„Eklige Demagogie“
Ein unseliger Pakt: Die AfD - Arm in Arm mit Corona-Leugnern

Ein Kommentar von Otto König
Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die AfD der parlamentarische Arm der Rechtsradikalen in Deutschland ist, wäre er nun endgültig durch das infame Schauspiel, das die AfD- Fraktion während der Bundestagsdebatte über das „Infektionsschutzgesetz“ aufführte, geliefert worden. Während drinnen die Diskussion und die Abstimmung über das neugefasste Gesetz und draußen Proteste von „Corona-Verharmlosern“ stattfanden, wurden auf den Fluren des Reichstagsgebäudes Abgeordnete von AfD-Besuchern belästigt, gefilmt und beleidigt.
Die autoritär-nationalistische Partei konnte von der Corona-Pandemie in Umfragen bisher nicht profitieren. Also prangern die Parteigranden mit drastischen rhetorischen Mitteln den (vermeintlich) übergriffigen Staat und die volksfernen Eliten an, sprechen von der „Corona-Diktatur“ (Alexander Gauland) bzw. dem „Ermächtigungsstaat“ (Björn Höcke), um Mitglieder und Wählerklientel bei der Stange zu halten. Die Rechten haben schnell erkannt, dass sich die Verachtung der Demokratie trefflich als deren Rettung verkaufen lässt. So versucht die AfD außerhalb des Parlaments an die Proteste gegen die Corona-Politik der Bundesregierung, bei denen zunehmend Rechtsradikale und Hooligans mitlaufen, anzudocken.
In den letzten Wochen wurde in der Republik heftig über die Maßnahmen, die die Covid-19-Pandemie eindämmen sollen, gestritten. Sind sie gerechtfertigt, maßvoll, alternativlos? Oder übertrieben, unnötig und haben gar nichts mit dem Schutz der Gesundheit zu tun? Natürlich sind Verständnis und Respekt für kritische Fragen zu diesem Thema, das alle Bürger*innen und Arbeitnehmer*innen betrifft, notwendig. Doch bei „Querdenkern“, Rechtsextremen und Reichsbürgern, die rigoros ablehnen, dass überhaupt Maßnahmen gegen die Pandemie ergriffen werden, und damit bewusst Tote in Kauf nehmen, hört die Toleranz auf. In ihrer Verweigerung Masken zu tragen, Abstand zu halten sowie der Relativierung der Gefahren durch Covid-19 tritt ihre ganze Rücksichtslosigkeit offen zu Tage. Fakt ist: Covid-19 ist weder ein Schnupfen noch eine Erfindung von Bill Gates.
Das Covid-19-Virus ist da, es lässt sich nicht wegdefinieren, wie es die Corona-Leugner verantwortungslos tun. Niemand, der alle Sinne beisammen hat, bestreitet, was Bundespräsident Walter Steinmeier klar formulierte. Das Coronavirus ist „gefährlich, es kann Langzeitfolgen haben, es kann Leben zerstören“. Was Ärzt*innen und Pfleger*innen jeden Tag auf den Intensivstationen in den Kliniken erfahren müssen. Das hochansteckende und vielfach lebensbedrohliche Covid-19-Virus muss deshalb nachhaltig bekämpft werden.
Unstrittig ist, dass bei Entscheidungen zur Bekämpfung der Pandemie Eile geboten ist. Damit verbunden ist allerdings auch die Gefahr für eigenmächtiges Handeln der Exekutive. Sämtliche Corona-Maßnahmen in Bund und Ländern basieren auf Regierungsdekreten – ohne vorherige parlamentarische Debatte und Beschlussfassung. Der Bundestag hatte mit der Novellierung des Infektionsschutzgesetzes Ende März 2020 und der Ausrufung einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ – einer Art „Gesundheitsnotstand“ – sich seiner Rechte selbst behoben und weitreichende Macht- und Entscheidungsbefugnisse auf die Bundesregierung übertragen.
„Der Bundestag hat sich in der Corona-Politik dieser Aufgabe entzogen; er hat seine Pflicht verraten; er hat erlaubt, was das Bundesverfassungsgericht verboten hat: dass in bloßen Rechtsverordnungen der Verwaltung ‚originär politischer Gestaltungswille der Exekutive zum Ausdruck‘ kommt“, so der Journalist Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung (14.11.2020). Der frühere Bundesverfassungsrichter Hans-Jürgen Papier warnt vor einer „Erosion des Rechtsstaats“.
Das Infektionsschutzgesetz (IfSG) ist eine Regelung mit dem Ziel, „übertragbare Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern“. Zur Umsetzung ergreifen staatliche Behörden Maßnahmen, die die Grundrechte der Menschen einschränken. Am 18. November hat der Bundestag Änderungen zum Infektionsschutzgesetz beschlossen. Durch öffentlichen Druck und die Intervention der SPD wurde der Paragraf 28a hinzugefügt: So müssen Verordnungen zur Einschränkung von Freiheitsrechten besser begründet werden, auch eine Befristung ist vorgesehen, und die Maßnahmen sind klarer definiert. Doch trotz inzwischen lauter gewordenen Forderungen nach stärkerer Beteiligung der Parlamente bleibt alles Weitere auch künftig den Regierungen in Bund und Ländern überlassen.
Gegen die Umsetzung der Einschränkungen gab es bereits in den vergangenen Monaten und jetzt auch beim zweiten Lockdown Widerspruch aus Teilen der Bevölkerung. Die Menschen hinterfragen die Verhältnismäßigkeit der Einschränkungen von Grundrechten. Das ist zum einen darin begründet, dass die Maßnahmen zum Infektionsschutz sich fast ausschließlich auf das Privatleben beschränken, während den Unternehmen kaum Auflagen gemacht werden. Zum anderen verschärft der neuerliche Stillstand die ohnehin schon prekäre Finanzsituation von vielen Beschäftigten im Niedriglohnsektor. So sind laut einer aktuellen Umfrage vier von fünf Beschäftigten in der Gastronomie wieder oder immer noch in Kurzarbeit. Neben den Entgelteinbußen gehen damit die unverzichtbaren Trinkgelder verloren.
In einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung heißt es: „Erwerbspersonen mit schon vorher niedrigen Einkommen sind im bisherigen Verlauf der Corona-Krise fast doppelt so häufig von Einbußen betroffen wie Menschen mit hohen Einkommen – und sie haben zudem relativ am stärksten an Einkommen verloren.“ Die Folge: Viele können ihren Unterhalt kaum noch selbstständig bestreiten. Ihre Ersparnisse sind aufgebraucht, Miet- und Unterhaltsschulden haben sich aufgebaut. Für die Beschäftigten wird aus der pandemischen Krise zunehmend eine soziale Krise.
Wer also der Kritik von Bürger*innen an den Corona-Maßnahmen ernsthaft begegnen will, muss ihre existentiellen Sorgen ernst nehmen: Das betrifft die finanziellen Auswirkungen, aber auch Fragen wie Kinderbetreuung und Besuchszeiten in Alten- und Pflegeeinrichtungen. Es muss also dringend ein größerer Rettungsschirm für Arbeitnehmer*innen gespannt werden. So dürfen beispielsweise öffentliche Mittel in voller Höhe künftig nur an Betriebe gehen, die eine kräftige Aufstockung des Kurzarbeitergeldes für ihre Beschäftigten leisten.
Um Eltern mit schulpflichtigen Kindern zu entlasten, müssen Luftfilter-Geräte, die virenhaltige Aerosole aus der Luft filtern, flächendeckend und für alle Schulen beschafft und installiert werden. Professor Joachim Curtius von der Frankfurter Goethe-Uni (experimentelle Atmosphärenforschung) hat Luftfiltergeräte getestet. Das Ergebnis: 100 Prozent Schutz vor Aerosolen habe man nicht, aber „in einem typischen Klassenzimmer konnten in einer halben Stunde 90 Prozent der Aerosole entfernt werden.“
Unsummen koste das, wird eingewandt. Richtig, zum Nulltarif, wie das Lüften im zwanzig-Minuten-Intervall, sind die Geräte nicht zu haben. Die Ausstattung pro Klasse mit einem Luftfilter-Gerät wird auf 3000 Euro beziffert. Für alle Klassenzimmer mit insgesamt 8,33 Millionen SchülerInnen an allgemeinbildenden Schulen in Deutschland würde sich der finanzielle Aufwand auf knapp 900 Millionen Euro hochrechnen. Gewiss eine gewaltige Summe, aber sie wäre für die Gesundheit von Schüler*innen und Lehrer*innen und für die Familienangehörigen gut angelegt.
Im Gegensatz zur Order der Rüstungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer von 38 Kampf-Jets vom Typ Eurofighter im November beim Rüstungskonzern Airbus Defence. Kostenpunkt für die sogenannte Quadriga-Tranche: 5.4 Milliarden Euro. Mit dem Geld für sechs dieser Kampf-Flugzeuge könnten die Klassenzimmer aller Schulen komplett mit mobilen Luftfilter-Geräten ausgerüstet werden.
Wie weit die Radikalisierungstendenz auf der rechten Seite mittlerweile geht, zeigt sich in einer Äußerung des AfD-Abgeordneten Bernd Baumann in der Bundestagsdebatte: Er erklärte in seiner Rede, dass die Gesetzesvorlage zum Infektionsschutz eine Ermächtigung der Regierung sei, „wie es das seit geschichtlichen Zeiten nicht mehr“ gegeben habe.
Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion hat damit die Regelungen, die Kontaktbeschränkungen zum Schutz vor einer Pandemie vorsehen, allen Ernstes mit einem Gesetz verglichen, das für das Ende der parlamentarischen Demokratie und den Beginn der Nazi-Gewaltherrschaft steht. Das ist eklige Demagogie.
Zur Erinnerung: Am 23. März 1933 stimmte der Reichstag dem sogenannten Ermächtigungsgesetz zu. Es gab Adolf Hitler und seinem Terror-Regime die Macht, ohne Zustimmung des Parlaments Gesetze zu beschließen, auch wenn sie gegen die Verfassung und grundlegende Rechte verstießen. Der Reichstag schaffte sich quasi selbst ab; die Nazi-Regierung konnte ihre Diktatur auf „legaler“ Grundlage aufbauen. Allerdings waren zum Zeitpunkt der Debatte und der Abstimmung im Reichstag alle 84 Abgeordneten der Kommunistischen Partei (KPD) bereits verhaftet oder geflohen. Gleiches galt für 26 Abgeordnete der Sozialdemokraten, die verbliebene Fraktion der SPD stimmte trotz aller Einschüchterungen dagegen. Der damalige SPD-Parteivorsitzende Otto Wels sagte im Reichstag: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“
Dass die AfD das Infektionsschutzgesetz als „Ermächtigungsgesetz“ bezeichnet und damit mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933 gleichgesetzt, verharmlost den Faschismus und verhöhnt die zehntausenden Opfer – Demokrat*innen, Gewerkschafter*innen die von den Nazis in Konzentrationslagern gefoltert und ermordet wurden. Der Vergleich ist widerlich, er zeigt den wahren Charakter der nationalistisch-völkischen Biedermänner und Brandstifter.