
Gevelsberg. Der Niedriglohnsektor bietet Geringqualifizierten ein „Sprungbrett“ in den Arbeitsmarkt und in besser bezahlte Tätigkeiten, so das Mantra die Arbeitgeber. Das ist falsch, zeigt ein Faktencheck des DGB. Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) widerspricht der Behauptung der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA)
Kein „Sprungbrett“ für Geringqualifizierte
Die Wirtschaft boomt, damit müsste eigentlich auch der Niedriglohnsektor kleiner werden. Doch das ist nicht der Fall. Er weitet sich derzeit nicht aus, verharrt aber auf hohem Niveau. Das reiche Deutschland hat den größten Niedriglohnbereich in Westeuropa – nur übertroffen von den EU-Ländern Lettland, Rumänien, Litauen, Polen und Estland. Mehr als jeder fünfte Beschäftigte muss für weniger als 10 Euro die Stunde arbeiten.
Die These, der Niedriglohnsektor sei für Geringqualifizierte ein Sprungbrett in besser bezahlte Tätigkeiten, ist nicht haltbar. Zwei Drittel der Niedriglohnbeziehenden haben eine abgeschlossene Berufsausbildung, weitere 10,5 Prozent sogar einen Hochschulabschluss. Die große Mehrheit verfügt also mindestens über ein mittleres Qualifikationsniveau. Wenn die BDA anführt, ein Viertel aller Niedriglohnbezieher steige binnen eines Jahres in eine besser entlohnte Tätigkeit auf, sind das nur begrenzt Geringqualifizierte.
Niedrige Löhne werden vor allem dort gezahlt, wo die Arbeitgeber sie durchsetzen können, bzw. die Beschäftigten sich nicht ausreichend zur Wehr setzen können. Dabei kommt den Arbeitgebern entgegen, dass das sogenannte Normalarbeitsverhältnis an Bedeutung verliert und die Tarifbindung abnimmt. Damit werden auch Strukturen zerschlagen, die den Beschäftigten helfen, gute Löhne durchzusetzen, wie Tarifverträge und betriebliche Mitbestimmung durch Betriebsräte. Die Hartz IV-Gesetze setzen die Menschen zusätzlich unter Druck, eine niedrig bezahlte Beschäftigung aufzunehmen.
Atypische Beschäftigung fördert den Niedriglohnsektor. Vor allem Menschen, die in Leiharbeit, in Werkverträgen, befristet oder als Soloselbstständige arbeiten, erhalten niedrige Löhne – das hat wenig mit der Qualifikation zu tun. Vor allem Minijobs gehören zu den Motoren des Niedriglohnsektors: 7,5 Millionen Menschen arbeiten in solchen Kleinstarbeitsverhältnissen, knapp 5 Millionen von ihnen – vorwiegend Frauen – sind ausschließlich darauf angewiesen.
OECD widerspricht Arbeitgeber
Auch die Arbeitgeberthese, der Niedriglohnsektor sei ein Einstieg in besser bezahlte Beschäftigung in Normalarbeitsverhätnissen, ist nicht haltbar. Die OECD hat in ihren Länderberichten 2014 und 2016 wiederholt festgestellt, dass das Armutsrisiko in Deutschland durch den wachsenden Niedriglohnbereich gestiegen ist. „Die Aufwärtsmobilität von einkommensschwachen Arbeitskräften und Geringverdienern hat effektiv abgenommen“ (OECD 2014).
Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) spricht von „Einsperreffekten“ atypischer Beschäftigung: „Die Ergebnisse […] zeigen eindeutige Einsperreffekte atypischer Beschäftigung. Das heißt, der Übergang in Normalarbeitsverhältnisse gelingt signifikant schlechter aus atypischer Beschäftigung als aus Arbeitslosigkeit. Einsperreffekte können für alle Formen atypischer Beschäftigung nachgewiesen werden“ (RWI, 2016: Risiken atypischer Beschäftigungsformen für die berufliche Entwicklung und Erwerbseinkommen im Lebensverlauf, S.177, Berlin)
Die meisten Geringverdiener bleiben in der Zone niedrigen Einkommens, sie wechseln nur zwischen verschiedenen Formen prekärer Beschäftigung, sowie wiederholten Phasen der Arbeitslosigkeit. Besonders hoch ist die Fluktuation in der Leiharbeit. Die Beschäftigten wechseln vorwiegend zwischen Arbeitslosigkeit und Leiharbeit oder in neue Leiharbeit, aber selten in eine unbefristete Beschäftigung. Von Oktober 2015 bis September 2016 wurden 349.000 Menschen arbeitslos, die zuvor in Leiharbeit beschäftigt waren, so die Bundesagentur für Arbeit. Auch der Übergang aus einem Minijob ist gering.
Das heißt: Die Arbeitgeber verbreiten „Fake-News“, um ihr Geschäftsmodell „Niedriglohn-Sektor“ zu verteidigen.
„Mit Niedriglöhnen Profite steigern“ – Foto: Colourbox.de