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Für Menschenrechte und soziale Mindeststandards

Autor: Otto König und Richard Detje

Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft laufen wieder einmal Sturm. Vehement verteidigen ihre Lobbyisten ein Geschäftsmodell, das weltweit unter anderem auf Kinderarbeit, Ausbeutung sowie der Verpestung von Luft, Wasser und Böden aufgebaut ist.(1) »Der Einführung eines nationalen deutschen Sorgfaltspflichtengesetzes erteilen wir eine Absage« – damit schalteten BDI, BDA, DIHK und der Handelsverband Deutschland (HDE) auf Angriffsmodus. Unterstützt werden sie von Lars Feld, Vorsitzender des Sachverständigenrates, der davor warnt, dass die Verabschiedung eines Lieferkettengesetzes »die Axt an das bisherige Erfolgsmodell der deutschen Wirtschaft« anlege.

Worum geht es? Jahrzehntelang haben die Unternehmen versprochen, freiwillig die haarsträubendsten Missstände bei den Arbeits- und Produktionsbedingungen in ihren weltweiten Lieferketten abzustellen. Doch passiert ist wenig bis nichts. Daraufhin legten nun Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) einen Gesetzentwurf vor, der Unternehmen zwingen soll, in ihrer gesamten Lieferkette sicherzustellen, dass Menschenrechte, soziale Mindest- und grundlegende Umweltstandards eingehalten werden. »Wer darauf achten kann, dass die Produktqualität eingehalten wird«, so Heil, »der kann das auch bei den Menschenrechten tun.«

Das Vorgehen der beiden Minister beruht auf einem Passus im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD von 2018: »Wir setzen uns für eine konsequente Umsetzung des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) ein (…) Falls die wirksame und umfassende Überprüfung des NAP 2020 zu dem Ergebnis kommt, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreicht, werden wir national gesetzlich tätig und uns für eine EU-weite Regelung einsetzen.«

Dies rief eine unheilige Allianz bestehend aus Unternehmensvertretern, Wirtschaftsverbänden und dem Bundeswirtschafts-ministerium auf den Plan, die seit Monaten versucht, das Gesetzesvorhaben zu verhindern bzw. die gesetzlichen Bestimmungen so wirkungslos wie möglich zu formulieren. Auf Peter Altmeiers (CDU) Betreiben wird seit Wochen der entsprechende Tagesordnungspunkt von Sitzung zu Sitzung des Bundeskabinetts geschoben.

Der NAP stützt sich auf die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen (UN), die unter Einbeziehung von Staaten, Unternehmen und der Zivilgesellschaft entwickelt und 2011 einstimmig vom UN-Menschenrechtsrat beschlossen wurden. Auslöser für die nationale Initiative waren nicht zuletzt die verheerenden Brände in den Textilfabriken »Ali Enterprises« in Pakistan sowie »Tazreen« und »Rana Plaza« in Bangladesch 2012/13, die weltweites Aufsehen erregten. (3) Hinzu kommen Fälle, in denen deutsche Unternehmen unter skandalösen Umständen in den ärmsten Staaten Asiens und Afrikas mit Zulieferern paktieren, die ihre Arbeitskräfte hemmungslos ausbeuten und auch vor Kinderarbeit nicht zurückschrecken.

Der Plan der Bundesregierung: Die Wirtschaft sollte prüfen und bis 2020 berichten, ob entlang ihrer Lieferketten existenzsichernde Löhne gezahlt werden, eine Interessenvertretung der Arbeitnehmer*innen erlaubt ist und das Recht auf körperliche Unversehrtheit gewahrt wird. Schon damals verwässerten Beamte des Wirtschaftsministeriums das Vorhaben. So sollten Firmen, die die Sorgfaltspflichten des Aktionsplans nur annäherungsweise erfüllten oder auch bloß erfüllen wollten, als ihren Sorgfaltspflichten nachkommend gezählt werden. Der Hintergedanke: Wenn zumindest jedes zweite Unternehmen die Kriterien erfüllt, werde die GroKo von einem verpflichtenden Gesetz absehen.

Diese Strategie ist krachend gescheitert, da es die meisten deutschen Unternehmen, beispielsweise Hersteller von Bekleidung, Schuhen und Elektronik, wenig kümmert, ob ihre weltweiten Zulieferer Arbeits- und Sozialstandards einhalten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Unternehmensbefragung durch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY). Im Dezember 2019 gab es einen ersten Zwischenbericht, wonach nur 18% der Unternehmen ein funktionierendes Überwachungssystem aufgebaut haben, um zu dokumentieren, unter welchen Umständen die Güter hergestellt werden, die sie importieren. In der zweiten Befragungsrunde im Frühjahr 2020 waren es mit 22% nur geringfügig mehr. In der ersten Befragung von 3.000 Unternehmen gaben lediglich 464 Firmen Auskunft und in der zweiten Fragerunde meldeten sich von 2.250 nur 455 Unternehmen mit gültigen Antworten zurück. Das Ergebnis ist nicht nur ein Offenbarungseid für die deutsche Wirtschaft, sondern auch ein Fiasko für die Bundesregierung, die jahrelang auf Freiwilligkeit gesetzt hatte.

Deshalb benötigen wir »zur Verwirklichung von Menschenrechtsstandards, die entlang der Lieferketten Kinderarbeit ausschließen und grundlegende ökologische und soziale Mindeststandards sichern, einen gesetzlichen Rahmen«, schlussfolgert Minister Müller. Als Risikofelder werden neben Zwangs- und Kinderarbeit Diskriminierung, Verstöße gegen die Vereinigungsfreiheit, den Arbeitsschutz sowie die Schädigung der Gesundheit und der Umwelt definiert. Der Fokus liegt nicht nur auf der Produktion von Gütern in eigenen Unternehmen, sondern maßgeblich auch auf der Produktion sowie Lieferwege und Lagerung durch Subunternehmen.

In dem Gesetzentwurf heißt es: Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten sollen künftig prüfen, ob sich ihre Aktivitäten nachteilig auf Menschenrechte auswirken und welche geeigneten Präventiv- oder Abhilfemaßnahmen ergriffen werden. Darüber hinaus sollen sie einmal jährlich berichten, wie sie im Zusammenspiel mit ihren Geschäftspartnern in der Wertschöpfungskette Menschenrechtsverletzungen vermeiden.

Wirtschaftsverbände beschweren sich lautstark: Der internationale Warenverkehr und die Lieferketten seien bereits durch die Handelsbeschränkungen sowie weiterhin bestehende Grenzschließungen und Reiseeinschränkungen erschwert, wenn nicht sogar zum Erliegen gekommen. Da die Unternehmen jetzt »alle Ressourcen im Kampf gegen die Corona-Auswirkungen« benötigen, müssten »nationale Sonderwege mit nationalen Belastungen« vermieden werden. (4) Eine Überregulierung durch ein Lieferkettengesetz koste nicht nur viel Geld, sondern letztlich Arbeitsplätze in Deutschland aufgrund von Wettbewerbsnachteilen. Das Gegenteil ist der Fall: Jene Firmen, die mit Kinderarbeit und Hungerlöhne Gewinn machen, sichern sich damit Vorteile gegenüber Konkurrenten.

Ganz besonders stören BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter und seine Verbands-Kumpane, dass Unternehmen haftbar gemacht werden sollen, wenn in der Lieferkette Standards nicht eingehalten werden. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sieht es zudem als »unmöglich (an), die lückenlose Überwachung eines Lieferkettengesetzes zu garantieren.« Dass eine transparente Lieferkette längst möglich und praktikabel ist, beweisen mehr als 90 Unternehmen, die sich für ein Lieferkettengesetz aussprechen – darunter der Kaffeeröster Tchibo, die Lebensmittelkonzerne Rewe und Nestlé sowie der Schokoladenhersteller Alfred Ritter.

»Letztlich brauchen wir ein Lieferkettengesetz, denn nur dann wird es tiefgreifende Veränderungen bei allen Unternehmen geben. Freiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft reichen nicht aus«, betont Tchibo-Managerin Nanda Bergstein. »Weiter wünschen sich die Unternehmerverbände Safe-Harbour-Regeln und eine White List ›sicherer‹ Produktionsländer, zu denen mindestens die Mitgliedstaaten der EU, aber auch Länder wie Südafrika zählen sollen. Tatsache ist aber, dass auch ›Made in EU‹ kein Garant für die Einhaltung von Kernarbeitsnormen der ILO ist«. (5)

Fest steht: Kein Preis wird explodieren, kein Produkt plötzlich unerschwinglich, nur weil in Deutschland gesetzlich festgeschrieben wird, dass Unternehmen ihren Lieferanten im Ausland künftig genauer auf die Finger schauen müssen. Und im Zweifel auch haften, wenn sie es unterlassen, offenkundige Missstände abzustellen. Selbstverständlich kostet es Geld, Lieferketten aufzubauen, die sozial, ökologisch und transparent sind. Und natürlich werden deutsche Unternehmen einen höheren Teil ihrer Marge an die Zuliefererbetriebe abgeben müssen, wenn diese die Menschenrechte einhalten und existenzsichernde Löhne zahlen sollen. Weil dies ihren Profit schmälern würde, wettert eine Allianz aus Spitzenverbänden, Handwerks- und Handelskammern gegen die »zusätzlichen bürokratischen und finanziellen Belastungen«, wie aus einem gemeinsam verfassten »Brandbrief« an die CDU-Fraktion im Bundestag hervorgeht

Mehr als 222.222 Menschen forderten Anfang September von Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Kabinetts-Beschluss, damit das Lieferkettengesetz endlich in das Gesetzgebungsverfahren des Bundestages eingebracht und vor der Bundestagswahl 2021 verabschiedet werden kann. Zuvor hatten sich schon Konzernbetriebsräte von über 40 großen Unternehmen wie Airbus, Audi, Bosch, BMW, Ford, Lear, MAN, Porsche, Schaeffler, Siemens, ThyssenKrupp, Volkswagen und ZF eindeutig für ein solches Gesetz positioniert. (6) Die Missachtung der Sorgfaltspflichten sei an wirksame Sanktionen wie den Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen und die Verhängung von Bußgeldern zu knüpfen, wird in der gemeinsamen Erklärung mit der IG Metall gefordert.

Die Botschaft der Initiative und der Betriebsräte richtet sich in erster Linie an den Wirtschaftsflügel der Union, der mit Verweis auf die Corona-Pandemie die Position vertritt, es sei »nicht der richtige Zeitpunkt« für strenge Regulierung. Dem schließt sich Altmaiers Ministerium an, dessen Sprecherin betont, »dass wir uns angesichts der Corona-Krise aktuell in einer Rezession befinden, und zwar mit Einbrüchen, die die größten in der Geschichte der Bundesrepublik darstellen und viele Unternehmen deutlich belasten«.

Das Wirtschaftsministerium will die Grenze für die Anwendung des Gesetzes bei 5.000 Arbeitsplätzen ziehen. Von den mehr als drei Millionen Unternehmen in Deutschland wären dann kaum 250 erfasst. Dabei ist bereits die Grenze von 500, wie sie Heils und Müller vorsehen, willkürlich gezogen – mittelgroße Unternehmen beginnen laut EU-Definition bei 250 Beschäftigten. Zudem wollen Altmaiers Beamte die Haftung der Firmen weitgehend eliminieren.

In den Eckpunkten für das Gesetz aus dem Arbeits- und Entwicklungsministerium heißt es, dass hiesige Unternehmen vor Gericht auf Schadenersatz verklagt werden könnten, wenn sie ihren Sorgfaltspflichten nicht »angemessen« nachkämen und »vorhersehbare« Risiken ignorierten. Dies geht dem Wirtschaftsministerium offensichtlich zu weit. Unternehmerverbände fordern zudem, die Sorgfaltspflicht auf die erste Stufe der Lieferkette zu begrenzen. Die Strategie: Wenn man das Gesetz schon nicht verhindern kann, wie die Industrie dies zuvor versucht hatte, dann höhlt man es eben bis zur vollkommenen Wirkungslosigkeit aus.

Das bedeutet: Jetzt muss der öffentliche Druck verstärkt werden, damit am Ende ein Gesetz verabschiedet wird, das nicht mehr jene belohnt, die billiger produzieren und Profite auf Kosten der Menschen und Natur scheffeln. https://lieferkettengesetz.de/

 

Artikel von Otto König, ehemaliger 1. Bevollmächtigter der IG Metall (Hattingen) und Richard Detje, Redakteur der Zeitschrift Sozialismus (Hamburg)

Anmerkungen

(1) Laut der UN-Handelskonferenz arbeiten global mehr als 450 Millionen Menschen in Lieferketten; 80% des weltweiten Handels erfolgt durch globale Produktionsnetzwerke (UNCTAD 2019).

(2) Bundesregierung: Nationaler Aktionsplan »Umsetzung der VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte 2016-2020«, Berlin September 2017.

(3) Siehe Otto König/Richard Detje: Zäher Kampf um Gerechtigkeit. Pakistanische Textil-ArbeiterInnen ziehen gegen deutschen Textil-Discounter KiK vor Gericht, in: Sozialismus 10/2016.

(4)  Ein Lieferkettengesetz gegen Kinderarbeit gibt es in den Niederlanden. Australien, Kalifornien und Großbritannien haben Lieferkettengesetze gegen moderne Sklaverei und Menschenhandel beschlossen. Frankreich hat alle großen Unternehmen auf die Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfalt verpflichtet (SZ, 02.09.2020).

(5) Eva-Maria Kieninger: Keine Angst vor einem Lieferkettengesetz, in: FAZ, 10.09.2020.

(6) IG Metall: Erklärung »Unsere Verantwortung in einer globalisierten Welt« – Für eine gesetzliche Regelung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten, Frankfurt a.M., 08.09.2020.

 

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