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„Es ist nicht egal, wer dieses Land regiert“

Union holt „Rote-Socken-Kampagne“ aus der Mottenkiste

Ein Kommentar von Otto König zur Bundestagswahl

„Es ist nicht egal, wer dieses Land regiert“, warnte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im Bundestag. Ich finde: Sie hat recht. Die Unionsparteien CDU/CSU planen Steuersenkungen von 33 Milliarden u.a. die Abschaffung des Soli und die Senkung der Unternehmenssteuern. Die FDP lockt mit einer finanzpolitischen Fata Morgana – sie will auf jährliche Steuereinnahmen von 88 Milliarden Euro verzichten. Einsparvorschläge zur Gegenfinanzierung gibt es nicht: Die windigen Reformvorhaben von CDU und FDP drohen ein riesiges Loch in die Staatskasse zu reißen.

„Politik, die Wirtschaft machen lässt“, verspricht die FDP. Kahlschlag und Deregulierung wird als alternativlos verkauft: Die Folge ist, dass fast 20 Prozent der Beschäftigten hierzulande im Niedriglohn-Sektor arbeiten. Zählt man zu den vier Millionen Vollzeitjobs noch die Teilzeitjobs dazu, hat Deutschland mit insgesamt acht Millionen Menschen einen der größten Niedriglohnsektoren aller OECD-Länder. Laschet und Lindner glauben, sie könnten die Leute verscheißern.

Die Annahme, man könne in Krisenzeiten auf Vermögenssteuern verzichten, jedoch Steuersenkungen für Milliardäre durchdrücken, und von dieser Entlastung würden letztendlich alle profitieren, da das Wachstum durch zusätzliche Investitionen angekurbelt werde und der Wohlstand der Reichsten Schritt für Schritt bis zu den Armen durchsickere, ist ein schlechter Witz. Namhafte Ökonomen wie die Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz und Paul Krugman bezweifeln, dass die sogenannte „Trickle-down-Theorie“ auch nur ein Fünkchen Wahrheit enthält. Es ist letztlich ein Programm für Reiche, zu Lasten der Arbeitnehmer*innen. Schwarz-gelb die Regierungsverantwortung zu übergeben, wäre verantwortungslos.

Die Serie von Fehltritten von Laschet nähren zudem den Zweifel, ob er für das Amt wirklich tauglich ist. Natürlich machen alle Menschen Fehler, versprechen sich, wissen manchmal nicht genau Bescheid. So was passiert. Aber in der Gesamtschau verfestigt sich beim Kanzlerkandidaten der CDU das Bild eines Mannes, der so sehr im Ungefähren zu Hause ist, dass jede Konkretisierung droht, ihn zu entzaubern. Der miserable Zustand der Union, die  desaströsen Umfragewerte hat nun nackte Panik in den Reihen der CDU/CSU ausgelöst.

Ein Grund, dass Laschet und Söder die rote Gefahr beschwören und mit einer Neuauflage der „Rote-Socken-Kampagne“ aus den 90er Jahren die letzten Tage im Wahlkampf bestreiten. „Schon die Umsetzung einzelner Wahlziele von SPD, Grünen und Linken gefährdet den Wohlstand unseres Landes“, tönen sie. Die Folgen eines Linksrutsches seien verheerend. Eine solche Koalition würde zu höheren Steuern, mehr Schulden und weniger Sicherheit führen – durch einen angeblich möglichen Ausstieg aus der NATO. Offenbar ist den Beiden entgangen, dass die Linke diese Forderung gar nicht erhebt.

Strategisch gesehen ist dieser Schritt ein Armutszeugnis: Da Laschet mit eignen Inhalten nicht punkten kann, weicht er auf CDU-Hüte von vorgestern aus. In den 1950er Jahren haben die Christdemokraten und Kanzler Konrad Adenauer vor den Kommunisten und den „Soffjets“ gewarnt. „Die Russen kommen“, war auf den Wahlplakaten zu lesen. Während der Bundestagswahl von 1972 bauten sie Willy Brandt zum „trojanischem Pferd“ der DDR-Regierung auf, in den darauffolgenden Jahren hieß die Parole „Freiheit statt Sozialismus“. 1994 erfanden die Unionsparteien schließlich das Symbol „rote Socken“ zu Diffamierung der linken politischen Kräfte.

Doch bei den Wähler*innen waren die „Rote-Socken“-Kampagnen immer Rohrkrepierer: 1994 legten SPD, Grüne und PDS zu, während Union, FDP und Republikaner Stimmen einbüßten. 1998 scheiterte die „Rote-Hände“-Kampagne an der Wechselstimmung: Der Abgang Helmut Kohls war vielen wichtiger. 2009 stoppte die Union eine Wiederauflage der Rote-Socken-Kampagne, weil sie einsah, dass es nicht funktioniert. Wenn CDU/CSU nun 2021 glauben, mit dem Popanz „Linkskanzler Scholz“ punkten zu können, jagen sie einem Phantom hinterher, denn die gebetsartige Wiederholung vom Linksrutsch entfaltet unter den Wähler*innen keine Panikstimmung.  Der Versuch, mit der Angst vor der kommunistischen Machtübernahme die konservativen Reihen zu schließen, entpuppt sich als Lachnummer.

Tatsächlich gibt es gute Gründe, ausdrücklich einen Linksruck der Politik zu verlangen: Denn nötig ist ein handlungsfähiger und aktiver Wirtschafts- und Sozialstaat, der in die Zukunft investiert statt zur „Schwarzen Null“ zurückzukehren. Wir brauchen eine offensive Sozialpolitik, die auf mehr statt weniger Solidarität setzt. Dazu gehören eine Erwerbstätigen- und Bürgerversicherung in der gesetzlichen Renten-, Kranken-, und Pflegeversicherung, in die alle einzahlen – auch Freiberufler, Selbstständige, Beamte und Parlamentarier. Es geht um Kompetenz, Bewältigung des Klimawandels, Erhöhung des Mindestlohn, Sicherung der Altersrente und soziale Gerechtigkeit, um Respekt gegenüber den „normalen“, die „einfachen Leute“, die bisher oft das Gefühl hatten, dass sich niemand mehr für sie interessiert.

Deshalb die dringende Bitte: Am 26. September wählen gehen. Doch wählen alleine reicht nicht aus, man/frau muss auch richtig wählen. Nicht wählbar ist die AfD – die auf der Flamme von Zukunftsängsten ihre braune Suppe kochen will. Also jene die gegen Minderheiten hetzen und das tödliche Covid-Virus zur banalen Grippe erklären. Hier ist Widerstand angesagt: Gegen Menschenverachtung und Dummheit!  Richtig ist die Unterstützung jener Kräfte, die glaubwürdig für Vielfalt, Vernunft und Gerechtigkeit stehen, die den klimagerechten Umbau vorantreiben und die sozialen Interessen abhängig Beschäftigten vertreten.

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