„Die Linken sind das Böse“
»Wer stoppt den linken Hass?«, fragte das Boulevard-Blatt BILD. (1) Die »linke Saubande« wütet marodierend durch Hamburg, geiferte Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und Bundeskanzleramtschef Peter Altmaier twitterte: »Linksextremer Terror in Hamburg war widerwärtig und so schlimm wie Terror von Rechtsextremen und Islamisten.« Linke und Teile von SPD und Grünen »verharmlosten seit Jahren den Linksextremismus«, wetterte CDU-Rechtsausleger Jens Spahn. Da durfte FDP-Shooting-Star Christian Lindner mit seiner Forderung, die linken Parteien müssten »die Politik der falschen Toleranz beenden«, nicht fehlen
Sie alle haben es schon immer gewusst: „Die Linken sind die Wurzel des Bösen.“ Linksextremismus ist genauso schlimm wie Rechtsextremismus. Garniert wird dies mit dem Vorwurf, Politik und Öffentlichkeit hätten sich in der Vergangenheit viel zu sehr auf die rechte Gewalt konzentriert. Unter den Teppich wird gekehrt, dass Rechtsextreme die Durchsetzung einer menschenfeindlichen Gesellschaftsordnung zum Ziel haben. Es ist diese Geisteshaltung, die Gewalt von rechts bis hin zu Tötungsdelikten (2) in diesem Land jahrelang ignoriert hat, wie es u.a. die NSU-Untersuchungsausschüsse belegen.
Der Leiter des SPIEGEL-Hauptstadtbüro René Pfister formuliert es etwas geschliffener: Ein Grund für die Ausschreitungen liege darin, »dass die deutsche Linke es immer noch schafft, blinder Zerstörungsgeilheit ein politisches Mäntelchen umzuhängen.« In das gleiche Horn stößt »Welt«- Chefredakteur Ulf Poschardt, man müsse sich jetzt im linken Spektrum genau anschauen, wie man es denn so halte »mit der Gewalt«.
Dabei hatte sein Medium Anfang Mai kein Problem, die »schönste Demonstrantin« Venezuelas plakativ ins Netz zu stellen und das »Steine werfende Model« zur Ikone des Protests zu verklären. Bei einer Demonstration der rechten Opposition gegen die Regierung in Venezuela darf man brennende Barrikaden und maskierte Schläger bejubeln.
Die Verortung der Randalierer als Teil »der Linken« ist Teil der Bundestagswahlkampf-Strategie der CDU/CSU: Mitte bis Rechts steht für Recht und Ordnung, die politische »Linke« (dazu zählen sie auch die SPD) habe ein »indifferentes Verhältnis« zum Linksextremismus und sei deshalb für den »Terror« mitverantwortlich, also kein Garant für die Innere Sicherheit. Möglicherweise in Abgrenzung zu Innenminister Thomas de Maizière, der mehrmals von der Verantwortung der linken Parteien für die Gewalt und von »Rechtfertigungsversuchen aus dem linken politischen Spektrum« sprach, versuchte die SPD-Spitze eine sprachliche Brandmauer zwischen der Gewalt während des G-20-Gipfels und dem Begriff »links« zu ziehen.
SPD-Vorsitzender Martin Schulz, sagte in der ZDF-Sendung »Berlin Direkt«: »Links und Gewaltanwendung schließt sich gegenseitig aus.« Sein Stellvertreter Ralf Stegner twitterte: »Linke Politik achtet Menschenwürde und lehnt Gewalt ab. Deshalb sind kriminelle Gewalttäter, wie immer sie sich nennen, nicht links.«
Recht hat er. Doch dass für die konservative Rechte sozialdemokratische und gewerkschaftliche Repräsentanten schon immer »vaterlandslose Gesellen« waren, wollen »Genossen« wie der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz nicht wahrhaben. Sie nutzen nicht nur die Gelegenheit, um auf die linksautonome Szene einzuschlagen, sondern auch die Abgeordneten der »Linken« zu diffamieren, wie es sein Fraktionschef Andreas Dressel tat, der in der Hamburger Bürgerschaft giftete: »Die Linke ist der parlamentarische Arm des Schwarzen Blocks«.
Das »Linken-Bashing« soll auch davon ablenken, dass es während der Gipfeltage eine Volte der Exekutive gegen Gerichte, gegen Grundrechte und gegen die Pressefreiheit gegeben hat. »Wäre es ein Ziel des Hamburger Gipfels gewesen, das Demonstrationsrecht zu diskreditieren, ja diesem Grundrecht nachhaltig zu schaden – eine makabre Addition des Terrors des Schwarzen Blocks und der Strategien der Polizei hätte genau dies erreicht«, so Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung (9.7.2017).
Die Polizei-Einsatzleitung hat die in den vergangenen Jahrzehnten entwickelten »klugen Deeskalationsstrategien« nicht beachtet, sondern auf eine falsche repressive Strategie der Härte gesetzt, »sie hat die Demonstranten in toto als Gegner betrachtet, die man wegschieben muss, so wie auch die versammlungsrechtlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts«.
Es kann gar keinen Zweifel geben: Das Verhalten der gewalttätigen Volldeppen vom »Schwarzen Block« und der sogenannten »Party-Hooligans« auf der Schanze in Hamburg hat nichts mit ernsthafter »linker« Politik zu tun. Auch deshalb muss man fragen: Wem nützt ihre Randale? Auf jeden Fall nicht denen, die gegen Ausbeutung und für Gerechtigkeit, Chancengleichheit und Mitbestimmung, für eine andere, bessere Welt kämpfen.
Dass deren friedlicher kapitalismus- und globalisierungskritischer Protest gegen den Gipfel weniger Beachtung als die gewalttätigen Auseinandersetzungen findet, ist nicht zuletzt der Medienlogik von »violence sells« geschuldet, die z.B. in der simultanen Fernsehübertragung der Randale und der Staatenlenker in der Elbphilharmonie, Beethovens 9. Symphonie lauschend, zum Ausdruck kam.
Der Politikwissenschaftler Franz Walter hat darauf hingewiesen, dass Randale in jüngerer Zeit besonders in Gesellschaften zu beobachten ist, »in denen die jungen Erwachsenenkohorten dominieren und Aufwärtsmobilitäten durch massenhafte innergenerationale Konkurrenz in fiskalisch schwierigen Zeiten fraglich sind«. Nicht das Vorstadtproletariat werfe Steine, sondern junge Leute mit Abitur und Hochschulausbildung, für die »der Einstieg in eine sichere, materiell attraktive Berufslaufbahn versperrt ist«. (ND, 11.07.2017)
Die in vielen Medien in Dauerschleife gesetzten Bilder von gewalttätigen Szenen lenkten vom berechtigten friedlichen Gipfelprotest und dem Engagement hunderttausender GlobalisierungskritikerInnen ab. Das Unrecht, wogegen sie protestieren, interessiert die an Einschaltquoten orientierten Medienmacher nicht: Bunter und friedlicher Protest bringen keine zusätzlichen Einnahmen bei Werbeminuten, jedoch brennende PKWs oder mit Sturmgewehren vorrückende SEK-Beamte. Zu recht twitterte die Friedenspreisträgerin Carolin Emcke: »Jede TV-Minute, die der Gewalt der Hooligans gewidmet wurde, war eine Minute, in der nicht die Beschlüsse der #G20 kritisiert werden konnten.«
Deshalb fand beispielsweise der international besetzte »Gipfel der Solidarität« im voll besetzten Kampnagel-Saal – in einem ehemaligen Industriegebäude in Hamburg-Winterhude – in der medialen Berichterstattung quasi nicht statt. Obwohl auf zwölf Podien und in über 70 Workshops mit WissenschaftlerInnen, AktivistInnen und PolitikerInnen aus über 20 Ländern die Kritik an der herrschenden Politik der G20 erörtert und über Alternativen und Strategien zur Durchsetzung einer solidarischen Weltordnung diskutiert wurde. Auch die machtvolle Großdemonstration »Grenzenlose Solidarität statt G20«, an der rund 80.000 Menschen teilnahmen, war nur kurze Meldungen wert.
Unstrittig ist, die strafrechtliche Verantwortung für Straftaten auf der Schanze liegt beim Randalierer. Doch die politische Verantwortung tragen jene Politiker, die diesen Gipfel ausdrücklich nach Hamburg geholt haben – und zwar Bundeskanzlerin Angela Merkel und Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz. Sie sind dafür verantwortlich, dass mitten in einer Millionenstadt ein Gipfeltreffen abgehalten wurde, dessen unfriedlicher Verlauf von allen Experten vorausgesagt worden war.
Beide gehören zu jenen Politikern, die in Wahlkampfreden die Demokratie verteidigen, denen jedoch, wenn sie das Wort »Grundrechte« hören, nur die Verschärfung der inneren Sicherheit einfällt. Gerade dieser Spezies muss man in Zeiten, in der die Wahlkampfmaschinerie auf Touren kommt, die Brokdorf-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1985 in Erinnerung rufen: »Das Recht des Bürgers, durch Ausübung der Versammlungsfreiheit aktiv am politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess teilzunehmen, gehört zu den unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens«.
Artikel von Otto König, ehemaliger 1. Bevollmächtigter der IG Metall (Hattingen) und Richard Detje, Redakteur der Zeitschrift Sozialismus (Hamburg)
Anmerkungen
(1) Dass die Berichterstattung der Bild-Zeitung nicht nur vorverurteilend ist, sondern Lynchjustizstimmung entfacht, zeigte sich erneut: Die Blattmacher gestalteten die Titelseite wie ein offizielles Fahndungs-gesuch: Obwohl es noch keinen richterlichen Beschluss gab, wurden unter der Überschrift »Wer kennt diese G20-Verbrecher?« Menschen abgebildet, die während des G20-Gipfels randaliert haben sollen. Die in einem Rechtsstaat herrschende Gewaltenteilung – Gesetzgebung, Rechtsprechung und Exekutive – interessiert die Bild-Redakteure nicht, stattdessen treten sie die Rechtsstaatlichkeit mit Füßen.
(2) Die Zeit recherchierte, dass zwischen 1990 und 2012 in Deutschland mindestens 152 Menschen durch rechts motivierte Täter ermordet wurden – vor allem Migranten, Obdachlose, Behinderte. Über Todesopfer linker Gewalt gibt es in diesem Zeitraum keine Informationen.
Foto: Demonstration „Grenzenlose Solidarität“ während des G-20-Gipfel in Hamburg – Foto: dpa