„Der kurze Sommer der Willkommenskultur“

»Refugees welcome« – nur kurz währte das Sommermärchen. Auf Bahnhöfen wurden Flüchtlinge mit großer Hilfsbereitschaft willkommen geheißen. Die Zivilgesellschaft artikulierte eine Kultur, die in den letzten Jahrzehnten für Asylsuchende in Deutschland nicht existierte. Die brutalen Bilder hasserfüllter Demonstranten vor Flüchtlingsunterkünften wie in Freital und Heidenau in Sachsen rückten in den Hintergrund. »An Stelle eines heißen Sommers völkischer Gewalt erlebt die Republik einen Sommer der Solidarität« (taz, 13.9.2015).
Doch schnell wurde seitens der offiziellen Stellen in den Krisenmodus zurückgeschaltet: Begrenzen und abschieben, lautet nun das Motto. Nicht nur im CSU-Bayern. Bundesweit stehen erneut Änderungen des Asylrechts auf der Tagesordnung; Fortschritte, die beim letzten Asylkompromiss erzielt wurden, werden einkassiert, die Liste der sicheren Herkunftsstaaten verlängert, Leistungen gekürzt, darunter auch die der medizinischen Versorgung – Heribert Prantl zufolge drohen »die schärfsten Leistungseinschränkungen, die es in der Bundesrepublik je gab« (SZ-online, 18.9.2015).
Die Stichworte dafür liefert nicht zuletzt eine Presse, die gerne ihren bürgerlichen Gestus zelebriert. Exemplarisch Reinhard Müller in der FAZ: »Das Zeichen an die Welt muss lauten: Deutschland hilft in der Not – dazu muss es aber Deutschland bleiben. Dieser Staat kann nur seine humanitären Pflichten erfüllen, solange er funktioniert. Wenn ihm die Herrschaft über Volk und Gebiet entgleitet, ist es vorbei.« (13.9.2015) Gruselig!
Spur über zwei Jahrzehnte – rechtsextreme Gewalt
Das sind Steilvorlagen für die rechtsextreme Szene. Allein in diesem Jahr wurden bereits über 500 Angriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte registriert. Eine beängstigende Eskalation rechter Gewalt. „Man blickt in diesen Tagen auf eine enthemmte Republik, auf Bilder der Verrohung, die man lang nicht mehr sah“, schreibt der Spiegel in seiner aktuelle Ausgabe. Dabei ist das alles nicht neu.
Erst nach der blutigen Messerattacke auf die Kandidatin bei der Oberbürgermeisterwahl in Köln, dem Galgen und dem Nazi-Spruch des Autors Akif Pirincci „Die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb“ auf der Pegida-Demonstration in Dresden, nehmen die Leitmedien die zunehmende Gewalt der NPD-Anhänger zur Kenntnis. Bisher wurde die verbalen Attacken der Pegida-Anhänger als Ausdruck „besorgter Bürger“ verharmlost und die Forderung nach einem Verbot der NPD herunter gespielt.
Derweil radikalisierten sich die braunen Kameradschaften, ihre Kader wandten sich z.B. dem »Thüringer Heimatschutz« zu. Es entstand der »Nationalsozialistische Untergrund« (NSU), der zehn Menschen ermordet hat. Auf Aufdeckung und rückhaltlose Aufklärung warten wir bis heute. Bisher lieferten der nahezu endlos erscheinende Zschäpe-Prozess nur Puzzleteile, die allerdings die Rolle des Staates und des Inlandsgeheimdienstes in einem immer undurchsichtigeren Licht erscheinen lassen.
In dieser Gesellschaft hat sich verfestigt und verbreitet, was der Bielefelder Konfliktforscher Andreas Zick eine »rechtsterroristische Mentalität« nennt: Die Akzeptanz von Gewalt zur Durchsetzung des vermeintlichen »Volkswillens«, die neben organisierten Neonazis längst auch BürgerInnen teilen, deren Rassismus zu lange als »berechtigte Sorge« verharmlost wurde. Für Zick steht fest, dass in einer Parallelwelt, in einem »geschlossenen System mit eigenem Informationssystem, eigenem Rechtssystem und eigener Erlebniswelt« Anhänger rechtsextremer Kader oder rechtspopulistischer Organisationen auf die so genannten »Wutbürger« treffen (SZ, 29.8.2015).
Die weltweiten Flüchtlingsdramen werden instrumentalisiert. Unter dem Deckmantel von »Nein zum Heim«-Initiativen und »Bürgerwehren« ziehen Neo-Nazis offen die Fäden, mimen als Organisatoren »besorgte« Bürger, organisieren Aufmärsche und Rechtsrockkonzerte, hetzen in sozialen Netzwerken gegen Flüchtlinge. (1) »Der dritte Weg« (2) veröffentlichte auf seiner Internetseite einen Leitfaden, in dem er Ratschläge erteilt: »Wie be- bzw. verhindere ich die Errichtung eines Asylantenheims in meiner Nachbarschaft«.
»Die Radikalisierung findet vornehmlich auf Anti-Asyl-Seiten bei Facebook statt«, schätzt der Berliner Tagesspiegel -Journalist Matthias Meisner. Im Zusammenhang mit Flüchtlingen ist die Rede von »Sozialschmarotzern«, »Vergewaltigern« und »Dieben«, ohne dass diese verbalen Ausfälle explizit als rechtsextreme Positionen gekennzeichnet werden. Gepostet wird dies als Sorgen »normaler« Bürger. Die Hemmschwelle sinkt, und es ist diese Stimmungsmache im Internet, die den Nährboden für Gewalttaten schafft. Gegen die geplante Unterbringung von Flüchtlingen in ihrer Gemeinde rief die Facebook-Gruppe »Freital wehrt sich« offen zur Gewalt auf. Ein Mitglied der Gruppe empfahl, »die Flüchtlinge zusammen mit dem Gebäude zu verbrennen«. »Die kannst du nur erschlagen«, fügte ein weiterer Kommentator hinzu (3) (Zeit online, 26.8.2015).
»Jamel rockt den Förster« – das NPD-Verbotsverfahren
»Es gibt noch Leute, die kämpfen und die Deutschland noch nicht aufgegeben haben.« Man wolle nicht mehr »im Kreis spazieren, bis einem schwindlig wird«, verkündet der sächsische NPD-Chef. Die rassistische Mobilmachung läuft unter dem Motto: Warum erst auf »die Asylbetrüger«, »die Kriminellen« und »Sozialsystemschmarotzer« warten? Warum nicht gleich ihre Ankunft verhindern? Der militante Flügel des Rechtsextremismus kann endlich den heiß ersehnten »Kampf um die Straße« im Stile der SA gegen das »Scheißsystem« und dem »Multikulti-Wahn« der Demokraten führen. Sie wähnen sich dabei im »selbst ernannten Verteidigungskampf: Gegen die vermeintliche ›Überfremdung‹ und für den ›Erhalt des deutschen Volkes‹«, so Frank Litschko in der Tageszeitung (29.8.2015).
Es geht den Rechten um die Aneignung öffentlicher Räume – die Schaffung so genannter »national befreiter Zonen«, in denen sie Kontrolle und Macht haben, um ihre Gegner einzuschüchtern, mit fingierten Todesanzeigen bedrohen, oder sie beschimpfen mit Kommentaren wie »verbrennt die Alte« die NDR-Moderatorin Anja Reschke nach ihrem »Tagesthemen«-Aufruf gegen rechts.
Schon seit Jahren ist bekannt, dass die Nazis im Dorf Jamel in Mecklenburg-Vorpommern nicht nur klammheimliche Sympathien genießen, sondern die Mehrheit der Einwohner stellen. Am Ortsrand steht ein Wegweiser: 883 km bis nach Braunau am Inn, dem Geburtsort von Adolf Hitler. »Wir haben Jamel aufgegeben«, sagte schon 2007 der damalige Ortsbürgermeister Wandel. Nur das Künstlerpaar Birgit und Horst Lohmeyer ist geblieben und wehrt sich gegen die rechtsextreme Szene. Einmal im Jahr veranstalten sie auf ihrem Grundstück das Rockfestival –»Jamel rockt den Förster« – für Demokratie und Toleranz. Vor wenigen Wochen brannte auch auf ihrem Hof eine Scheune ab – die Polizei geht von Brandstiftung aus.
In dem vom Bundesrat (4) beim Bundesverfassungsgericht nachgereichten 140-seitigen Schriftsatz im NPD-Verbotsverfahren werden beispielhaft u.a. die Vorfälle in Dresden, Freital und in Heidenau angeführt. Die Anschläge auf Asylbewerberheime seien eine konsequente Umsetzung der NPD-Ideologie, »eine ausschließlich rassistisch definierte Volksgemeinschaft« zu verwirklichen.
Als Beleg für die »Atmosphäre der Angst« benannt werden die Einschüchterungen und Bedrohungen von Bürgermeistern und Lokalpolitikern in Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Sachsen, sowie Angriffe auf Kundgebungen politischer Gegner in Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen. Die NPD schaffe eine Atmosphäre der Angst und halte politisch Andersdenkende durch Drohungen davon ab, sich gegen Rechtsextremismus zu engagieren (Telepolis 30.8.2015).
Zuvor hatte die Länderkammer bereits die von den Bundesverfassungsrichtern verlangten Nachweise zur Abschaltung der V-Leute des Verfassungsschutzes in den Führungsgremien der NPD vorgelegt. Das erste Verbotsverfahren war in Karlsruhe 2003 wegen des Einsatzes von V-Leuten in der Spitze der Neonazi-Partei gescheitert. Das Gericht in Karlsruhe will im Herbst entscheiden, ob es in dem Verbotsverfahren noch vor Ende des Jahres eine mündliche Verhandlung ansetzen wird. Es ist dringend notwendig, das Verbotsverfahren zu beschleunigen und ein entschlosseneres Vorgehen gegen rechte Untergrundorganisationen und gegen kameradschaftliche Gruppierungen zu praktizieren.
Weshalb es von gewerkschaftlicher Aufklärung abhängt…
Im positiven Fall kann ein NPD-Verbot ein Baustein der öffentlichen Aufklärung und Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus sein. Doch es geht um mehr. Wichtige Aufgaben neben der politischen Auseinandersetzung in der Flüchtlings- und Asylpolitik liegen in der Zivilgesellschaft, wo wertvolle Arbeit zur Schaffung eines politischen Klimas, das rassistische Ausgrenzung und deutschnationalen Dünkel aus der Öffentlichkeit verbannt, geleistet wird.
»Der Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit ist und bleibt daher eine zentrale Aufgabe der IG Metall«, heißt es in der gesellschaftspolitischen Entschließung, die auf dem 23. Ord. Gewerkschaftstag der IG Metall in Frankfurt verabschiedet wurde. Diesen Auftrag ernst zu nehmen, heißt Aufklärung zu betreiben und sich mit dem rechten Denken innerhalb der Arbeitnehmerschaft argumentativ auseinanderzusetzen. Der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit kommt dabei eine wichtige Bedeutung zu.
Kritische und emanzipatorische Bildungsarbeit hinterfragt die Macht- und Herrschaftsverhältnisse, die zu sozialer Ungleichheit und diskriminierender Ausgrenzung von Menschen führen, klärt auf über rechte Weltbilder und menschenverachtende Einstellungen, sowie über die neonazistischen Akteure, ihre Organisationsformen und in humanen Aktivitäten. Die gemeinsame Erarbeitung von »Handlungsmöglichkeiten im Betrieb« sollte jedoch nicht nur in separaten Seminaren, sondern integriert als Querschnittsaufgabe sowohl in Grundlagen- und Fachseminaren, sowie insbesondere in Multiplikatoren-Seminaren erfolgen.
»Es gibt drei Dinge, die sich nicht vereinen lassen: Intelligenz, Anständigkeit und Nationalsozialismus. Man kann intelligent und Nazi sein. Dann ist man nicht anständig. Man kann anständig und Nazi sein. Dann ist man nicht intelligent. Und man kann anständig und intelligent sein. Dann ist man kein Nazi. « Dieses Zitat des österreichischen Schriftstellers und Kabarettisten Gerhard Bronner wäre ein gutes Leitmotiv für diese gewerkschaftliche Aufklärungsarbeit.
Aktualisierter und leichtgekürzter Artikel von Otto König, ehemaliger 1. Bevollmächtigter der IG Metall (Hattingen) und Richard Detje, Redakteur der Zeitschrift Sozialismus (Hamburg) in der Zeitschrift Sozialismus, Oktober 2015
Foto: Demonstration in Hattingen gegen NPD – Foto: Lokalkompass Hattingen
Anmerkungen
(1)Vgl. Otto König/Richard Detje: Die Gewalt der braunen Kader, SozialismusAktuell v. 26. August 2015
(2)Die Partei »Der III. Weg« wurde am 28. September 2013 in Heidelberg gegründet. Ihr »Zehn-Punkte-Programm« beinhaltet Ziele wie die »Schaffung eines Deutschen Sozialismus« oder die »Wiederherstellung Gesamtdeutschlands in seinen völkerrechtlichen Grenzen«. Allgemein lehnt sich »Der III. Weg« eng an die NPD an.
(3)Der in Freital entstandene Blog »Perlen aus Freital« prangert rassistische Kommentare im Netz an. Die Akteure arbeiten verdeckt, weil sie bereits Morddrohungen erhielten, veröffentlichen Kommentare mit verachtendem Inhalt («Gashahn auf in Auschwitz. Weg mit diesem Dreckspack«) und Aufrufe zur Gewalt (»Legt sie um Jungs«) von Facebook-Usern mit Klarnamen.
(4) Der Bundesrat hatte am 3. Dezember 2013 beantragt, die Verfassungswidrigkeit der NPD festzustellen.