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Es geht um Öl, nicht um humanitäre Hilfe

Sieben Millionen US-Dollar hatten die USA in den chilenischen Präsidentschaftswahlkampf von 1970 investiert, ohne Erfolg. Der Sozialist Salvador Allende gewann trotzdem die Wahlen. »Lasst die chilenische Wirtschaft schreien«, forderte US-Präsident Richard Nixon. Die USA wollten die Kontrolle über das chilenische Kupfer zurückgewinnen. Es folgte ein zweijähriger Wirtschaftskrieg: ein bezahlter Streik der Fuhrunternehmer, eine internationale Finanzblockade und Sabotageakte. Allende blieb trotzdem an der Macht. Die Ultima Ratio: der von der CIA politisch und finanziell unterstützte Militärputsch vom 11. September 1973. Die linke chilenische Regierung wurde gestürzt, eine faschistische Militärjunta inthronisiert.

Wiederholt sich die Geschichte in Venezuela? Fest steht: Im November 2018, wenige Tage vor den US-Zwischenwahlen, kündigte der jetzige US- Sicherheitsberater John Bolton in Miami an, dass die »Troika der Tyrannei« – Kuba, Venezuela und Nicaragua – zusammenbrechen werde: »Wir wissen, dass ihr Tag der Abrechnung bevorsteht.« Mit seiner Brandrede brachte er die Entschlossenheit der Trump-Regierung zum Ausdruck, die US-Hegemonie in Lateinamerika sowie der Karibik wiederherzustellen. Zur Unterstützung steht eine »Phalanx der Restauration« bereit, die den Linksruck auf dem Kontinent zu Beginn des Jahrhunderts rückgängig macht: Argentinien, Brasilien, Argentinien und Chile sowie Kolumbien und Paraguay, die von rechtskonservativen Präsidenten geführt werden.

Die USA blicken auf eine lange Geschichte von ihr initierten und finanzierten Putschen gegen linke Regierungen und mit Gewalt erzwungenen Regime Changes in Lateinamerika zurück. Nach der US-Aggression 1983 gegen Grenada und dem von US-Militärs erzwungenen Sturz des panamaischen Staatschefs Noriega 1989 sowie dem Eingriff 2009 in Honduras ist nun Venezuela an der Reihe. Unter dem Vorwand, »die Demokratie wiederherzustellen«, orchestriert Washington in Caracas einen Putsch von Teilen der rechten Opposition. »Das ist unsere Region. Wir wollen nicht, dass es in Venezuela einen kubanischen Marionettenstaat gibt«, erklärte US-Außenminister Mike Pompeo gegenüber dem Fernsehsender NBC.

Der Hebel für den Sturz des Staatspräsidenten Nicolas Maduro sollte für den selbsternannten Interimspräsident Juan Guaidó das trojanische Pferd »humanitäre Hilfe« (1) sein. Ein zynisches Spiel, bei dem europäische Regierungen unter dem wohlbekannten Slogan »Freiheit oder Sozialismus« im Schlepptau von Trump mitspielen. »Das Drehbuch ist ein ›Remake‹, das in Jugoslawien, Libyen und Syrien und anderen Ländern angewendet wurde. Länder, die am Ende fast vollständig zerstört waren. Es beginnt mit falschen Prämissen, mit virtuellen Realitäten, die von ihren Medienbataillon ins Leben gerufen wurden, und mit der Manipulation von Fake News durch die sozialen Netzwerke, die sie selbst leider glauben«, so der Journalist und Direktor von Telesur, Aram Aharonian.

In Folge dessen wurde der »D-Day« als Tag der Entscheidung medial inszeniert. Guaidó verlautbarte, die Hilfslieferungen der USAID werden am 24. Februar »ohne Wenn und Aber« ins Land gebracht. Doch die von ihm und seinen Mistreitern geschürte Eskalation in der Grenzstadt Cúcuta scheiterte. Nachdem das Szenario, das Militär Venezuelas wendet sich von Maduro ab und im Land bricht ein Ausstand aus, nicht eingetreten ist, schreibt die New York Times, Juan Guaidó habe den »Glaubwürdigkeitstest« nicht gewonnen, da es ihm nicht gelungen sei, eine »überzeugende Unterstützungswelle in der Bevölkerung und Armee auszulösen«. Und die Frankfurter Allgemeine Zeitung stellt ernüchternd fest: »Zum ersten Mal, seit sich Juan Guaidó zum Übergangspräsidenten ausrief, herrscht im Lager der venezolanischen Opposition und ihrer Verbündeten Ratlosigkeit«. Sie wollen nicht begreifen, dass der Chavismus mehr ist als Maduro.

Wäre den Vereinigten Staaten wirklich etwas daran gelegen, die Lebensverhältnisse der Menschen in Venezuela zu verbessern, dann wäre die Aufhebung der Sanktionen der leichteste Schritt. Denn seit Jahren führen die USA einen Wirtschaftskrieg, der u.a. eine Nahrungsmittel-Knappheit und das Fehlen von Arzneimitteln zur Folge hat, mit dem Ziel, die »Bolivarische Revolution« zu beenden. Die verhängten Sanktionen haben Venezuela seit Oktober 2017 etwa sechs Milliarden Dollar gekostet.

Das Verbot an CITGO, der mehrheitlich venezuelanischen Ölvermarktungsgesellschaft in den USA, ihre Gewinne an Venezuela zu überweisen, kostet eine Milliarde Dollar im Jahr. Auch die Europäer beteiligen sich an den Sanktionen. Die Bank of England weigerte sich, Venezuela Goldreserven im Wert von 1,2 Milliarden Dollar zurückzuerstatten. In einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages haben die Juristen die gegen Venezuela verhängten Wirtschaftssanktionen und die Sperrung von Auslandsguthaben als »potenziell völkerrechtswidrig« eingestuft. (2)

Nach dem gescheiterten »D-Day« kündigte Washington eine weitere Verschärfung der Sanktionen an. In brutaler Offenheit formulierte der ehemalige US-Botschafter in Venezuela, William Brownfield: Sanktionen sind »vielleicht die beste Lösung, den Zusammenbruch zu beschleunigen«, das habe zwar »harte Auswirkungen auf Millionen und Abermillionen von Menschen«, doch »das gewünschte Ergebnis« rechtfertige auch Grausamkeiten gegenüber der Bevölkerung.

Natürlich ist nicht nur der äußere Druck Schuld an der Lage in Venezuela. Unstreitig ist, dass von der Regierung Maduros haarsträubende Fehler in der Finanzpolitik oder in der Wirtschaftspolitik gemacht wurden. Doch wer die seit 2015 unter Barack Obama verhängten Sanktionen außer Acht lässt, negiert, dass eine kollektive Bestrafung des venezolanischen Volkes zum Zweck der Durchsetzung eigener geopolitischer Interessen erfolgt.

Desweiteren geht es den USA darum, einen Ölkonkurrenten, der über die größten bestätigten Erdölvorkommen der Welt verfügt, auszuschalten und zu verhindern, dass Russland und China ihre Präsenz in Venezuela sowie ihren Einfluss in Lateinamerika ausbauen. Bolton hatte schon mehrfach an­klingen lassen, dass die 1976 vor allem gegen den US-Konzern Exxon gerichtete Verstaatlichungspolitik rückgängig gemacht werden könnte und in einem Interview mit dem Wirtschaftssender Fox Business ganz offen erklärt: »Wir sind im Gespräch mit den wichtigsten amerikanischen Unternehmen, damit sie das Öl in Venezuela produzieren.« Es wäre für die Vereinigten Staaten von großer Bedeutung, wenn amerikanische Öl-Gesellschaften ihre Fördermöglichkeiten wieder neu aufbauen können. Vor ­allem gegenüber den in der Region an Einfluss gewinnenden Staaten China und Russland würden die USA ein mächtiges Instrument in die Hand bekommen.

Anfang Dezember 2018 hatten Caracas und Moskau bei einem Besuch von Nicolás Maduro in Russland eine Investitionsvereinbarung über fünf Milliarden US-Dollar unterzeichnet, mit der die Ölproduktion Venezuelas um eine Million Barrel pro Tag erhöht werden soll. Zudem vereinbarten beide Seiten, mehr als eine Milliarde Dollar in den venezolanischen Bergbau zu investieren, hauptsächlich in den Goldabbau. Bereits zuvor hatte Venezuela mit China umfangreiche Abkommen zur Modernisierung der Ölindustrie unterzeichnet.

Den sukzessiven Ausbau des geopolitischen Einflusses Chinas in Lateinamerika stuft die USA als »nationale Sicherheitsbedrohung« ein, die notfalls mit allen Mitteln, auch militärischen, bekämpft werden muss. Für den USA-Experten der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Josef Braml, ist Venezuela zum »Austragungsort eines größeren Machtspiels geworden«.

Donald Trump und seine Vize Mike Pence haben es in den zurückliegenden Wochen offengelassen, ob sie den Einsatz militärischer Gewalt in der Konfrontation mit der venezolanischen Regierung vorbereiten. Nach seinem Scheitern am »D-Day« hat Guaidó selbst die Washingtoner Sprachregelung übernommen, wonach »alle Optionen auf dem Tisch« lägen, das heißt: auch eine militärische Invasion; doch damit hat er beim Treffen der Vertreter der rechtsgerichteten Mitgliedsstaaten der »Lima-Gruppe« in Bogotá kein Gehör gefunden. (3) Brasiliens Vizepräsident, Ex-General Hamilton Mourão, erklärte, sein Land werde unter keinen Umständen zulassen, dass die USA Venezuela von brasilianischem Gebiet aus militärisch angreifen.

Was sind das für Demokraten, die sich ernsthaft eine Intervention einer fremden Armee im eigenen Land wünschen und sogar einen Bürgerkrieg in Kauf nehmen? Wer für Demokratie, Menschenrechte und eine Verbesserung der Lebensumstände in Venezuela ist, kann sich nur für einen friedlichen Kompromiss und gegen militärische Interventionen aussprechen. Der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador (AMLO) erklärte zu Recht, das Beste für das südamerikanische Land sei es, wenn die »Versuchung der Gewalt« durch Gespräche verdrängt werden könne. Gemeinsam mit Uruguay bekräftigte er den Aufruf zu einem politischen Dialog zwischen den Konfliktparteien in Venezuela.

Artikel von Otto König, ehemaliger 1. Bevollmächtigter der IG Metall (Hattingen) und Richard Detje, Redakteur der Zeitschrift Sozialismus (Hamburg)

Anmerkungen
(1) Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hat deutlich gemacht, dass es sich nicht um humanitäre Hilfe handelt, sondern um eine politische Aktion. Auch die Vereinten Nationen verweigerten eine Beteiligung an der Show. Hilfslieferungen erreichen Venezuela auf vielen Wegen, unter anderem geliefert aus Russland und China. Mit der EU hat Caracas Unterstützung im Wert von zwei Milliarden Euro vereinbart, die über die UNO ins Land kommen soll.
(2) Vgl. Wissenschaftliche Dienste des Bundetages: Rechtsfragen zur Anerkennung des Interimspräsidenten in Venezuela, AZ: WD 2 – 3000 – 017/19 vom 15.02.2019.
(3) Vor dem Treffen forderte der ehemalige Bürgermeister und Justizflüchtling Antonio Ledezma seinen Partner Juan Guaidó mit einer Erklärung dazu auf, den Brief einer »humanitären Intervention auf der Grundlage der Responsibility to Protect (R2P)« auf den Tisch der Lima-Gruppe zu legen – sozusagen ein »legaler« Ansatz, der bei der Bombardierung von Jugoslawien und Libyen für die Errichtung einer multilateralen Interventionskoalition verwendet wurde (Nachdenkseiten, 28.02.2019).

Foto: dpa

 

 

 

 

 

 

 

 

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