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Feinde der Demokratie stehen rechts

„Wir dachten, der alte Ungeist würde mit der Zeit vergehen. Aber nein: Die bösen Geister der Vergangenheit zeigen sich heute in neuem Gewand. Mehr noch: Sie präsentieren ihr völkisches, ihr autoritäres Denken als Vision, geradezu als die bessere Antwort auf die offenen Fragen der Zeit,“ sagte Bundespräsident Steinmeier in seiner Ansprache zu 75 Jahre Auschwitz. Er meinte die AfD.

Die AfD und allen voran ihr rechter „Flügel“ mit dem thüringischen AfD-Chef Björn Höcke an der Spitze hat im Erfurter Landtag die parlamentarische Demokratie nicht nur mit ihren eigenen Mitteln vorgeführt, sondern auch missbraucht. So wie es vor über 80 Jahren auch die NSDAP in der Weimarer Republik im Berliner Reichstag getan hat, getreu dem Motto des Nazis Joseph Goebbels: „Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. (…) Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Bärendienst Freifahrkarten und Diäten zu geben, so ist das ihre Sache. Wir kommen nicht als Freunde, auch nicht als Neutrale. Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir.“ In diesem Sinne nutzt auch die AfD den Bundestag als Bühne, um die Demokratie zu diffamieren.

Wen wundert es da noch, dass die AfD nach dem Rücktritt des FDP-Politikers Thomas Kemmerich in Erfurt über weitere erbärmliche Tricksereien zur Verhinderung einer Rot-Rot-Grünen Landesregierung sinnierte. „Die kopflose Reaktion von CDU und FDP bringt mich zu der Empfehlung an die thüringischen Freunde, das nächste Mal Herrn Ramelow zu wählen, um ihn sicher zu verhindern – denn er dürfte das Amt dann auch nicht annehmen,“ sagte AfD-Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland.

Dieses Ziel „Ramelow muss weg“ haben auch die Gelben und Schwarzen in Thüringen, allen voran der „Kurzzeit“- Ministerpräsident Kemmerich (FDP) und der zum Abschuss freigegebene CDU-Fraktionschef Mohring, so intensiv verfolgt, dass sie sich bewusst zum Werkzeug der AfD gemacht haben. Wie umfangreich die Absprachen waren, mit dem der FDP-Politiker auf den Stuhl des Thüringer Ministerpräsidenten gehievt wurde, ist unbekannt. Klar ist: Es war eine mit CDU und FDP auf Landes­ebene abgekartete Aktion, die Bundesvorsitzenden beider Parteien waren eingeweiht. Das gescheiterte Experiment einer Schwarz-Gelben Minderheitsregierung unter AfD-Duldung in Thüringen hat für Klarheit gesorgt: Die CDU ist unter bestimmten Vorzeichen bereit, sich ihren Machterhalt durch die AfD abzusichern.

Getrieben von ideologischen Scheuklappen und der Befürchtung ihre Posten und ihren Einfluss zu verlieren, bzw. die Möglichkeit, an die Macht zu gelangen, schien ihnen jedes Mittel angemessen, um zu verhindern, dass Die Linke als stärkste politische Kraft im Landtag den Ministerpräsidenten stellt. Der Wille, die Linke vorzuführen und sich an einem Coup zu berauschen, hat zu einem Verlust an Augenmaß und politischer Verantwortung geführt, der irreparable Schäden zur Folge hat.

Die politischen Vorgänge in Thüringen machen ein Grundproblem der politischen Kultur in Deutschland deutlich: die Unfähigkeit der Vertreter, der so genannten „bürgerlichen Mitte“ zwischen links und rechts zu unterscheiden. Für die Christdemokraten und Liberalen gilt: ihr Hass auf alles Linke, selbst wenn es sich sozialdemokratisch zeigt wie Rot-Rot-Grün in Thüringen, ist deutlich stärker als die Scheu vor den neuen Rechten, die nicht selten frühere Parteifreunde waren.

Die CDU-Parteivorsitzende Kramp-Karrenbauer, die inzwischen ihren Rücktritt angekündigt hat, und ihr Generalsekretär Ziemak stellen Die Linke und die AfD immer wieder auf eine Stufe – mit beiden Parteien dürfe die CDU nicht zusammenarbeiten, warnen sie ihre Thüringer Parteifreunde, während Vertreter des ultrarechten CDU-Flügel „Werteunion“, wie der Strippenzieher Hans-Georg Maßen, das gemeinsame Wahlmanöver mit AfD-Abgeordneten zugunsten Kemmerichs freudig begrüßten. Die Wahl von Kemmerich sei „ein Riesenerfolg“, sagte der geschasste Chef des Verfassungsschutzes Maaßen dem Tagesspiegel und lobte die Taktik der AfD als „klug“. Nach dem Rücktritt von AKK ist jetzt völlig offen, ob der Dammbruch von Thüringen das Ende oder erst der Anfang der Kooperation zwischen CDU und AfD war.

Die Gleichsetzung der Linkspartei und der AfD, und damit „Ramelow gleich Höcke“, ist nicht nur eine fatale Strategie, um Die Linke von Machtoptionen auszugrenzen und damit linke Koalitionen zu verhindern, sondern ist zugleich eine Relativierung des Rechtsradikalismus, weil damit verharmlost wird, wie sehr sich die AfD seit ihrer Gründung radikalisiert hat und „eine völkische Partei geworden (ist), die eine Ausgrenzung von angeblich fremden Kulturen predigt“, ein völkischer Verein, „der deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund aus Deutschland vertreiben will“, schreibt der Journalist Heribert Prantl.

Der Politikwissenschaftler Steffen Kailitz an der TU Dresden beschreibt, wie die AfD die Sprache der Nationalsozialisten aufgreift und modifiziert: „Wie Arsendosen verbreitet sich auch heute das Gift der völkischen Volksdeutung. Es wird zunächst unbemerkt verschluckt, hat für allzu viele einen normalen ’natürlichen‘, ‚lebensrichtigen‘ Geschmack. Erst wenn es zu spät ist, zeigt sich die Giftwirkung: die Ausgrenzung aller, die nicht ‚deutsch‘ aussehen und dann nicht mehr zum Volk gehören dürfen und ‚entsorgt‘ werden sollen.“

Wenn es gilt, der Linken zu schaden, funktionieren die antikommunistischen Reflexe in der Bundesrepublik nach wie vor. Alles, was irgendwie sozial ist, wird sofort als „Kommunismus“ oder als „Sozialismus“ gebrandmarkt und muss auf jeden Fall verhindert werden. Das war auch das Ziel der AfD: „Uns geht es in erster Linie darum, Rot-Rot-Grün, und den ‚Kommunisten‘ Ramelow abzulösen.“

„Linksextremismus gleich Rechtsextremismus, diese Gleichung ist einfach Blödsinn“, so der Jenaer Soziologe Klaus Dörre. Die Linke ist nicht die AfD, Ramelow nicht Höcke – allerdings haben es solche Binsenweisheiten schwer, ins politische Bewusstsein von Menschen einzudringen, bei denen der Antikommunismus tief verwurzelt ist.

Die vulgäre Totalitarismus-Doktrin, d.h. links ist gleich rechts, hatte ihre Geburtsstunde im Nachkriegsdeutschland, als sich ehemalige Nazis in Demokraten umtaufen ließen, und ehemalige Gestapo- und SS-Schergen mit neuem Schlapphut im Gewande des Verfassungsschutzes wieder Linke und Gewerkschafter verfolgten. Währenddessen beschäftigte Bundeskanzler Konrad Adenauer den Kommentator der Nürnberger Rassengesetze Hans Globke als Chef des Bundeskanzleramtes; Kurt Georg Kiesinger wurde Bundeskanzler, obwohl er schon 1933 in die NSDAP eingetreten war; Hans Karl Filbinger war von 1966 bis 1978 für die CDU Ministerpräsident in Baden-Württemberg, obwohl er als Marinerichter noch kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges Deserteure zum Tode verurteilte und dies später noch mit den Worten verteidigte: „Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein.“

Nachdem Kemmerich zurückgetreten ist – nicht aus Haltung und Überzeugung, sondern einzig und allein wegen des öffentlichen und politischen Drucks – zeigen CDU und FDP ihre Zerrissenheit und ergehen sich in taktischen Spielen. Doch die bringen das Land nicht weiter. Für Thüringen gibt es nur zwei vernünftige Lösungen: Erstens eine von der CDU geduldete Minderheitsregierung unter Bodo Ramelow, dem bisherigen Ministerpräsidenten der Linken. Er sollte sich noch einmal im Landtag zur Abstimmung stellen. Die zweite Lösung für Thüringen ist die Neuwahl des Landtages in Erfurt mit womöglich klareren Mehrheiten als bei der letzten Landtagswahl im Oktober 2019.

Foto: dpa

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