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»Es geht vor allem ums Geld« – Tarifkommission beginnt Forderungsdiskussion

Tarifjahr 2022: Der Fokus liegt weiterhin auf einer tabellenwirksamen Entgelterhöhung – der Krieg in der Ukraine wird die Diskussionen beeinflussen

In den Gewerkschaften laufen die Vorbereitungen auf die Tarifrunde 2022. Bereits Ende Januar liefen die Verträge im Versicherungsgewerbe sowie in der Druckindustrie aus. Die Chemiebranche folgt im März, die Eisen- und Stahlindustrie im Mai. Im September beginnen die Verhandlungen für die rund 3,8 Millionen Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie. Den tarifpolitischen Jahresabschluss machen dann die Beschäftigten des Öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen. Insgesamt verhandeln die DGB-Gewerkschaften in diesem Jahr für mehr als zehn Millionen Beschäftigte neue Tarifverträge.

Die Tarifabschlüsse in den Pandemiejahren 2020/21 sowie die weiterhin steigende Inflationsrate, die die Tariflohnzuwächse deutlich übersteigt und damit Reallohnverluste bei den Beschäftigten zur Folge hat, werden die Diskussion um die Forderungen in diesem Jahr bestimmen. Ging es in den zurückliegenden Tarifrunden vorrangig um Regelungen zur Arbeitszeitverkürzung mit der Wahloption Geld oder Freizeit sowie um Ansprüche auf Qualifizierung, so rückt in 2022 verstärkt die Forderung nach Entgeltsteigerungen in den Vordergrund.

2021 brachen die tariflichen Reallöhne mit -1,4 Prozent geradezu ein »Die Tarifrunde 2021 wurde nach wie vor durch den ungewissen Verlauf der Corona-Pandemie und die damit verbundenen ökonomischen Unsicherheiten geprägt«, erläutert der Leiter des WSI-Tarifarchivs, Thorsten Schulten, die Ursachen. In der Metall- und Elektroindustrie gab es überhaupt keine prozentuale tabellenwirksame Erhöhung, sondern eine Prämie von 500 Euro und ein »Transformationsgeld« vom Bruchteil eines Monatsgehalts für die folgenden Jahre. Im Einzel-, Groß- und Außenhandel konnte die Gewerkschaft ver.di eine Erhöhung von drei Prozent erzielen, jedoch mit einer Laufzeit von 24 Monaten und einer zweiten Erhöhung von nur 1,7% ab April 2022. Auch der Öffentliche Dienst (Länder) blieb unter der aktuellen Inflationsrate. Ein deutlich höherer Abschluss kam nur in der Bauindustrie zustande – allerdings zum Preis einer außerordentlich langen Laufzeit von 33 Monaten.

In der Krise wurde zu Lasten der Beschäftigten umverteilt. Dies geht aus der Bilanz des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung hervor. (1) Demnach ist die Bezahlung nominal im Vergleich zu 2020 gerade mal um 1,7 Prozent gestiegen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass dies nur für die rund 20 Millionen abhängig Beschäftigten gilt, die nach Tarif bezahlt werden. Für alle anderen dürfte es deutlich weniger gewesen sein – zumal wenn man davon ausgeht, dass die Tarifbindung vor allem in den Segmenten des Arbeitsmarktes besonders schwach ist, wo überdurchschnittlich Niedriglöhne gezahlt und den Beschäftigten Zusatzleistungen vorenthalten werden. Im ersten Corona-Jahr 2020 waren die Tarifverdienste noch um 2,1 Prozent gestiegen; bei einer Inflationsrate von 0,5 Prozent brachte das ein reales Plus.

In den letzten Jahren spielte die Inflationsrate bei Tarifverhandlungen eine eher untergeordnete Rolle. Sie lag weit unter der Zielmarke der Europäischen Zentralbank (EZB) von rund zwei Prozent. 2021 legten die Verbraucherpreise jedoch im Schnitt um 3,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu. Eine höhere Teuerungsrate war zuletzt 1993 mit 4,5 Prozent gemessen worden. Zum Jahreswechsel hat sich die Inflation noch einmal beschleunigt: Die Preise für Waren und Dienstleistungen lagen im Dezember 5,3 Prozent über dem Niveau vor Jahresfrist. Miet- und Heizkosten sowie Sprit wurden deutlich teurer, und auch die Preise für Lebensmittel ziehen aktuell erheblich an. Die IG Metall orientierte sich bisher bei der Aufstellung ihrer Tarifforderung bezüglich der Inflationsrate an der EZB-Zielmarke. Sollte sie das auch in der anstehenden Tarifbewegung beibehalten wollen, muss über einen weiteren Faktor nachgedacht werden, um die überschießende Teuerungsrate einzufangen. Bei der jetzigen Entwicklung wird allerdings auch der Staat gefragt sein um Entlastung insbesondere für die unteren Entgeltgruppen zu schaffen.

Wenn die Metall-Verhandlungen im Herbst beginnen, liegt die letzte tabellenwirksame Erhöhung viereinhalb Jahre zurück. Zur Erinnerung: In der Tarifrunde 2018, an der sich fast eine halbe Million Warnstreikende aktiv beteiligt hatten, konnte eine Lohnerhöhung von 4,3 Prozent durchgesetzt werden. Zusätzlich wurde das Tarifliche Zusatzentgelt (T-Zug: 27,5 Prozent eines Monatseinkommens plus 400 Euro Festbetrag) ab dem Jahr 2019 vereinbart, das auch in Form freier Tage (acht Tage für Erziehende, Pflegende und Schichtarbeiter) genommen werden kann.

Im ersten Pandemiejahr 2020 wurde ein sogenanntes »Krisenpaket« abgeschlossen. Und im Jahr 2021 wurden »Zukunftstarifverträge«, eine Corona-Prämie von 500 Euro netto und ein Transformationsbaustein (Trafogeld) in Höhe von 27,6% des individuellen Entgeltes ausgehandelt. Letzteres wurde im Februar 2022 in Höhe von 18,4 Prozent zur Auszahlung gebracht. Im Februar 2023 steigt das Transformationsgeld – kurz T-Geld – dann auf 27,6 Prozent. Das Transformationsgeld gibt es von da an dauerhaft, als neue Sonderzahlung. Die Beschäftigten bekommen es jedes Jahr im Februar ausbezahlt. In Betrieben, die auf Grund der Transformation Beschäftigungsprobleme haben, kann das Transformationsgeld alternativ eingesetzt werden, um einen Entgeltausgleich bei Arbeitszeitabsenkung zu schaffen – und so Arbeitsplätze zu sichern.

Die Tarifkommission der Metall-und Elektroindustrie in NRW hat unter den oben genannten Vorzeichen aber insbesondere auch unter den Eindrücken des Kriegs in der Ukraine eine erste Diskussion um die Forderungshöhe begonnen. Nach der Schilderung der aktuellen Lage in den Betrieben schloss sich eine Diskussion über die Erwartungshaltung der Beschäftigten an. Bei der Aussprache wurde deutlich, dass die IG Metall vor einer großen Herausforderung in der nächsten Tarifrunde steht. Auf der einen Seite die oben beschriebene Entwicklung der Inflation die sich durch den Krieg in Ukraine nochmals extrem verschärft hat und der damit verbundenen Erwartungshaltung der Kolleg*innen, auf der anderen Seite die momentan noch überhaupt nicht absehbaren wirtschaftlichen Folgen durch den Einbruch von Lieferketten und den Sanktionen gegen Russland.

Zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich nicht abschätzen wie sich die Situation bis in den Herbst weiterentwickelt. Aber eines ist klar um: eine hohe tabellenwirksame Forderungen auch am Ende zu einem guten Abschluss zu bringen, wird es notwendig sein sich schon jetzt auf eine eher konfliktorische Tarifrunde einzustellen.

Autor*innen: Otto König und Clarissa Bader

Anmerkungen:
(1)Thorsten Schulten: Tarifbilanz des WSI-Tarifarchivs – Tariflöhne steigen 2021 durchschnittlich um 1,7 Prozent – Corona-Prämien mildern Kaufkraftverlust aufgrund hoher Inflationsraten, Düsseldorf, 9.12.2021.

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