Energiedeals: Tausch der Abhängigkeit

US-amerikanisches Flüssiggas statt russischem Erdgas
Beim Antrittsgespräch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Washington verkündete US-Präsident Joe Biden verkündete die Zäsur der deutschen Energiepolitik: Die USA werde die Gaspipeline „Nord Stream 2“ (NS 2) stoppen, wenn Russland die Ukraine angreife. Auf die Frage wie er ein deutsches Projekt stoppen könne, antwortete Biden: »We will – I promise you, we’ll be able to do it« (Wir werden – ich verspreche Ihnen, wir werden es schaffen können). Damit gab er zu verstehen, dass die US-Administration die Pipeline, die bereits 2019 in Betrieb genommen werden sollte, nicht mehr zulassen werde.
Den USA sind die billigen russischen Öl- und Gaslieferungen nach Europa schon lange ein Dorn im Auge. Zum einen wird dadurch die europäische Industrie auf dem Weltmarkt konkurrenzfähiger, zum anderen wird Europa unabhängiger. Fakt ist: Alle US-Regierungen in Washington haben russische Pipeline-Projekte zur Versorgung von Westeuropa von Anfang an bekämpft. Dabei geht es nicht um Menschenrechte, sondern um handfeste ökonomische Interessen. Die USA wollen den europäischen Staaten und Deutschland ihr Flüssiggas verkaufen und dies war nicht möglich, solange russisches Gas für den halben Preis zu bekommen war.
Klaus von Dohnanyi, ehemaliger Bürgermeister von Hamburg, schrieb in seinem jüngsten Buch „Nationale Interessen“: „Die USA haben in ihrer Geschichte nicht nur unzählige Schritte gewaltsamer ‚regime changes‘ unternommen und Kriege zu diesem Zweck mit verheerenden Folgen geführt. Sie haben auch Wirtschaftskriege eingeleitet und dafür das Instrument der ‚Sanktionen‘ gegenüber Staaten entwickelt, die sich der politischen Auffassung der USA nicht anpassen wollten.“
Dass Frackinggas aus den USA mittlerweile zum Exportschlager wurde, ist eine Folge der Sanktionspolitikgegen. Damit wollte die EU und Deutschland Russland zwingen, den Ukraine-Krieg zu beenden oder zu verkürzen. Das Gegenteil ist eingetreten: Die Sanktions- und Embargopolitik gegen Russland hat die Energiepreise in Rekordhöhen getrieben und die russischen Exporteinnahmen noch gesteigert, so eine Studie des in Helsinki ansässigen Centre for Research on Energy and Clean Air. In den ersten 100 Tagen seit Kriegsbeginn erreichten sie laut dem Helsinkier Think Tank einen Gesamtbetrag von rund 93 Milliarden Euro.
Um der Abhängigkeit von russischer Energie zu entrinnen, setzt die Ampelkoalition in Berlin nun auf „Flüssiggas“. Die Förderung des mit viel Wasser, allerlei Chemikalien und Sand aus kleinen Gesteinsporen im Untergrund herausgepressten Gases ist nicht nur wegen der Gefährdung von Trinkwasserreservoirs hochriskant, sondern auch wegen der dabei freigesetzten Treibhausgase in Form von Methan. Anders als konventionelles Erdgas ist es wegen dieser Emissionen mindestens so klimaschädlich wie Kohle.
Weil für den Bau einer Anlage auf dem Festland Jahre vergehen würden, setzt die Bundesregierung vorerst auf die schwimmende Variante. Für drei Milliarden Euro will man im Schnellverfahren vier schwimmende Terminals an Nord- und Ostsee in Betrieb nehmen. Zur „Beschleunigung“ werden per Gesetz Beteiligungs- und Klagerechte beschnitten und Umweltverträglichkeitsprüfungen ausgesetzt. Der Standort Wilhelmshaven soll bereits Anfang 2023 in der Lage sein, erste Rohstofflieferungen in Empfang zu nehmen.
Schnell gehen soll es auch in Brunsbüttel an der Elbe-Mündung. Ende April hat der Kieler Landtag das Landeswassergesetz dahingehend geändert, dass der Bau auch dann aufgenommen und weitergeführt werden darf, wenn Gerichte über mögliche Anfechtungsklagen noch nicht entschieden haben. Mit der Neuerung sei eine Inbetriebnahme bereits im Frühjahr 2024 möglich, andernfalls hätte es wohl bis frühestens 2027 gedauert.
Das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln (EWI) kommt in einer aktuellen Studie zu dem Ergebnis: Würde man komplett auf russisches Erdgas verzichten, dann würde knapp 90 Prozent dieser Menge mit Importen aus den USA gedeckt werden müssen. Das liege unter anderem daran, dass sich Importe via Pipeline aus Norwegen, Nordafrika und Aserbaidschan nur in begrenztem Umfang steigern lassen. So würden man die Abhängigkeit von einem Land gegen die eines anderen Landes eintauschen.
Ende Juli verbreitete die US-Behörde EIA, verantwortlich für die Sammlung, Analyse und Bereitstellung von Energieinformationen für die US-Regierung, die euphorische Botschaft: „Die Vereinigten Staaten wurden in der ersten Hälfte des Jahres 2022 zum weltweit größten Exporteur von LNG.“ Demnach stiegen die US-Flüssiggasausfuhren in der ersten Jahreshälfte um zwölf Prozent auf durchschnittlich 11,2 Milliarden Kubikfuß pro Tag. Als Hauptgrund für das Exportwachstum verweisen die USA auf die „steigende Nachfrage insbesondere in Europa“. Die Lieferungen in die EU-Länder erhöhten sich um stolze 63 Prozent.
Die USA sind damit ihrem Ziel, die Europäer und insbesondere Deutschland aus der „Abhängigkeit“ vom russischen Gas zu erlösen und sie dafür, wie es Donald Trump formulierte, mit den „Molekülen amerikanischer Freiheit“ zu versorgen, einen entscheidenden Schritt näher gekommen. Doch die „amerikanische Freiheit“ hat ihren Preis: der enorme Preisunterschied zwischen dem russischen Erdgas auf Basis von langfristigen Lieferverträgen und dem mindestens sieben Mal so teurem LNG „Made in USA“. Die Preise für LNG werden weiter steigen.
Insbesondere die US-Lieferanten haben profitiert: Die US-amerikanischen Unternehmen würden in den USA ein großes Schiff füllen und es für rund 60 Millionen Dollar über den Atlantik schicken, wobei die Ladung dann in Europa rund 275 Millionen Dollar einbringen würde, so der französisch-britische Investmentbanker und Energieexperte Laurent Segalen gegenüber Business Insider. Felix Booth, Leiter der Flüssiggas-Analyse bei Vortexa, sagte dem BI, er gehe davon aus, dass die Unternehmen bei jeder Lieferung rund 150 Millionen Dollar (knapp 147 Millionen Euro) verdienen könnten. „Es ist eine unglaubliche Arbitrage, die im Moment möglich ist“, so Booth.
Die Energiekrise birgt die Gefahr einer einschneidenden Schwächung der industriellen Basis in Deutschland . Der Präsident des DIHT glaubt, dass „wir alle“ um 20 bis 30 Prozent ärmer werden. Die hohen Energiepreise sind nicht nur für die Bevölkerung unbezahlbar, sondern auch für große Teile der Wirtschaft existenzbedrohend. Der Verband der europäischen Metallindustrie (Eurometaux) erklärte, dass bereits die Hälfte der Zink- und Aluminium-produktion in Europa stillstehe. Über den Kontinent ziehe ein „perfekter Sturm“ aus explodierenden Energiepreisen.
Mit dem Interesse, Russland zu besiegen, schreitet die Verarmung der heimischen Bevölkerung voran, was auch gar nicht verschwiegen wird: „Frieden und Freiheit in Europa haben kein Preisschild“, sagt Annalena Baerbock und Altbundespräsident Joachim Gauck plädierte für „Frieren für die Freiheit“.
Autor: Otto König