„Dreist und instinktlos“

ThyssenKrupp: Vorstand bekommt Bonus für Job-Kahlschlag
Ein Kommentar von Otto König
Der traditionsreiche ThyssenKrupp-Konzern war eines der Aushängeschilder der Montanindustrie im Ruhrgebiet. Aktuell steckt das Unternehmen in einer tiefen Krise, verursacht durch katastrophale Managementfehler, die jetzt durch die Corona-Krise verstärkt werden. Der Umsatz ist im Vergleich zum vergangenen Geschäftsjahr um 15 Prozent gesunken.
Mit drastischen Folgen für die Beschäftigten: Sparten werden verkauft, Werke geschlossen, das größte Kahlschlag-Programm in der Geschichte des Unternehmens wurde auf den Weg gebracht. Statt der bisher geplanten 6000 Arbeitsplätze will das Management insgesamt 11.000 Arbeitsplätze vernichten. Das ist mehr als jeder zehnte Job im Unternehmen und fast doppelt so viel wie bislang geplant. Betriebsbedingte Kündigungen werden nicht mehr ausgeschlossen.
Während die Betroffenen vor den Weihnachtsfeiertagen um ihre Arbeitsplätze und die Zukunft ihrer Familien bangen, hat der Aufsichtsrat der Thyssenkrupp AG für den dreiköpfigen Vorstand einen saftigen Bonus für „außergewöhnliche Leistungen“ im Corona-Jahr beschlossen. Das oberste Kontrollgremium des Konzerns sprach Vorstandschefin Martina Merz eine einmalige Sonderzahlung in Höhe von 500.000 Euro zu. Ihre Vorstandskollegen Oliver Burkhard und Klaus Keysberg bekommen jeweils 200.000 Euro extra. Zur Begründung heißt es, das Management habe „Außergewöhnliches geleistet“, so etwa beim Verkauf der Aufzugsparte.
Angesichts der Tatsache, dass die „Perle des Unternehmens“ auf Druck der aktivistischen Hedgefonds verscherbelt wurde, und vor dem Hintergrund der geplanten Vernichtung von tausenden Arbeitsplätzen sind derartige Sondervergütungen für die Vorstandsmitglieder dreist und instinktlos. Der nordrhein-westfälische IG Metall-Bezirksleiter Knut Giesler empörte sich: „Boni gibt es nur bei wirklichen Zukunftsperspektiven für Standorte, Beschäftigte durch Investitionen und Innovationen. Die Schonfrist für Frau Merz und den neuen Vorstand ist vorbei.“
Natürlich lässt sich immer trefflich darüber streiten, wie viel Manager tatsächlich verdienen sollen. Wer wie Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz schwadroniert, dass es keine Tabus, keine Scheu vor harten Einschnitten geben dürfe, und den Stahlarbeiter*innen Opfer abpresst, die in diesem Jahr durch Kurzarbeit und Verzicht auf Urlaubsgel in Höhe von 1000 Euro schon erhebliche finanzielle Einbußen hinnehmen mussten, also „Wasser predigt und Wein trinkt“, muss sich gefallen lassen, dass seine Einkünfte kritisch hinterfragt werden.
Laut Zufluss-Tabelle in der Konzernbilanz kann Vorstandschefin Merz im vergangenen Geschäftsjahr mit rund 2,44 Millionen Euro rechnen. Bei Keysberg sind es 1,6 Millionen Euro, bei Burkard 1,15 Millionen Euro (nach knapp 2,4 Millionen Euro im Vorjahr). Die Gehälter in diesem Jahr sind deshalb niedriger wie in den Jahren davor, weil aufgrund der „absolut nicht zufriedenstellenden Geschäftsentwicklung“ keine Tantieme gezahlt wird.
Auch Aktionärsvertreter entrüsteten sich nach dem Motto, das Geld, „das für fragwürdige Zwecke ausgegeben“ werde, sei „das Geld der Aktionäre“. Nein, es ist nicht das „Geld der Aktionäre“ und auch nicht das Geld des Vorstands. Es sind die Thyssenkrupp-Beschäftigten, die dieses Geld durch ihre tagtägliche Arbeit erwirtschaften. Deshalb darf der geplante massenhafte Arbeitsplatzabbau nicht mit einer Erfolgsprämie – und nichts anderes meint „Sondervergütung“ – belohnt werden.
Zurecht schreibt die IG Metall-Vertrauenskörperleitung (VKL) von Thyssenkrupp-Stahl in einem offenen Brief an den Vorstand, der den großen Unmut in der Belegschaft zum Ausdruck bringt: „Auch wenn Ihnen die Sondervergütung formal zusteht, fordern wir Sie zum freiwilligen Verzicht auf. Das wäre ein „solidarisches Signal“. Die IG-Metall-Vertreter*innen regen an, die Vorstandsmitglieder sollen die Sondervergütung spenden, „beispielsweise in einen Topf für soziale Härtefälle – diese wird es bestimmt unter den über 100.000 Kolleginnen und Kollegen der Thyssenkrupp AG geben“