
Kurzarbeitergeld (KUG) ist ein wichtiges Instrument, um Arbeitslosigkeit zu verhindern. Es darf jedoch nicht dazu missbraucht werden, um Lohnkosten zu drücken und damit persönliche Gewinne zu sichern. „Frech und unanständig“ verhalten sich Vorstände, die in der Corona-Krise zum einen staatliche Unterstützung – KUG und Hilfskredite – in Anspruch nehmen, und zum anderen Millionen und Milliarden Euros an Anteilseigner verteilen. Der so schimpft ist kein Gewerkschafter, sondern langjähriger Eigentümer des Schmierstoffe- und Motorenöle-Spezialisten LIQUI MOLY und nach dem Verkauf an die Würth-Gruppe 2018 noch immer dessen Geschäftsführer.
Gemeint sind Unternehmen wie VW und BMW, Daimler und Schaeffler, Knorr-Bremse und Continental, die in den vergangenen Wochen Zehntausende Beschäftigte in Kurzarbeit geschickt haben und damit Teile der Löhne und Gehälter ihrer Beschäftigten von der Solidargemeinschaft bezahlen lassen. Gleichzeitig haben diese Firmen Milliardengewinne an ihre Eigentümer ausgeschüttet. Von der Ausschüttung bei BMW profitieren beispielsweise die Erben der Familie Quandt, die zu den Vermögendsten in Deutschland zählen. Stefan Quandt hält 25,8 Prozent der BMW-Anteile und bezieht für das abgelaufene Geschäftsjahr 2019 eine Dividende von 425 Millionen Euro und seine Schwester Susanne Klatten bekommt für ihre 20,9 Prozent 344 Millionen Euro. (1)
Während die Vermögenden ihre Dividenden einsacken, häufen sich die Forderungen von Politikern, Wissenschaftlern und selbsternannten Experten diejenigen, die die Wirtschaftskrise bereits jetzt schon am härtesten trifft, die Rechnung dafür bezahlen zu lassen. „Wir sollten nach der akuten Krise alle staatlichen Leistungen von Bund, Ländern und Gemeinden auf den Prüfstand stellen“, sagte der frühere Aufsichtsratschef der US-Heuschrecke BlackRock und Kandidat für den CDU-Vorsitz Friedrich Merz der Passauer Neuen Presse. (16.05.2020). Das gelte für Subventionen ebenso wie für „soziale Transferleistungen“. Sprich: Kurzarbeiter- und Arbeitslosengeld, Hartz-IV-Leistungen etc.
Für den Vorsitzenden der „Wirtschaftsweisen“, den Ökonomen Lars Feld, steht fest, dass gerade Branchen mit eher geringen Lohnniveaus von der Krise besonders erfasst worden sind, deshalb plädiert er für eine „Nullrunde“ für die Mindestlöhner*innen. Feld macht sich als Mitglied der Mindestlohnkommission damit zum Sprecher jener Branchenverbände wie dem Hotel- und Gaststättenverband Dehoga, der Arbeitgebervereinigung Nahrung und Genuss (ANG) sowie des Bundesverbandes Druck und Medien, die im Vorfeld der Entscheidung der Mindestlohnkommission massiv dafür trommeln „die Erhöhung für das nächste Jahr auszusetzen.“
Es ist noch nicht lange her, da wurden die Verkäufer*innen und Kassierer*innen im Supermarkt, Pfleger*innen in Krankenhäusern und Altenheimen, Bus- und LKW-Fahrer und viele andere mehr von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zu „Heldinnen und Helden des Alltags“ gekürt. Die Abgeordneten im Bundestag spendeten ihnen, die teilweise unter Bedingungen arbeiten müssen, die physisch und seelisch krank machen, und dies oft zu Niedriglöhnen, die mit staatlichen Leistungen aufgestockt werden müssen, demonstrativ Beifall. Viele dieser Menschen, die aktuell unser Land „am Laufen halten“, so Kanzlerin Angela Merkel, bekommen häufig nicht mehr als den gesetzlichen Mindestlohn. Es ist erbärmlich, wenn nun Arbeitgeberverbände fordern, ihnen den sowieso schon zu niedrigen Lohn nicht zu erhöhen.
Im Jahr 2015 wurde nach heftigem Widerstand der Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände erstmals ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro eingeführt. Seither stieg er in „Trippelschritten“ auf nunmehr 9,35 Euro. Die mit Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertretern paritätisch besetzte Mindestlohnkommission muss im Juni ihren neuen Beschluss fassen. Laut Gesetz orientiert sich die Kommission nachlaufend an der Tarifentwicklung. Maßgeblich dafür ist, wie sich die tariflichen Stundenverdienste ohne Sonderzahlungen in den zurückliegenden zwei Kalenderjahren entwickelt haben. Damit würde der Mindestlohn nun ab Januar 2021 auf 9,85 Euro steigen.
Dabei ist es noch nicht lange her, dass über eine kräftige Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns diskutiert wurde. Die DGB-Gewerkschaften, die Linken und die SPD trommelten für zwölf Euro. „Menschen brauchen armutsfeste Löhne, die liegen in Deutschland nun mal bei zwölf Euro«, so der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann. Er sieht keinen Grund dafür, dass wir den Gürtel enger schnallen.
Doch es geht nicht nur um den Mindestlohn. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hat die größere Gruppe der abhängig Beschäftigten im Blick, die nach seiner Meinung den Gürtel enger schnallen und „während der Krise auf Lohnsteigerungen verzichten“ sollen. Welch hanebüchener Unsinn, gerade der Ökonom Fratzscher, müsste wissen, dass es in der Krise notwendig ist, die Kaufkraft und die Nachfrage zu stärken müssen, damit die Binnenkonjunktur nicht völlig einbricht. Menschen mit geringen Löhnen, mit Kurzarbeitergeld und denen man perspektivisch eine Lohnerhöhung verweigern will, können keinen Beitrag dazu leisten, die Wirtschaft zu stabilisieren.
Fest steht: Die Metallarbeitgeber, die zunehmend Angriffe auf die bestehenden Tarifvertrage fahren, werden diese Steilvorlage für die kommende Tarifbewegung dankbar aufnehmen. Für Gesamtmetall steht fest, dass die abhängig Beschäftigten für die Umsatz-, Produktivitäts- und Gewinnverluste in der Corona-Krise zahlen sollen: mit Nullrunden, mit Eingriffen in bestehende Tarifverträge und Aushebelung des Arbeitszeitgesetzes.
Und schließlich sind da noch die rund die rund 21 Millionen Rentner*innen, denen man in die Tasche greifen will. Die Erzählung der selbsternannten Rentenexperten lautet: Wegen der Corona-Krise steuert die gesetzliche Rentenkasse auf ein großes Finanzloch zu. Ursachen sind der rasante Anstieg der Kurzarbeit sowie die wachsende Arbeitslosigkeit. Damit sinken die Rentenbeiträge von fast einem Viertel der Beschäftigten in Deutschland. Infolge dessen müssten, um eine Überlastung der Rentenkasse zu verhindern, die für 1. Juli dieses Jahres beschlossene Rentenerhöhung von 3,45 Prozent in den alten und von 4,2 Prozent in den neuen Bundesländern „gestoppt werden“, so der Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen. Jochen Pimpertz, Rentenexperte des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) plädiert „nur“ für eine Halbierung des Erhöhungsbetrages.
Die „Besserstellung der Rentner gegenüber den Beitragszahlern“, sei auch nicht fair, kommentiert der Journalist Marcus Theurer in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (19.05.2020), „zumal die Gesellschaft insgesamt während des Corona Shutdowns Rücksicht auf die Älteren genommen habe, „schließlich ist das Virus für ältere Menschen gefährlicher als für junge, die Gesundheitsschutzmaßnahmen, die die Konjunktur abgewürgt haben, kamen also besonders stark den Senioren zugute“. Dieser üble Sarkasmus schließt an die obszöne Äußerung des Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer (Die Grünen) an, der im Sat.1-Frühstücksfernsehen erklärte: „Ich sage es Ihnen mal ganz brutal: Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einen halben Jahr sowieso tot wären – aufgrund ihres Alters und ihrer Vorerkrankungen.“
Dabei wirken sich die negativen Folgen der Corona-Krise für den Arbeitsmarkt auf die Rentenversicherung nur in abgeschwächter Form aus, so ein Sprecher der Deutschen Rentenversicherung (DRV), „da auch bei Kurzarbeit und Arbeitslosengeldbezug weiterhin Beiträge entrichtet werden“. Die Höhe der Rentenanpassung orientiere sich jeweils an der wirtschaftlichen Entwicklung des Vorjahres, da diese in 2019 sehr gut war, falle auch die Rentenanpassung in diesem Jahr höher aus. Auch der Rentenexperte der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung Florian Blank, warnt vor einer Verschiebung oder Aussetzung der Rentenerhöhung. „Die Renten sorgen wie andere Sozialleistungen dafür, dass die Nachfrage stabil bleibt“. Im nächsten Jahr würden die Senioren die Verschlechterung der Lage ohnehin zu spüren bekommen, denn die schlechte Lohnentwicklung in diesem Jahr werde 2021 unweigerlich dazu führen, dass die Renten kaum oder gar nicht steigen.
Tatsache ist: Der Ruf von Arbeitgeberverbänden, ehemaligen „Heuschrecken“-Repräsentanten und wissenschaftlichen Lobbyisten im Dienste des Kapitals nach „Gerechtigkeit“ (?) dient dazu, die herrschende Ungleichheit vom Tisch zu wischen. Die Vermögen in Deutschland waren schon vor der Corona-Krise extrem ungleich verteilt: Die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung verfügen über fast zwei Drittel (64%) des gesamten Nettovermögens. 30 Prozent der Erwachsenen Bevölkerung haben hingegen so gut wie gar kein Vermögen oder gar Schulden, so das Ergebnis des DGB-Verteilungsberichts 2019/2020.
Es wird Aufgabe der Gewerkschaften sein, drohende Kürzungsorgien in den kommenden Wochen gemeinsam mit ihren Mitgliedern abzuwehren. Anders ausgedrückt: Wer verhindern will, dass die Kosten der Krise auf den Schultern der abhängig Beschäftigten und Rentner*innen abgeladen werden, muss für Steuergerechtigkeit streiten und fordern, dass Millionenerbschaften und riesige Vermögen stärker besteuert werden. Es spricht nichts dagegen, aber alles dafür, dass „das reichste ein Prozent der Bevölkerung“ durch „eine Vermögensabgabe für die Finanzierung der Kosten herangezogen wird.
Anmerkungen
(1)Die beiden BMW-Großaktionäre Susanne Klatten und Stefan Quandt besitzen laut „Forbes“ ein geschätztes Vermögen von mehr als 21 Milliarden Euro. Verschärfend kommt dazu, dass sich BMW wie alle großen Konzerne als „Steuervermeider“ betätigen. 25 Tochterfirmen hat der Autobauer aus München in Steueroasen wie den Kaiman-Inseln, den Bermudas etc.
Autor: Otto König