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Die Pandemie war nur Brandbeschleuniger

Das „Sommer“- Interview mit Mathias Hillbrandt

Ein Gespräch mit dem 2. Bevollmächtigten der IG Metall Ennepe-Ruhr-Wupper und Vorsitzenden des DGB-Kreisvorstandes Ennepe-Ruhr Mathias Hillbrandt über Gewerkschaftsarbeit unter Corona-Bedingungen, Strategien der Arbeitgeber*innen, die ökonomische Entwicklung in den heimischen Betrieben und die bevorstehende Bundestagswahl 2021. Das Interview führte Otto König.

Frage: Wie sind deine Erfahrungen aus den vergangenen Monaten. Nutzten auch in unserer Region Firmen die Corona-Pandemie, um Sparpläne und Stellenstreichungen umzusetzen und Arbeitnehmerrechte und Tarifverträge zu unterlaufen?

Mathias Hillbrandt: Wir hatten ja schon Ende 2019 eine konjunkturelle Abschwächung zu verzeichnen. Was in unserer Region dazu führte, dass eine Reihe von Betrieben, vor allem Automobilzulieferer ihren Betriebsräten Restrukturierungspläne präsentierten. Unter dem Deckmantel des technologischen Wandels wurden Umstrukturierungen und Personalabbau angekündigt. Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen wurden abgemeldet, befristete Arbeitsverträge nicht verlängert und Kurzarbeit angemeldet.  Die im Frühjahr 2020 einsetzende Corona-Pandemie wirkte da nur noch als Brandbeschleuniger, um die Restrukturierungs- und Rationalisierungsprogramme schneller voranzutreiben oder wie bei Schaeffler in Wuppertal trotz Widerstand der Beschäftigten den Standort zu schließen und die Produktion zu verlagern.

Ist es nicht obszön, dass Konzerne in der Autobranche Staatshilfen kassierten und gleichzeitig üppige Dividenden ausschütteten?

Mathias Hillbrandt: Natürlich ist es moralisch und ethisch verwerflich, sich mit Mitteln aus dem Staatshaushalt bzw. der Arbeitslosenversicherung unterstützen zu lassen und gleichzeitig Gewinne auszuschütten, um die Aktionäre zu befriedigen. Es ist aber auch ökonomisch falsch, denn diese Finanzmittel werden dringend benötigt, um den Strukturwandel in den Betrieben und in den Branchen stemmen zu können. Es darf nicht sein, dass beispielsweise die Automobil-Konzerne die Kosten für notwendigen Investitionen für die Transformation und die Digitalisierung auf die Beschäftigten abzuwälzen oder an die Zulieferer durchzureichen. Die Politik hätte eine Verordnung erlassen müssen, die das Beziehen Kurzarbeitergeld-Zuschüssen und das gleichzeitige Ausschütten von Gewinnen untersagt. Doch man hatte den Eindruck, dass die Bundesregierung darauf bedacht war, nicht in Unternehmensentscheidungen einzugreifen.

Wie wirkten sich nach deinen Erfahrungen die „coronabedingten“ Abstandsregeln auf die gewerkschaftliche Arbeit aus?                                                                                                    

Mathias Hillbrandt: Die Arbeit der Hautamtlichen im Homeoffice konnten gut wir regeln. Auch die digitale Kommunikation mit den Spitzenfunktionär*innen in den Betrieben und den Gremien funktioniert gut. Doch der digitale Austausch ist kein gleichwertiger Ersatz für das persönliche Gespräch mit Betriebsräten und Vertrauensleuten und Mitgliedern. Zu unserer Arbeit gehört, mal an der Werkbank vorbeizugehen oder ins Büro reinzuschauen und mit den Mitgliedern zu sprechen, um ein Gefühl für die Stimmung der Kolleg*innen bekommen. Bei den betrieblichen Funktionär*innen führen die pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen dazu, dass beispielsweise die Mitgliederwerbung auf Sparflamme läuft.

Die Metallarbeitgeber setzten in der diesjährigen Tarifrunde darauf, dass es der IG Metall nicht gelingen würde, ihre Mitglieder mobil zu machen. War es in diesem Jahr wesentlich schwieriger für die Tarifrunde zu mobilisieren?                                                               

Mathias Hillbrandt: Na ja, wir haben es schongeschafft, die Kolleginnen und Kollegen zu mobilisieren. Wir haben corona konform Warnstreiks durchgeführt, beispielsweise Frühschluss-Aktionen in den Betrieben, aber auch eine Kundgebung im Autokinoformat in Sprockhövel bzw. Kundgebungen mit Abstand und Maske in Gevelsberg, Witten und Wuppertal. Also medial waren wir schon in der Lage, kämpferisch beeindruckende Bilder zu produzieren. Doch wir müssen aber auch realistisch einschätzen, damit erreichten wir nicht den Druck auf die Arbeitgeber*innen wie mit massiven Warnstreiks auf den Werkshöfen oder mit „24-Stunden-Warnstreiks“.

Angesichts gesunkener Corona-Inzidenzzahlen und steigender Impfquoten wächst der Optimismus in der deutschen Wirtschaft. Teilst du diesen Optimismus für unsere Region?    

Mathias Hillbrandt: Die wirtschaftliche Situation stellt sich in unserer Region nach wie vor sehr unterschiedlich dar. Wir haben Betriebe, die von der Corona-Pandemie profitiert haben, wie beispielsweise Vorwerk in Wuppertal, ABC SPAX und dormakaba in Ennepetal. Auch in Teilen des Maschinenbaus gibt es einen positiven Trend. Während Gießereien und Schmieden zum Teil unter nicht getätigten Investitionen leiden. In der Stahlindustrie wie bei DEW in Witten steigt der Auftragseingang. Auch bei den Automobilzulieferern nehmen die Abrufe der OEMs zu. Gleichzeitig leiden sie unter der rigiden Preispolitik ihrer Abnehmer. Darüber hinaus stellen wir fest, dass höchstens 25 Prozent der Betriebe beim Thema „Transformation“ gut aufgestellt ist. Zusammengefasst, mein Optimismus hält sich in Grenzen.

Steht die gewerkschaftliche Politik steht nicht vor der Aufgabe, sich für die Nach-Pandemie-Zeit neu zu positionieren?

Mathias Hillbrandt: Unbedingt, zumal sich das Verhältnis zwischen den Unternehmerverbänden und den Gewerkschaften verschlechtert hat. Ich will mal so sagen. Einige auf der Kapitalseite wittern Morgenluft. Ohne Zweifel gibt es im Arbeitgeberlager nach wir vor noch Kräfte, die in den Betrieben gemeinsame Lösungssuche bevorzugen. Doch die Zahl der Kapitalvertreter wächst, die eine Strategie des Durchziehens ohne Rücksicht auf Verluste bevorzugen bzw. die sich vom Flächentarifvertrag verabschieden wollen. Sie wollen einen flächendeckenden Rückbau des Tarifrechts sowie der Arbeits- und Sozialverfassung mit negativen Folgen für unsere Kolleginnen und Kollegen. Dazu muss unsere IG Metall künftig deutlicher positionieren und auch deutlicher reagieren.

Am 26. September finden die Bundestagswahlen statt. Was erwartest du als DGB-Gewerkschafter von den Parteien?

Mathias Hillbrandt: Mitbestimmung, Flächentarifverträge und sozialstaatliche Absicherung sind auch in Zukunft zentrale Bausteine für unsere Arbeit. Deshalb erwarten wir von den politischen Parteien Initiativen zum Ausbau der betrieblichen- und Unternehmens-Mitbestimmung. Die Politik muss einen Rahmen für eine aktive Beschäftigungs- und Qualifizierungspolitik, sowie für eine moderne regionale Strukturpolitik schaffen. Nur so gelingt es qualifizierte Industriearbeitsplätze auch in unserer Region nicht nur zu halten, sondern auch neu anzusiedeln. Dazu müssen die öffentlichen Investitionen ausgeweitet werden. Deshalb wenden wir uns entschieden gegen die Pläne der CDU/CSU und FDP die Unternehmenssteuern zu senken. Im Gegenteil, die „TOP“-Verdiener*innen und Reichen müssen stärker zur Finanzierung der Kosten der Corona-Pandemie herangezogen werden. Der DGB fordert deshalb die Wiedereinführung der Erbschafts- und Vermögenssteuer.

Was müssen wir dazu beitragen, dass es nach der Wahl zu einem politischen Kurswechsel kommt?                                                        

Mathias Hillbrandt: Zum einen müssen wir unsere politische Lobbyarbeit im parlamentarischen Raum verstärken. Dort müssen wir unsere Forderungen im Interesse der arbeitenden Menschen platzieren. Dazu brauchen wir Bündnispartner*innen. Zum anderen müssen wir in der Mitgliedschaft, in den Betrieben verstärkt Aufklärung über die politischen Zusammenhänge betreiben. Wir müssen unsere Mitglieder befähigen selbst entscheiden zu können. Sie müssen erkennen: Nicht mit konservativ-liberalen Kräften, und erst recht nicht mit rechten AfD-Rattenfängern, sondern nur mit einer fortschrittlichen Regierung ist ein Politikwechsel im Interesse der arbeitenden Menschen zu bewerkstelligen.

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