Den Demonstrierenden ging es nicht um den getöteten Tischler Daniel H. Sie trieb der blanke Hass auf Migrant*innen; sie skandierten »Wir sind das Volk« sowie Parolen wie »Ausländer raus«, »elendes Viehzeug« und »deutsch, sozial und national«. Mit dem Ruf »Kanakenklatschen!« attackierten Neonazis und Hooligans Bürger*innen, die sie für Migranten hielten mit Fußtritten und jagten sie durch die Straßen. Dabei wurde der für die faschistische Nazi-Diktatur stehende Gruß »Heil Hitler« gezeigt und gegrölt.
In einem Interview mit dem Schweizer Rundfunk (28.08.2018) erläuterte der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer, dass vier Faktoren zusammenwirken müssen, damit sich eine solche Gewaltszenerie entwickeln könne: Erstens eine latent menschenfeindliche Grundstimmung in Teilen der Stadt. Zweitens eine gewaltbereite rechtsextreme Szene. Drittens eine effektive und professionelle Mobilisierung über soziale Netze, zum Beispiel mit Hilfe von Gerüchten. Und viertens ein emotional ausbeutbares Signalereignis. Das war in diesem Fall die Messerattacke.
Hinzu kommt, dass der parlamentarische Arm der Rechten – die AfD – dieses Verhalten legitimiert, indem sie die aggressiven Handlungen als Verteidigung bzw. Notwehr gegen die »Invasoren« (Flüchtlinge) darstellt, die »unser Land« zerstören wollen. So hetzt die AfD unverhohlen gegen Migranten und schreckt nicht davor zurück, den Toten in Chemnitz schamlos zu instrumentalisieren, (2) während der braune Mob durch die Straßen zieht. Der Parteivorsitzende der AfD, Alexander Gauland, rechtfertigt die Menschenjagden mit den Worten: »Wenn eine solche Tötungstat passiert, ist es normal, dass Menschen ausrasten«.
Die Methode, Gewalt zu rechtfertigen, ist ein zentraler ideologischer Schachzug der neuen Rechten. Alice Weidel, stellvertretende Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, wirbt zwar für friedlichen Protest als »Mittel der Stunde«, behauptet aber zugleich: »Das Abschlachten geht immer weiter.« Wer so den Tod des in Chemnitz Erstochenen kommentiert, hat weder Trauer noch Rechtsstaat im Sinn, sondern ergötzt sich an den Szenen, die er mit heraufbeschwört hat.
So wie der parlamentarische Fraktionsgeschäftsführer der AfD, Hans-Jörg Müller, der verbreitete, wer am »Genozid an uns Deutschen« mitmache, sei ein »unverbesserlicher, verblendeter antideutscher Rassist«, und wer sich, wie die »einfachen Bürger der Mitte der Gesellschaft in Chemnitz« dagegen wehre, sei ein »Demokrat und Verteidiger menschlicher Werte«. Eine unverhohlene Drohung setzte die AfD-Fraktion Hochtaunuskreis auf Facebook: »Bei uns bekannten Revolutionen wurden irgendwann die Funkhäuser sowie die Presseverlage gestürmt und die Mitarbeiter auf die Straße gezerrt. Darüber sollten die Medienvertreter hierzulande einmal nachdenken, denn wenn die Stimmung endgültig kippt, ist es zu spät.« (NZZ 30.08.2018)
Die »pogromartige« Menschenjagd in Chemnitz hat erneut gezeigt, wie groß inzwischen die Gewaltbereitschaft am rechten Rand der Gesellschaft geworden ist. Und wie unverantwortlich es ist, den Rechtsextremismus zu verharmlosen. In Sachsen hallt anscheinend noch immer die fragwürdige Einschätzung des ehemaligen CDU-Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf nach, nach der die Sachsen »völlig immun gegenüber rechtsradikalen Versuchungen« seien. Politisch Verantwortliche haben in den vergangenen Jahren trotz heftiger Ausschreitungen gegen Flüchtlingsunterkünfte – dafür stehen u.a. die Namen Heidenau, Clausnitz, Freital und Bautzen – sowie einschlägiger Hetze und Hass im Internet immer wieder die Augen vor den Gefahren des Rechtsextremismus verschlossen.
Offenbar gilt nach wie vor, was der Schriftsteller Ralph Giordano 1992 im Spiegel feststellte: »Die deutschen Konservativen und ihre Führungsriege sind unfähig, sich von rechts wirklich bedroht zu fühlen. Für sie steht der eigentliche Feind immer noch links. Rechts – das sind irgendwie ungezogene Verwandte.«
Das erinnert an ein wenig an das Theaterstück »Der Biedermann und die Brandstifter« des Schweizer Schriftstellers Max Frisch, in dem dieser das Verhalten des Haarwasserfabrikanten Biedermann schildert, der einerseits Angst vor Brandstiftern hat, aber andererseits zwei verdächtigen Männern Obdach in seinem Haus gibt. Selbst als diese Kanister auf seinen Dachboden schleppen, will er nicht glauben, dass sie vorhaben, sein Haus anzuzünden. »Man muss Vertrauen haben«, sagt Biedermann, »man soll an das Gute in den Menschen glauben, nicht an das Böse – und überhaupt.«
Dabei fühlen sich die tatsächlichen »Brandstifter«, die rechtsextremen Kräfte, zusätzlich durch die flüchtlingsfeindliche Politik der »Biedermänner« aus den Regierungsparteien ermutigt. Beispielsweise durch die bayrische CSU, die immer wieder ein Schreckensbild von Deutschland an die Wand malt, das der Asylsuchenden nicht mehr Herr werden kann, das seine Grenzen vor »Asyl-Tourismus« nicht mehr zu schützen vermag.
Wer in dieser oder in anderen Parteien davon spricht, dass wegen der Zuwanderung der Rechtsstaat nicht mehr funktioniere; wer behauptet, Migration und ihre Folgen eröffne rechtsfreie Räume; wer im Zusammenhang mit der Zuwanderung gar das große Wort vom Staatsversagen im Munde führt, der lässt zu, dass »Benzinkanister« transportiert werden.
Eine solche Politik spielt den Kräften in die Hände, die in Chemnitz und anderswo ihr Unwesen treiben. »Wehret den Anfängen“ hieß es früher. Es sind jedoch keine Anfänge mehr. Die zivilgesellschaftlichen Kräfte – Gewerkschaften, soziale Bündnisse und Wohlfahrtsverbände, linke und demokratische Parteien – müssen sich zur Wehr setzen und klare Kante in der Auseinandersetzung mit den Rechten zeigen.
Artikel von Otto König, ehemaliger 1. Bevollmächtigter der IG Metall (Hattingen) und Richard Detje, Redakteur der Zeitschrift Sozialismus (Hamburg)
Anmerkungen
(1) Nach Angaben der Polizei war es auf dem Stadtfest Sonntagfrüh, am 26.08.2018 um 3:15 Uhr zu einer »tätlichen Auseinandersetzung zwischen mehreren Personen unterschiedlicher Nationalitäten gekommen«. Dabei wurden drei Männer im Alter von 33, 35 und 38 Jahren schwer verletzt. Der 35-jährige Daniel H. erlag später im Krankenhaus seinen Verletzungen. Als Tatverdächtige sitzen ein Syrer und ein Iraker in Untersuchungshaft. Kurze Zeit später wurde der Haftbefehl gegen die beiden von einem Dresdener Justizvollzugsbeamten fotografiert und veröffentlicht sowie danach auf der Internetseite der rechten Initiative »Pro Chemnitz«, von Pegida-Anführer Lutz Bachmann und mehreren Politikern der AfD im Netz verbreitet. (2) Die Frau von Daniel H., Bianca T., teilte im sozialen Netzwerk den Beitrag eines Freundes, der wie H. eine dunklere Hautfarbe und einen deutschen Namen hat. »Ich bitte euch um eins, lasst eure Trauer nicht in Wut und Hass umwandeln«, schreibt er. »Diese Rechten, die das als Plattform nutzen, mit denen mussten wir uns früher prügeln, weil sie uns nicht als genug Deutsch angesehen haben. Jeder, der Daniel H. gekannt hat, weiß, dass dies unmöglich sein Wille gewesen wäre. Lasst euch nicht benutzen, sondern trauert.« (Junge Welt, 31.08.2018)
Foto: dpa