„Der Kampf hat sich gelohnt!“

Sprockhövel. Trotzig halten Betriebsratsmitglieder das Schild „ADieu“ in die Kamera. Seit der Interessenausgleich und Sozialplan unterschrieben wurde, steht endgültig fest: Der US-amerikanische Konzern Avery Dennison verabschiedet sich zum 31. März 2016 von seinem Standort im westfälischen Sprockhövel. Der Großteil der rund 77 betroffenen Beschäftigten wechselt beginnend mit dem 1. Dezember in zwei Stufen in die Transfergesellschaft GeBeWe. Rund 30 ArbeitnehmerInnen werden am Standort Löhne und 15 in einem Büro beim Sportartikelhersteller Adidas in Herzogenaurach bzw. in Schwelm weiterbeschäftigt.
„Auch wenn wir den Standorterhalt nicht erreicht haben, sind wir dennoch stolz darauf, dass wir uns nicht widerstandslos ergeben, sondern bis zum Schluss hart um den Sozialplan gerungen haben“, bringt der stellv. Betriebsratsvorsitzende Dirk Kolwe die schwierige Arbeit des Betriebsrates in den zurückliegenden sieben Monaten auf den Punkt. Die ausgehandelten Eckpunkte stießen in der letzten Betriebsversammlung im IG Metall Bildungszentrum bei den Beschäftigten auf „eine positive Resonanz“, obwohl ihnen klar sei, „dass kein Abfindungsbetrag den Arbeitsplatz ersetzen kann“, sagt Mustapha El Fathi.
Es seien harte Verhandlungen mit den Arbeitgebervertretern und deren Rechtsanwälten gewesen. „Doch im Zusammenspiel Betriebsrat, IG Metall-Sekretär Sven Berg und Rechtsanwalt Lutz Ellinghaus gelang es uns, das Arbeitgeberangebot nach oben zu verhandeln und unsere materiellen Ziele durchzusetzen“, erklärt Dirk Kolwe zufrieden. Jede/r Beschäftigte erhält als Abfindungsbetrag 1,3 Bruttomonatsgehälter multipliziert mit seinen individuellen Beschäftigungsjahren. Für jedes unterhaltsberechtigte Kind gibt es 1.100 Euro zusätzlich. Schwerbehinderte KollegInnen mit 50% bzw. Gleichgestellte erhalten einen zusätzlichen Geldbetrag von 2.200 Euro. Alle vom Arbeitsplatzabbau Betroffenen wird der Wechsel in eine Transfer-Gesellschaft für längstens 12 Monate angeboten. Daneben gibt es eine Reihe von Regelungen, die den Sozialplan ergänzen.
Der Zusammenhalt in der Belegschaft, der „in den letzten Wochen gewachsen“, sei, habe entscheidend mit zu diesem Ergebnis beigetragen, davon sind nicht nur die Betriebsratsmitglieder Monika Meres und Bayram Altunkaya überzeugt. Zumal in einem US-amerikanischen Konzern für die Verantwortlichen „die deutsche Mitbestimmung ein rotes Tuch“ sei, so IG Metall-Sekretär Sven Berg.
Es war Ende April: Bevor Jeremy Bauer, der Geschäftsführer ohne „local spirit“ die „Mail-Order“ aus der Konzernzentrale, im kalifornischen Pasadena (USA) verlesen konnte, lief die geplante Stilllegung wie ein Lauffeuer durch den Betrieb. „Nach dem wir den ersten Schock verdaut hatten, stellten wir im Betriebsratsgremium übereinstimmend fest, dieses verantwortungslose Handeln der Konzernmanager werden wir nicht widerstandslos akzeptieren“, schildert der Betriebsrat den Beginn der siebenmonatigen Auseinandersetzung.
Denn bei jedem „geplanten Kahlschlag“, ergänzt El Fathi, „hörten wir von den Geschäftsführern bzw. den willigen „Konzern“ -Vollstreckern die „sattsam bekannten Sprüche“ warum Einschnitte bzw. die Stilllegung notwendig ist: Kosten müssen reduziert, Prozesse verbessert und die Effizienz gesteigert werden, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Deshalb müssten die operativen Bereiche an Standorte mit niedrigeren Arbeitskosten wie Rumänien und die Türkei verlagert werden. Das Schicksal der Menschen interessiert nicht.
Die Interessenvertretung beauftragte die externe, arbeitnehmernahe Beratungsgesellschaft PCG aus Essen mit einer „Plausibilitätsprüfung der Arbeitgeberkonzeption“. Gleichzeitig wurden mit Unterstützung der externen Berater und mit dem Wissen von Beschäftigten „Eckpunkte für Alternativen“ erarbeitet, berichten Sabine Henkler und Marco Maas. Doch die „Entscheider mit dem weltweiten Blick“ lehnten die Vorschläge des Betriebsrates ab. „Darin kommt die ganze Ignoranz gegenüber einer Belegschaft zum Ausdruck, die sich über Jahrzehnte mit ihrem Wissen und Können und ihrer Erfahrung den Betrieb am Laufen und die Kunden bei der Stange hielten“, betont Dirk Kolwe. Doch letztlich hätten sich alle im Konzern schon gedanklich von Sprockhövel verabschiedet.
Inzwischen habe der Konzern die ursprünglich geplanten Maßnahmen sogar noch ausgeweitet. „Von 36 Standorten in der RBIS Sparte, zu der auch Sprockhövel zählt, sind 30 von Restrukturierungen betroffen und neben Sprockhövel werden fünf weitere Standorte geschlossen“, beschrieb Dirk Kolwe in der Betriebsversammlung, den um sich greifenden Kahlschlag im Konzern. Abteilungen, die vorher sicher sein sollten, treffe es jetzt auch: So werde keine Abteilung des Sprockhöveler Standortes in Gänze bestehen bleiben und nach Schwelm oder Herzogenaurach umziehen.
Dirk Kolwe: „Avery Dennison hat begonnen, seine eigenen Äste selbst abzusägen.“ Zusätzlich zu den Einschnitten an den Standorten würden nun auch die Teile der „Sales“-Mitarbeiter abgebaut. Kunden hätten sich schon von der Firma abgewandt, weitere werden es tun. Das führe zu Umsatzeinbußen, deshalb gehe der Betriebsrat davon aus, dass es die RBIS-Sparte in wenigen Jahren nicht mehr geben werde.
Um die ehemals mittelständischen Betriebe vor die Wand zu fahren, benötigten die beiden US-amerikanischen Konzerne Paxar (Übernahme des Webetiketten-Produzenten Bornemann + Bick KG in 2000) und Avery Dennison Corporation (Übernahme des Textil-Etiketten-Herstellers Rinke in 2004) knapp 15 Jahre, in denen „Produkte im Konzern verschoben, das Knowhow der Beschäftigten abgeschöpft und Kunden wegen dilettantischer und zu langer Entscheidungswege vergrault wurden“. Mit der endgültigen Stilllegung des Betriebes an der Kleinbeckstrasse geht in Sprockhövel die Ära der Textilindustrie zu Ende.
Die Beschäftigten sagen ADieu.
Foto: Avery Dennison Betriebsratsmitglieder sagen Adieu – Foto: IGM-GH