„Eine moralisch, verwerfliche Strategie“

Carp + Hones Ende Juni stillgelegt: 75 verlieren ihren Arbeitsplatz
Bei der Carp + Hones Guss GmbH im Haspertal sind Ende Juni 2022 die Lichter ausgegangen. Nach zwei Schutzschirmverfahren ist beim Stahlwerk Verneis Schicht im Schacht. Damit ging eine über 150jährige Firmengeschichte zu Ende, geprägt von Höhen und Tiefen sowie von wirtschaftlichen Fehlentscheidungen und nicht getätigten Investitionen. „Zuletzt wurden die Hochwasserschäden im Juli vergangenen Jahres als Vorwand genutzt, um die Gießerei in Ennepetal endgültig an die Wand zu fahren“, sagt Mathias Hillbrandt, zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Ennepe-Ruhr-Wupper.
Es war Anfang der 1990er Jahre als die Gerüchteküche im Betrieb brodelte: Der damalige Anteilseigner Thyssen Guss wolle die Produktion in Ennepetal abziehen und in die Friedrich-Wilhelm Hütte in Mühlheim integrieren. 260 Arbeitsplätze standen auf der Kippe. Die Beschäftigten nahmen mit Unterstützung ihrer IG Metall den Kampf auf. „Wir kämpfen um unsere Arbeitsplätze“, lautete das Motto ihres Kampfes, angeführt vom Betriebsrat und Vertrauenskörper, der Schlagzeilen in den Medien produzierte und Politiker in das abgelegene Tal lockte. Ende 1992 kam die erlösende Nachricht: „Das Stahlwerk bleibt in Ennepetal“. Für 80 Kolleg*innen, die ihren Arbeitsplatz verloren, wurde ein Interessenausgleich und Sozialplan ausgehandelt.
ThyssenKrupp verscherbelt Carp + Hones
10 Jahre später, in den Jahren 2000/2001, traf ThyssenKrupp Automotive die Entscheidung, dass ihre Gießereien nicht mehr zum Kerngeschäft gehören. Die Folge: Die Thyssen Guss AG Stahlwerk Carp + Hones wurde an Schmolz & Bickenbach, einen Stahlhändler in Düsseldorf, verkauft. Es war ein Wechsel vom Regen in die Traufe. Mitte Januar 2014 gab Schmolz & Bickenbach bekannt, dass sich Steffen Liebich, ein von einem Unternehmer-Magazin hochgelobter Restrukturierer, mit 49 Prozent als Gesellschafter in die Guss Gruppe mit den drei Standorten Krefeld, Kohlscheid (Stadtteil von Herzogenrath) und Ennepetal eingekauft habe. Vollmundig verkündete die Kölner Unternehmensberatung BELGRAVIA & Co., die den Kauf des Minderheitenanteils eingefädelt hatte, „mit dem Einstieg werde die Grundlage für die Neuaufstellung der Guss-Gruppe und die Absicherung deren nachhaltiger Wettbewerbsfähigkeit geschaffen.“
Einstieg von Steffen Liebig folgt die Einleitung eines Schutzschirmverfahrens
Als geschäftsführender Gesellschafter sollte Liebig „Programme zur Effizienzsteigerung und Reorganisation der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit“ des Unternehmens umsetzen. Was darunter zu verstehen war, bekamen die Belegschaften in der Gruppe schnell zu spüren: Er kündigte, ohne die Betriebsräte zu informieren sofort die Mitgliedschaft des Unternehmens im Arbeitgeberverband Stahl. Personalabbau und Anträge auf Abschluss von Sanierungstarifverträgen folgten.
Gerade mal sechs Monate waren ins Land gegangen, als das Internetportal „Finanznachrichten.de“ am 27. Juni 2014 die Nachricht verbreitete, dass die Schmolz + Bickenbach Guss GmbH „beim Amtsgericht Krefeld die Einleitung eines Schutzschirmverfahrens“ beantragt habe. Zum vorläufigen Sachwalter sei Rechtsanwalt Dr. Frank Kebekus bestellt worden. Im Gegensatz zum Insolvenzverfahren bleibt im Schutzschirmverfahren die unternehmerische Verantwortung in den Händen der Geschäftsführung, sprich Steffen Liebig konnte weiterhin schalten und walten.
Sechs Jahre später waren es die Corona-Pandemie-Auswirkungen, die herhalten mussten, um ein zweites Schutzschirmverfahren einzuleiten. Die beratenden LWS Rechtsanwälte gaben bekannt, dass die Geschäftsführung der Carp + Hones GmbH am 26.10.2020 beim Amtsgericht Hagen die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung beantragt habe. Der Verneiser Betrieb habe bis zum Lockdown im April 2020 „im Auftragseingang und in der Ergebnisrechnung positiv und wie geplant performt“, hieß es. Ab Mai 2020 sei jedoch ein signifikanter Einbruch der Auftragseingänge zu verzeichnen gewesen. Die Geschäftsführung sei zur Überzeugung gekommen, „dass das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung für die Carp + Hones GmbH die beste Möglichkeit ist, um bereits eingeleitete Sanierungsschritte und notwendige Anpassungen an die pandemiebedingten Marktveränderungen erfolgreich durchzuführen und auf diesem Wege den nachhaltigen und langfristigen Fortbestand des Unternehmens zu sichern“. Der Betrieb der Gesellschaft laufe uneingeschränkt weiter. Die Zahlung der Löhne und Gehälter sei über die Insolvenzgeldvorfinanzierung der Bundesagentur für Arbeit (BA) abgesichert.
Die „Jahrhundertflut“ als Vorwand für Aus der Produktion
Das „Rinnsal“ Hasperbach, das in normalen Zeiten am Betrieb friedlich vorbei fließt, entwickelte sich im Juli 2021 zu einem reißenden Fluss, nachdem nach tagelangem Starkregen, aus der oberhalb gelegenen Hasper-Talsperre Wasser abgelassen wurde. Die Straße vor dem Betrieb und Teile des Betriebes standen unter Wasser. Eine willkommene Gelegenheit für die Geschäftsführung die Produktion gegen den Widerstand des Betriebsrates und des Betriebsleiters stillzulegen. „Es wurde eine moralisch verwerfliche Strategie genutzt, um das endgültige Aus der Produktion zu forcieren“, kritisiert Mathias Hillbrandt die Geschäftsführung. Die zuletzt 75 Beschäftigten verloren ihren Arbeitsplatz.
Es ist vorauszusehen, dass es nicht die letzten Opfer des selbsternannten Sanierers sein werden, dessen Geschäftsmodell lautet: Einkaufen, nicht investieren und wenn notwendig, den Betrieb mit Entlassungen und abgepressten, finanziellen Beiträgen der Belegschaften sanieren bzw. abzuwickeln.
Autor: Otto König