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Der Brandstifter

Die Fahnen des White House in Washington waren auf Halbmast gesetzt, während Donald Trump in seiner Rede an die Nation einen Entlastungsversuch in eigener Sache unternahm: »Unsere Nation muss Rassismus, Fanatismus und White Supremacy verurteilen«. Kein Wort, das Rechtsextreme einschüchtern könnte, oder das hoffen ließ, dass der Privatbesitz von Kriegswaffen untersagt werden würde. Wenige Tage zuvor hatten zwei junge weiße Männer, getrieben von rassistischen Gewaltfantasien, in einem Shoppingzentrum in El Paso (Texas) und in einem Vergnügungsviertel in Dayton (Ohio) 29 Menschen mit ihren Sturmgewehren ermordet.

Der US-Präsident ist ein Brandstifter, der den Feuerlöscher spielt. Nicht erst seit seinem Einzug ins Weiße Haus befeuert er mit hetzerischen Reden gegen politische Gegner und Einwanderer Ressentiments und Hass entlang der Spaltungslinie: Hier das gute, weiße Amerika, dort die Eindringlinge.

Die Kette vom Trumps menschenverachtenden Beleidigungen ist lang: Afrikanische und karibische Staaten diffamierte er als »Dreckslochländer«, mexikanische Einwanderer pauschal als »Vergewaltiger«. Im letzten Monat forderte er die vier Kongressmitglieder der Demokraten, Alexandria Ocasio-Cortez, Rashida Tlaib, Ayanna Pressley und Ilhan Omar auf, dorthin »zurückzukehren«, wo sie angeblich herkämen. Dabei sind alle vier Politikerinnen US-Bürgerinnen, drei von ihnen wurden in den Vereinigten Staaten geboren. Schließlich beschimpfte er die vornehmlich von Afroamerikanern bewohnte Stadt Baltimore als »von Ratten befallenes Drecksloch«.

»Trump ist kein Populist, sondern er glaubt an die Überlegenheit der weißen Rasse. Unterstützung bekommt er nicht wegen wirtschaftlicher Sorgen, sondern aufgrund von Rassismus«, schreibt der Wirtschaftswissenschaftler Paul Krugman in der New York Times. Diese Entgegensetzung ist überspitzt: Bei allen historischen Wurzeln verweist die Zunahme des Rassismus doch auf Abstiegsängste, darauf, dass größere Teile der Bevölkerung den Glauben an eine bessere Zukunft verloren haben.

Es ist die Angst, »die weiße Amerikaner« dazu bringe, sich als Attentäter, als feige Mörder zu »opfern«, so die kürzlich verstorbene Literatur-Nobelpreisträgerin Toni Morrisson. »Diese Opfer, erbracht von angeblich harten weißen Männern, die bereit sind, ihre Menschlichkeit aufzugeben aus Angst vor schwarzen Männern und Frauen, zeigen den wahren Horror eines verlorenen Status an.« Der martialischen Rhetorik des Präsidenten folgte die Tat des rechtsradikalen Attentäters in El Paso. Der 21-jährige Patrick Crusius hat die Sache selbst in die Hand genommen und mit seinem Sturmgewehr dafür gesorgt hat, dass die von Trump beschworene »Invasion« aus dem Süden ein Ende nimmt.

Bereits im ersten Amtsjahr von Trump wurden laut Federal Bureau of Investigation (FBI) 7175 politische Hassverbrechen begangen – ein Anstieg um rund 17% gegenüber dem Vorjahr. Vor allem Afroamerikaner und Juden waren die Opfer. Jetzt stehen die Migrant*innen aus Lateinamerika oben auf der Abschussliste. FBI-Direktor Christopher Wray berichtete Ende Juli vor dem Justizausschuss des Senats, dass in den vergangenen neun Monaten im Zusammenhang mit »heimischem Terrorismus« rund 100 Bürger wegen Straf- und Gewalttaten festgenommen wurden, die Antiregierungsmilizen und rechtsextrem-rassistischen Gruppen angehören. Ein Großteil der laufenden Ermittlungen stehe in Verbindung mit White Supremacy, der ideologischen Agenda der Vorherrschaft der Weißen.

Nach der Ideologie der »white supremacists« gehören die rassistisch attackierten Bevölkerungsteile nicht in das »weiße Amerika« und sollen deshalb verschwinden. Die USA seien ein Land, das von Weißen gegründet und aufgebaut und seither von Weißen regiert werde – und dabei soll es bleiben. Die Wahl des farbigen Präsidenten Barak Obama sei ein Betriebsunfall gewesen und dürfe sich nicht wiederholen.

Ein Foto aus dem texanischen Galveston illustrierte jüngst mit brachialer Offenheit die Idee der weißen Vorherrschaft und rassistische Unterjochung erneut. Darauf zu sehen ist Donald Neely, wie er auf offener Straße von der Polizei abgeführt wird: Die Hände auf den Rücken gefesselt, eskortiert von zwei Beamten hoch zu Ross. Neely ist schwarz. Die beiden Polizisten sind weiß. Und einer der beiden Polizisten führt Neely wie ein Stück Vieh an einem Strick. Ein Bild, das vor hundert Jahren in den USA bittere Realität war, im 19. Jahrhundert erst recht.

»Eine unbequeme Wahrheit« hatte der rechtsextreme Mörder Crusius sein rassistisches Machwerk überschrieben, das etwa zwanzig Minuten vor dem ersten Schuss in einer Walmart-Filiale in der texanischen Grenzstadt El Paso auf der Internetseite 8chan auftauchte. Darin heißt es unter anderem: »Dieser Angriff ist eine Antwort auf die hispanische Invasion in Texas.« (1) Aus dem Pamphlet trieft die Furcht der »vergessenen« Amerikaner, wie Trump sie gerne nennt – vor dem Bedeutungsverlust, der durch den historischen und demografischen Wandel droht, der Minderheiten zur Mehrheit machen könnte. »Ich verteidige mein Land gegen kulturelle und ethnische Verdrängung«, schrieb der Täter. »Wenn wir genug Leute loswerden, kann sich unsere Lebensart halten«, und so den Austausch der Bevölkerung (»cultural and ethnic replacement«) verhindern.

Nein, es verwundert nicht, dass es zwischen dem Text des »Manifestes« und der Wortwahl des US-Präsidenten Übereinstimmungen gibt. Trump bezeichnet die mittel- und südamerikanischen Einwanderer in seinen Tweets ständig als »Invasoren«. Der Bau einer unüberwindlichen Mauer an der US-mexikanischen Grenze ist für Trump Voraussetzung dafür, dass die Vereinigten Staaten überhaupt »ein Land bleiben«. Bei einer Kundgebung in Panama City im Norden Floridas im Mai hatte Trump sein aufgepeitschtes Publikum um Ideen gebeten, wie sich die Flüchtlinge aufhalten ließen. »Erschießt sie«, brüllte ein Anhänger. Der Präsident grinste.

Nach den Morden in El Paso und Dayton wächst der Druck, eine Verschärfung der Waffengesetze auf den Weg zu bringen. Bei Besuchen des Präsidenten in den beiden Städten El Paso und Dayton forderten Politiker »Hintergrundchecks für Waffenkäufer« und ein »Verbot von Sturmgewehren«. Forderungen, die nach Amokläufen und Massenmorden immer wieder zu Recht erhoben werden: Die Land, in dem Sturmgewehre im Supermarkt gekauft werden können, hat ein massives Waffenproblem. Bislang haben die der Waffenlobby »National Rifle Assoziation«(NRA) hörigen Republikaner schärfere Waffengesetze blockieren.

Nachdem ein Schüler 2018 vierzehn Studenten und drei Mitarbeiter der Stoneman Douglas High School in Parkland in Florida[1] erschossen hatte, forderte der US-Präsident zunächst auch härtere Gesetze und warf den Republikanern Angst vor den Waffenlobbyisten vor. Doch danach geschah so gut wie nichts, vor allem nachdem Trump sich mit NRA-Vertretern getroffen hatte. Der Kongress konnte sich lediglich auf minimale Verbesserungen am bundesweiten Meldesystem für Käufer-Überprüfungen einigen. Das letzte weitreichende Verbot automatischer »assault weapons« konnte 1994 US-Präsident Bill Clinton durchsetzen. Es galt nur für nach dem Inkrafttreten hergestellte Waffen und wurde nach zehn Jahren nicht erneuert.

393 Millionen Waffen (Pistolen, Schrotflinten, Sturmgewehre, Maschinenpistolen, Präzisionsgewehre) befinden sich zurzeit in den USA in privatem Besitz. Zum Vergleich: Es sind wenig mehr als 327 Millionen US-Bürger registriert. In keinem anderen westlichen Industrieland sterben so viele Menschen durch Schusswaffen wie in den USA, etwa 40.000 pro Jahr. Einer Umfrage der Quinnipiac Universität in Hamdan im US-Bundesstaat Connecticut zufolge unterstützen 92% der Amerikaner bessere Überprüfungen von Waffenkäufern.

[1]Otto König/Richard Detje »March For Our Lives« – Jugend in den USA begehrt gegen Waffenwahn auf #Neveragain, Sozialismus Aktuell 06.03.2018

Natürlich geht es auch um die Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr. Die »Grand Old Party«, die Republikaner – die Partei Abraham Lincolns, der das historische Verdienst der Abschaffung der Sklaverei zukommt, ist vom Demokratieverächter Trump zum Schweigen gebracht worden. Während die Mehrheit der Abgeordneten der Demokraten im Kongress in einer Resolution, als Gegenentwurf zu Trumps Nationalismus und Rassismus, bekräftigten, »dass Einwanderer und ihre Nachfahren Amerika stärker gemacht haben und dass diejenigen, die den Bürgereid abgelegt haben, ebenso amerikanisch sind wie diejenigen, deren Familien seit Generationen in den USA gelebt haben«, stimmten nur vier der 191 Abgeordneten der Republikaner dem Beschluss zu. Das wirft ein Schlaglicht darauf, was bei den nächsten Präsidentschaftswahlen 2020 auf dem Spiel steht.

»Bei diesem Kampf geht es nicht nur um politische Ideen, sondern um die Seele unserer Nation. Die zentralen Ideale unserer Staatsgründung – gleicher Schutz unter dem Gesetz, Pluralismus, religiöse Freiheit – stehen unter Beschuss, und es obliegt uns allen, sie zu verteidigen«, so die Aktivistin und Politikerin der Demokratischen Partei Ilhan Omar. Es reiche nicht aus, »Trumps Rassismus zu verdammen« und die »Selbstbezogenheit dieser Regierung« zu kritisieren. Entscheidend sei, eine Politik zu fördern, »die das Leben der arbeitenden Bevölkerung eindeutig verbessert. Dazu müssen wir die kollektiven Lohnverhandlungen stärken, den Mindestlohn erhöhen und eine universelle Arbeitsplatzgarantie anstreben«(2)

Artikel von Otto König, ehemaliger 1. Bevollmächtigter der IG Metall (Hattingen) und Richard Detje, Redakteur der Zeitschrift Sozialismus (Hamburg)

Anmerkungen
(1) Patrick Crusius schreibt, er habe die Hispanic-Community gar nicht im Visier gehabt, bevor er »Der große Austausch« gelesen habe, jenes 2011 erschienene Pamphlet des Franzosen Renaud Camus, das für Europa und Nordamerika einen Bevölkerungsaustausch prognostiziert, der zum Untergang der weißen Rasse führen werde. In Deutschland wurde der Band im Verlag des völkisch-neurechten Vordenkers Götz Kubitschek veröffentlicht. Die Behauptung, es sei ein »großer Austausch« zugunsten von Migranten im Gange, ist auch eine zentrale Parole der Identitären Bewegung und der AfD in Deutschland.
(2) Vgl. Ilhan Omar: Trumps Rassismus zu verdammen reicht nicht, IPG, 02.08.2019.

„Don‘t shoot“ – Jugendliche in den USA protestieren gegen Waffengewalt – Foto: Reuters

 

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