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Eine Frage des Respekts

Einen Vorschlag zur „Grundrente“ hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorgelegt. Damit soll für rund drei Millionen Geringverdiener – zu 75 Prozent Frauen – die Anerkennung von „Lebensleistungen“ und die „Vermeidung von Altersarmut“ erreicht werden. Das Konzept folgt dem Prinzip „Arbeit muss sich lohnen“: Wer ein Leben lang hart gearbeitet hat, soll im Alter mehr haben als den Sozialhilfesatz. „Wer ein Leben lang gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt hat, hat im Alter auch eine ordentliche Rente verdient und sollte nicht zum Sozialamt geschickt werden“, sagt DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Der DGB und die IG Metall unterstütze deshalb diesen Vorschlag fordere die schnelle Umsetzung des Modells. Damit würde endlich ein gesellschaftlicher Skandal bekämpft.

So soll‘s funktionieren

Ob Friseur*innen oder Krankenpfleger*innen in Teilzeit: Vielen Menschen in Deutschland droht im Alter der Gang zum Sozialamt. Sie haben oft jahrzehntelang hart gearbeitet aber nur wenig verdient – entsprechend gering fielen ihre Rentenbeiträge aus. Ergebnis: eine Minirente, von der man nicht leben kann. Die Grundrente soll deshalb bekommen, wer mindestens 35 Jahre Beiträge gezahlt, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt hat. Die Rente wird dann um bis zu 448 Euro erhöht, abhängig von der Höhe der eigenen Beiträge. Wer im Mittel der 35 Jahre mindestens 40 Prozent des durchschnittlichen Lohns hatte, hat dann eine Rente von 896 Euro. Beschäftigte, die viele Jahre mit geringen Löhnen arbeiten mussten, sollen am Ende nicht in die Grundsicherung fallen, sondern eine ausreichende gesetzliche Rente ohne Bedürftigkeitsprüfung bekommen.

Damit die Rente auch bei höheren Wohnkosten noch ausreichend ist, soll das Wohngeld ergänzend verbessert werden. Niemand muss beim Amt seine Vermögensverhältnisse offenlegen. Die Rentenversicherung soll automatisch prüfen, wie viele Entgeltpunkte im Durchschnitt angesammelt wurden. Wenn weniger als 0,8 Entgeltpunkte angesammelt wurden, werden diese verdoppelt – allerdings nur für 35 Beitragsjahre und höchstens auf diese 0,8 Entgeltpunkte. Im Höchstfall kann der Zuschlag 14 Entgeltpunkte erreichen, das sind derzeit 448 Euro. „Mit der Grundrente und einem Freibetrag für die gesetzliche Rente in der Grundsicherung nimmt Hubertus Heil unsere langjährige Forderung auf“, sagt Hans-Jürgen Urban, der im IG Metall-Vorstand für Sozialpolitik zuständig ist. „Wichtig ist, dass diese Neubewertung des Rentenverlaufs auch für Bestandsrenten gilt.“

Schafft die Grundrente neue Ungerechtigkeiten?

Während das vorgelegte Konzept die Zustimmung einer Mehrheit der Deutschen – 61 Prozent der Befragten sind dafür, 34 Prozent dagegen, so das ZDF-Politbarometer (08.02.2019), beurteilen dagegen neoliberale Ökonomen den Vorschlag skeptisch . Die sogenannten Rentenexperten kritisieren vor allem das Fehlen einer „Bedürftigkeitsprüfung“. Der Verzicht auf die Prüfung von Einkommen und Vermögen bedeute, dass auch Personen Grundrente beziehen können, die gemeinsam mit dem Ehepartner ein Ruhestandseinkommen über der Grundsicherung erhalten. Für die Skeptiker ist das Modell der Grundrente deshalb ungerecht, nicht zielgenau und werde zu teuer – eine Argumentation, die auch die CDU und CSU wie eine Monstranz vor sich her trägt.

Hat die Mehrheit der Bürger*innen, die die Grundrente gut findet, die grundlegenden ökonomischen Zusammenhänge nicht verstanden? Oder haben sie ein besseres Verständnis für die Lebenswirklichkeit als jene Ökonomen und Politiker, die sich mit ihrer Kritik medial in den Vordergrund geschoben haben? 

Nehmen wir das Beispiel eines Mannes, der 45 Jahren lang gearbeitet und durchschnittlich rund 3200 im Monat verdient hat. Dieser bekommt eine Rente von 1.285 Euro ausgezahlt. Er lebt mit einer Frau zusammen, die ein Kind erzogen hat und noch 35 Jahre für monatlich 1000 Euro arbeiten gegangen ist. Sie bekommt 395 Euro Rente. Zusammen haben sie 1.680 Euro. Bei einer Miete von 700 Euro haben sie 220 Euro mehr als das Existenzminimum.  An einer Bedürftigkeitsprüfung, wie die Kritiker sie fordern, würden sie scheitern und ihr Alterseinkommen würde trotz jahrzehntelanger Arbeit nicht erhöht. Im Vorschlag des Arbeitsministers bekäme das Paar eine rund 300 Euro höhere Rente ausgezahlt.  Von derlei Beispielen dürften weit mehr Menschen betroffen sein, als die oft zitierten „Arztgattinnen“ oder der Fall des „Millionenerbens“ mit lebenslanger Erwerbstätigkeit im Niedriglohnsektor, der in den Boulevardmedien diskutiert wurde.

Finanzierung aus Steuermitteln ist gerecht

Fakt ist: Die Grundrente erreicht zwei Ziele. Sie bewahrt den Grundgedanken der Rentenversicherung: Wer mehr eingezahlt, bekommt auch mehr. Die Verantwortung für aus Niedriglöhnen oder unfreiwilliger Teilzeit resultierenden Armutsrenten liegt in erheblichem Maße bei den Unternehmen und der gesamten Gesellschaft. Deshalb ist eine Finanzierung der Grundrente aus Steuermitteln gerecht. Das Konzept kann ein wichtiger Beitrag sein, „um am Ende eines langen Erwerbslebens eine ausreichende Rente zu erreichen und Altersarmut zu vermeiden“, sagt die IG Metall Bevollmächtigte Clarissa Bader.

Es ist noch völlig offen, wie die Debatte in der Großen Koalition über die Grundrente ausgehen und in welcher Form diese dann letztlich kommen wird. Eine gewichtige Frage ist sicherlich, welche Lebensphasen berücksichtigt werden und wie das Konzept an der „Abrisskante“ von 35 Jahren ausgestaltet wird, wovon abhängt, wie viele und welche Menschen tatsächlich eine Verbesserung ihrer Altersbezüge erhalten würden – und wie hoch die Kosten dafür sind. Die Gegenfinanzierung durch eine Steuererhöhung für Top-Verdiener würde verdeutlichen, dass die Grundrente eine Umverteilung von oben nach unten ist und somit die Verteilungsgerechtigkeit stärkt

Klar ist aber auch, dass die Grundrente allein nicht das ursprüngliche Problem des ausufernden Niedriglohnsektors bekämpft. Um diesen zurückzudrängen und mehr gutbezahlte Arbeit zu schaffen, sind mehrere ineinandergreifende Maßnahmen notwendig. eine deutliche Senkung der Sozialabgaben für Geringverdiener, eine Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro sowie die Stärkung der Tarifbindung, um existenzsichernde Löhne durchsetzen zu können.

Foto: Reinigungskraft im Bundestag – dpa

 

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