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Die Masken sind gefallen

»Rücktritt, Rücktritt, Rücktritt«, rufen draußen vor dem Landtag in Erfurt wütende Bürger*innen, während drinnen Thomas Kemmerich (FDP), der sich 24 Stunden zuvor noch mit den Stimmen der Feinde der freiheitlichen Demokratie ins Amt des Ministerpräsidenten wählen ließ, vor der Presse verkündet: Die FDP-Fraktion strebe die Auflösung des Thüringischen Landtages und Neuwahlen an. Und die CDU? Bei den Christdemokraten (1) deutet sich das nächste Zusammenwirken mit der AfD an, denn wie diese lehnt sie Neuwahlen ab. Beide zusammen können die Selbstauflösung des Landtages verhindern.

Kemmerich, Landeschef der 5%-Prozent-Partei-FDP im Thüringer Landtag, wurde am 5. Februar im Thüringer Landtag im dritten und entscheidenden Wahlgang mit den Stimmen der CDU und der AfD ins Amt gehoben. Er bekam 45 Stimmen, exakt eine mehr als der seit 2014 amtierende Bodo Ramelow (Linke). Das heißt, der politische Repräsentant einer Partei, die sich liberal nennt, hat sich von AfD-Landeschef Björn Höcke, der laut Gerichtsurteil Faschist genannt werden darf, die Steigbügel halten lassen. Von einem Mann, dessen völkische Gesinnung jedem Bürger und jeder Bürgerin mit einigermaßen Verstand, mit Abscheu erfüllt. Es war jedenfalls mehr als scheinheilig, dass Kemmerich nach seiner Vereidigung betonte, er sei „Anti-AfD und Anti-Höcke“.

Die Partei, die sich „christdemokratisch“ nennt, machte bei der Farce bereitwillig mit. Hatte die CDU vor der Landtagswahl eine Unterstützung durch die AfD noch kategorisch abgelehnt, paktierte sie nun aus Machtgier mit der Selben und zog den Begriff der Bürgerlichkeit, auf den sie sonst viel Wert legt, in den Dreck. Nach der Wahl von Kemmerich spielte deren Vorsitzender Mike Mohring den Unschuldigen und erklärte, man habe „einen Mann der Mitte“ gewählt und sei für das „Wahlverhalten anderer Parteien“ nicht verantwortlich. Man werde sich unbedingt von der AfD abgrenzen.

Für wie naiv halten solche CDU/FDP-Politiker eigentlich die Wähler*innen? Sie wollen das abgefeimte Spiel nicht durchschaut haben, das die AfD mit ihrem parteilosen Kandidaten Christoph Kindervater spielte, der als ein nützlicher Idiot auf dem Schachbrett diente. Der AfD ist es mit einem billigen Verfahrenstrick – einen eigenen Kandidaten zu nominieren, aber dann einen anderen zu wählen – gelungen, den Ministerpräsidenten Bodo Ramelow zu stürzen. Nein, das war kein politischer Unfall, sondern ein abgekartetes Spiel von FDP/CDU und AfD, um eine linke Regierung zu verhindern, worüber nach den Wahlgängen auf Twitter Freie Demokraten und Unions-Politiker – vor allem aus der CDU-Werteunion – unverhohlen jubelten.

AfD-Rechtsaußen Höcke spricht von einem „guten Tag für Thüringen“, denn die AfD habe eines ihrer Ziele erreicht: Erstmals habe sie einer Regierung mit „bürgerlicher Mehrheit“ zumindest für „24-Stunden“ zur Macht zur verholfen. Dies war jedoch nur möglich, weil die sogenannte „bürgerliche Mitte“ in Deutschland in Erfurt ihre Maske abgenommen und ihr hässliches Gesicht gezeigt hat. Vielfach wurde in der Vergangenheit „das Bündnis aus Mob und Elite“ vorschnell beschworen, nun drohte es Realität zu werden. Aus reaktionär-machtstrategischem Kalkül heraus werden demokratische Werte geopfert.

Wie skrupellos und geschichtsvergessen muss man sein, um so zu agieren wie die Frei- und Christdemokraten in Thüringen. „Endlich eine Glatze, die in Geschichte aufgepasst hat,“ hat die FDP im Landtagswahlkampf für ihren Spitzenkandidaten geworben. Doch hätte Thomas Kemmerich tatsächlich aufgepasst, dann hätte er wissen müssen, dass die Machtübernahme der Nazis 1930, ebenfalls in Thüringen begonnen hat. In der Baum-Frick-Regierung stellte die NSDAP in einer Koalition mit mehreren rechten Parteien zwei Ministerposten. In vielen Reaktionen auf das Ergebnis der Wahl im Erfurter Landtag wird auf diese Parallele hingewiesen: 75 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus paktiert die sogenannte bürgerliche Mitte wieder mit Rechtsextremisten. Natürlich sind die Verhältnisse im heutigen Thüringen nicht mit denen in der Weimarer Republik gleichzusetzen. Dennoch eine Lehre aus der Geschichte lautet: Ist eine Brandmauer erst einmal geschleift, gibt es bisweilen kein Halten mehr für die Flammen.

Der politische Dammbruch nach rechts außen, vor dem oft gewarnt wurde – dieser Dammbruch hat sich nun im Freistaat Thüringen mithilfe der CDU/FDP ereignet. Waren es bisher Einzelfälle auf kommunaler Ebene, in denen Vertreter demokratischer Parteien mit AfD-lern anbandelten, hat nun die Hemmungslosigkeit die Politik auf Landesebene erreicht. Das ist eine politische Schande, die auch nach dem Rücktritt von Kemmerich bleiben wird. Sein Amtsverzicht kann nicht einfach heilen, was hier kaputtgegangen ist. Denn es ist nicht auszuschließen, dass hier eine Kettenreaktion in Gang kommt und die bisherige Abgrenzung innerhalb des bürgerlichen Lagers zur modernen Rechten über den Haufen geworfen wird.

Doch es gibt auch positives zu vermelden: In Erfurt, Berlin, Leipzig, Jena, Frankfurt und auch in NRW gingen tausende Menschen für mehr Demokratie auf die Straßen und demonstrierten dagegen, den Rechten der AfD und ihrer autoritären Ideologie das Feld zu überlassen. Es war dieser Druck, den Kemmerich – die FDP und CDU – medial, politisch und von der Straße erlebt haben, den sie nicht mehr ignorieren konnten.

Die Vorgänge in Erfurt unterstreichen, wie notwendig es ist, dass wir Gewerkschafter verstärkt die neuen Rechte im Bündnis mit anderen demokratischen Kräften der Zivilgesellschaft in der Gesellschaft und in den Betrieben bekämpfen. Schließlich gehört der Antifaschismus zur Gründungsurkunde unserer IG Metall. In diese Tradition reiht sich der Beschluss der Delegierten der IG Metall auf dem Gewerkschaftstag im Oktober 2019 in Nürnberg ein: „Die IG Metall stellt völkisch-nationalistischer, rassistischer oder sexistischer Programmatik keine (Diskussions-)Räume zur Verfügung. Der Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung ist und bleibt eine zentrale Aufgabe für alle Metaller*innen.“

Anmerkung
(1) Die Erklärung für das Verhalten der CDU liefert eine aktuelle Umfrage des Forsa-Institutes. Würde am Sonntag neu gewählt, käme die CDU mit einem Verlust von rund 10 Prozent nur noch auf 12 Prozent (zuvor 21,7%). Die FDP würde auf vier Prozent (zuvor 5%) fallen und den Einzug in den Landtag verpassen. Die Linke würde von 31 auf 37 Prozent zu legen. Weil die Grünen 1,8 Prozentpunkte zulegen würden, die SPD 0,8 Prozent und die AfD nur 0,6 Prozent, würde es wieder für Rot-Rot-Grün reichen – dieses Bündnis käme auf 53 Prozent der Stimmen. (NTV 07.02.2020)

Foto: Demonstrantinnen vor der Thüringischen Staatskanzlei in Erfurt – dpa

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