
Die Arbeitgeber trommeln derzeit massiv für möglichst niedrige Sozialabgaben und fordern eine Festschreibung der ‚Gesamtbelastung‘ durch Sozialbeiträge auf unter 40 Prozent. Gleichzeitig macht die Rede von der Entlastung der ArbeitnehmerInnen bei der Arbeitslosen-, Kranken- oder Rentenversicherung die Runde. Es heißt: Im kommenden Jahr könnten die Beitragssätze sinken und den Beschäftigen „mehr Netto vom Brutto“ bescheren. Klingt gut. Doch „eine Obergrenze für Sozialabgaben könnte die Beschäftigten am Ende teuer zu stehen kommen“, so die Erste Bevollmächtigte Clarissa Bader. Ihnen drohen weitere Kürzungen der Sozialleistungen und sie sind gezwungen, den Versorgungslücken privat hinterher zu sparen.
Fakt ist: Die Arbeitslosenversicherung steht derzeit finanziell gut da. Ende 2017 belaufen sich die Rücklagen der Bundesagentur für Arbeit (BA) auf etwa 16 Mrd. Euro. Eine Senkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung scheint machbar. Doch die Arbeitslosenversicherung ist der konjunkturanfälligste Sozialversicherungszweig. Kommt es zu einer Krise und wächst die Arbeitslosigkeit, steigen die Ausgaben der BA schnell an. Das hat sich in den Krisenjahren ab 2008 gezeigt. Fast 1,5 Millionen Beschäftigte erhielten damals Kurzarbeitergeld. Die Rücklagen der BA waren danach weitgehend aufgezehrt. Es ist also absolut sinnvoll, wenn die Arbeitslosenversicherung in wirtschaftlich guten Zeiten Rücklagen aufbaut, um im Fall einer Krise schnell und effektiv handeln zu können.
Fakt ist: Wenn bei der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) von Beitragssenkung und Entlastung der Versicherten die Rede ist, geht es nicht um den allgemeinen Beitragssatz von 14,6 Prozent, sondern um den Zusatzbeitrag, den ausschließlich die Versicherten zahlen. Der Arbeitgeberbeitrag ist seit 2011 eingefroren. Tatsächlich hat das Bundesgesundheitsministerium den durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz für das Jahr 2018 um 0,1 Prozentpunkte gesenkt und von bisher 1,1 auf 1,0 Prozent festgesetzt. Von einer wirklichen Entlastung zu reden, ist jedoch Augenwischerei: Denn bei 3.000 Euro Bruttoeinkommen sind das gerade mal 3 Euro im Monat.
Schließlich handelt es sich bei den jetzt möglichen Senkungen nur um ein vorübergehendes Phänomen: Langfristig steigen im Trend die Ausgaben der GKV stärker als die Einnahmen. Die Lücke wächst und muss aus Zusatzbeiträgen der Versicherten finanziert werden. Allein aufgrund der Bevölkerungsalterung rechnet das Institut der deutschen Wirtschaft von 2020 bis 2050 mit einem Anstieg um 3,7 Beitragssatzpunkte. Perspektivisch wird daher die Belastung der Versicherten steigen, eine Atempause oder gar Entlastung ist nicht in Sicht.
Fakt ist: Auch beim Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung droht in den kommenden Jahren eine unbeständige Entwicklung. Zwar soll der Rentenbeitrag 2018 um 0,1 Prozentpunkte auf 18,6 Prozent sinken. Doch in wenigen Jahren werden die heutigen Rücklagen der Rentenversicherung aufgebraucht sein. Der Beitragssatz muss dann wieder steigen. Die Bundesregierung geht aktuell von einer Steigerung ab 2022 in mehreren Schritten bis 2031 auf 21,9 Prozent aus. Für die Beschäftigten heißt das: Ein Durchschnittsverdiener mit rund 3.150 Euro Bruttoeinkommen wird durch die jetzige Beitragssenkung um knapp 1,60 Euro im Monat ‚entlastet‘. Gleichzeitig wird das Rentenniveau schon bald weiter sinken und die Versorgungssituation der heute jüngeren Generationen sich im Alter damit massiv verschlechtern.
Die aktuelle Beitragssenkung wird zu einem vergifteten Geschenk für die Versicherten. Die Politik sollte besser auf voreilige Beitragssenkungen verzichten und stattdessen angemessene Rücklagen für bessere Leistungen in der Zukunft bilden. Eine Rücklage mit Weitblick ist ein Baustein im Finanzierungsmodell der IG Metall für den Neuaufbau einer solidarischen Alterssicherung mit einem zunächst stabilisierten und dann steigenden Rentenniveau.
Weder kurzfristige Beitragssenkungen und schon gar keine willkürliche Obergrenze für Sozialabgaben stellen eine reale Entlastung dar. Die vermeintliche Entlastung erweist sich bei genauer Betrachtung vor allem für Beschäftigte und Versicherte mittelfristig als Bumerang. Wer die Versorgungslücke schließen will, wird teuer privat vorsorgen müssen – ohne Arbeitgeberbeitrag.
Umso wichtiger sind die Forderungen der Gewerkschaften nach Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung und nach einer solidarischen Bürgerversicherung sowie einer Erhöhung des Rentenniveaus.
(Unter Verwendung der „Informationen zur Sozialpolitik Nr. 43 / Dezember 2017“ der IG Metall Frankfurt/Main, Funktionsbereich Sozialpolitik)
Foto: MetallerInnen protestieren – Foto: Thomas Range