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„Diese irrationalen Managemententscheidungen machen mich noch heute wütend“

Frühjahr 2009: Aus der Konzernzentrale des US-amerikanischen Konzerns Avery Dennison im kalifornischen Pasadena kam die schockierende „Message“: Die Produktion der Web-Etiketten im westfälischen Sprockhövel wird stillgelegt. Ausgerechnet in der Partyscheune des Golfhotels Vesper in Hasslinghausen verkündete Geschäftsführer Thomas Willing die Hiobsbotschaft: 180 Beschäftigte müssen gehen. „Eine makabre Situation. Es gab doch nichts zu feiern. Im Gegenteil – viele meiner KollegInnen hatten Tränen in den Augen und waren gelähmt von der die Nachricht“, erinnert sich der damalige Betriebsratsvorsitzende Björn Kurrek.

Tage später, in der vom Betriebsrat einberufenen Versammlung im Hochregallager im Betrieb, schwor Björn die Beschäftigten erneut auf den Kampf für den Erhalt des Standortes ein.

Der „Alptraum“ für die traditionsbewussten TextilerInnen an der Kleinbeck zeichnete sich jedoch schon 2004 ab, als der Familienbetrieb Karl Rinke GmbH vom börsennotierten Avery Dennison-Konzern übernommen wurde. 55 der 180 Beschäftigten verloren 2004 ihren Arbeitsplatz.

Drei Jahre später schluckte die Avery Dennison Corporation ihren Konkurrenten Paxar, mit der Folge, dass dessen Standort in der Harkortstrasse in Hasslinghausen ein Jahr später geschlossen wurde. „Diese irrationalen Managment-Entscheidungen bei denen die Existenz von Menschen keine Rolle spielen und die Ankündigung vom Arbeitsplatzabbau Aktienkurse hochtreiben, machen mich heute noch wütend“, sagt Björn.

Björn Kurrek wurde 1970 „aushäusig“ in Hagen geboren. Aufgewachsen ist er in Milspe an der Ennepe, da besteht er drauf. In seinem Geburtsjahr gab die britische Rockband  „The Beatles“ ihre Trennung bekannt. Es ist nicht überliefert, ob dieses Ereignis entscheidenden Einfluss auf Björns spätere Begeisterung für Rock-Musik hatte. Doch zunächst beeinflusste ihn die Band „Alabama“ mit ihrer Country-Musik, die ihn beim Radiohören in ihren Bann zog und dazu führte, dass er ein Band gründete.

Seine Schulzeit – Grund- und Realschule, sowie die zweijährige höhere Handelsschule – absolvierte Björn Kurrek in Ennepetal und Gevelsberg. Die dreijährige Ausbildung zum Industriekaufmann begann er beim Schwelmer Haushaltsgeräte-Produzenten Gerda. Es war der Betriebsratsvorsitzende der ihn mit der Bemerkung „komm frag nicht so viel, unterschreib hier“ in die IG Metall aufnahm. Nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung arbeitete der IG Metaller zunächst beim Haushalts-Waagen Hersteller EKS auf dem gleichen Werksgelände weiter.

Die Verlagerung des EKS-Betriebes in den süddeutschen Raum veranlasste ihn zum Wechsel. Nicht ausgeschlossen sei, dass seine fast zweijährigen Erfahrungen als Verkaufsassistent bei Europas größtem Schuhhändler Deichmann mit dazu beigetragen haben, „mich gegen soziale Ungerechtigkeit zu engagieren“, meint Björn. Als kommissarischer Filialleiter erlebte er hautnah, wie den meist „halbtagsbeschäftigten Verkäuferinnen massenhaft Überstunden aufs Auge gedrückt wurde“. Der Umgang mit den zumeist weiblichen Beschäftigten widersprach zutiefst seinem Verständnis vom Respekt gegenüber arbeitenden Menschen.

So heuerte Björn Kurrek schließlich 1995 als Verkaufsassistent beim Etikettenproduzenten Karl Rinke GmbH in Sprockhövel an. Später wurde er mit der Einführung der EDV im Betrieb beauftragt, deren technische Betreuung er danach übernahm. Hier, an der Kleinbeck begann auch „meine „Karriere“ als Interessenvertreter“ erläutert Björn lachend und schildert wie es dazu kam: Er solle doch mal ins Betriebsatsbüro kommen, habe ihm das Betriebsratsmitglied Jörg Muthmann gesagt. Nein, er hatte nichts verbrochen. Der scheidende Betriebsratsvorsitzende Wilfried Rahm wollte ihn nur für die Kandidatur bei der anstehenden Betriebsratswahl 2004 gewinnen. Dessen Werben war von Erfolg gekrönt: Björn wurde nicht nur in den Betriebsrat gewählt, sondern vom Gremium zum neuen Vorsitzenden gekürt. Im gleichen Jahr ließ der Gewerkschafter seine Mitgliedschaft in der IG Metall wieder aufleben.

Die blumigen Worte des damaligen Geschäftsführers Dr. Heinz Tischer, der nach dem Verkauf des Familienbetriebs an den US-amerikanischen Konzerns Avery Dennison die „verunsicherte Belegschaft“ zu beruhigen versuchte „für sie ändert sich nichts“, hatten nur einen geringen Haltbarkeitswert. „Ich hatte Urlaub, da erreichte mich zu Hause ein Anruf von meinem Betriebsratskollegen Peter Clemens, dass in den Abteilungen Briefe verteilt werden, mit dem Inhalt: Die Arbeitszeit werde von 37,5-Stunden unbezahlt auf 40 Stunden verlängert“, schildert Björn den ersten großen Konflikt in seiner Amtszeit mit dem neuen Geschäftsführer Gihan Attapattu und fügt hinzu: „Diese Auseinandersetzung haben wir gewonnen. Die Mehrheit hat die neuen Arbeitsverträge mit der verlängerten Arbeitszeit nicht unterschrieben.“ Doch die Konflikte nahmen zu, insbesondere um die Tarifbindung des Betriebes, „das führte uns bis zum Bundesarbeitsgericht“.

Doch die „freundliche Übernahme“ des US-amerikanischen Konzerns Paxar durch die konkurrierende  Avery Dennison Corporation im März 2007 und die Ankündigung des Konzernchefs Dean Scarborough „durch die Marktbereinigung weltweit Synergieeffekte in der Größenordnung von bis zu 100 Mio. Dollar erzielen zu wollen“, ließen „bei mir und der Paxar-Betriebsratsvorsitzenden Sadiye Mesci-Alpaslan alle Alarmglocken läuten.

Beide Betriebsratsgremien rauften sich zusammen und „wir mischten uns mit eigenen ‚alternativen Zukunftskonzepten‘, die in Ideenwerkstätten und Workshops mit den Beschäftigten entwickelt wurden, in den Fusionsprozess und den Erhalt der Standorte ein“. „Kompetent unterstützt wurden wir von Kollegen der arbeitnehmernahen Beratungsgesellschaft PCG in Essen und der IG Metall Gevelsberg-Hattingen“, weist Björn daraufhin.

Doch trotz öffentlichkeitswirksamen Druck auf den Konzern mit Demonstrationen und Kundgebungen gemeinsam mit den um ihre Arbeitsplätze kämpfenden KollegInnen der O&K Antriebstechnik in Hattingen – beide Betriebsräte hatten einen „Pakt der Solidarität“ geschlossen, wurde die Produktion in Sprockhövel stillgelegt. Dem Betriebsrat gelang es in schwierigen Verhandlungen die Zahl der Kündigungen zu reduzieren, einen materiell gut ausgestatteten Sozialplan abzuschließen und eine Transfergesellschaft zu vereinbaren.

„Ohne unsere Aktionen und Demonstrationen hätten wir dieses Ergebnis nicht erzielt“, sagte Björn Kurrek im Herbst 2009 in seiner letzten Ansprache an die Belegschaft.

Davon sei er auch heute noch überzeugt, sagte er in unserem Gespräch im Juli 2016  in seinem jetzigen Büro im Gewerbepark Henrichshütte. Björn wechselte wie die meisten Betroffenen von Avery Dennison 2010 in die BOB-Transfergesellschaft und war danach befristet als Transfer-Berater tätig.  Später stieg der ehemalige Betriebsratsvorsitzende in die Innovations- und Qualifizierungsgesellschaft „IQ Ruhr“ ein, die er als Geschäftsführer leitet. Sein gewerkschaftliches Engagement für Menschen setzt Björn heute in Projekten der Weiterqualifizierung um, „es geht darum, ihre Chancen auf eine Beschäftigung und damit auf ein besseres Leben zu erhöhen“.

Foto: Björn Kurrek (1. Reihe, 2.v.l.) bei einer Aktion des „Pakts der Solidarität“ im September 2009 auf dem Untermarkt in Hattingen – Foto: IGM GH-Archiv

 

 

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