Für Waffenlieferungen und gegen Verhandlungen

Otto-Brenner-Studie „Die Qualität der Medienberichterstattung über den Ukraine-Krieg“
Zum wiederholten Male sehen sich die deutschen Leitmedien dem Vorwurf der einseitigen Berichterstattung ausgesetzt. Während der Flüchtlingskrise und der Corona-Pandemie, sowie der Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine beklagen kritische Beobachter*innen eine fehlende Meinungsvielfalt. Ist an den Vorwürfen etwas dran?
Dieser Frage sind Marcus Maurer von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und seine Kollegen in einer Studie mit dem Titel „Die Qualität der Medienberichterstattung über den Ukraine-Krieg“ (1) nachgegangen. „Wir untersuchen die Qualität der journalistischen Berichterstattung über den Ukraine-Krieg. Dazu haben wir eine quantitative Inhaltsanalyse der Berichterstattung von acht deutschen Leitmedien durchgeführt“, ist im Vorwort der Studie im Auftrag der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung zu lesen.
Die meisten Leitmedien haben in den ersten drei Monaten des Krieges überwiegend für die Lieferung schwerer Waffen plädiert und diplomatische Verhandlungen als deutlich weniger sinnvoll charakterisiert. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel war das einzige Medium, das diplomatische Schritte positiver beurteilte als die Lieferung schwerer Waffen und sie sogar als „mit Abstand als am sinnvollsten“ einschätzte. In den Beiträgen der anderen sieben Medien klang das genau anders herum. Das hat die Auswertung von 4.300 Beiträgen aus den acht Leitmedien FAZ, Süddeutsche Zeitung, Bild, Spiegel, Zeit, ARD Tagesschau (20 Uhr), ZDF Heute (19 Uhr), RTL Aktuell (18:45) zwischen dem 24. Februar und dem 31. Mai 2022 ergeben.
Untersucht wurden Berichte und Kommentare, die sich explizit mit dem Ukraine-Krieg, seinem Verlauf, den Ursachen, Folgen oder Maßnahmen beschäftigen. „Auch wenn die Berichterstattung nicht vollkommen einseitig war, überrascht die insgesamt starke Zustimmung zu Waffenlieferungen doch – vor allem vor dem Hintergrund vergleichbarer früherer Kriege, in denen deutsche Waffenlieferungen gar nicht zur Debatte standen“, kommentierte der Studienleiter Marcus Maurer.

Kriegsgeschehen, Ursachen und Folgen des Krieges standen im Vordergrund der Berichte. Der Krieg sei dabei „überwiegend aus der Perspektive Deutschlands“ dargestellt worden (42 Prozent), gefolgt von der Darstellung der Sicht der Ukraine (28 Prozent) und anderer Länder (20 Prozent). Deutlich seltener wurde die Perspektive Russlands (10 Prozent) eingenommen. In der Berichterstattung wurden die Konfliktakteure nicht nur genannt, sondern darüber hinaus auch positiv oder negativ bewertet. Überdurchschnittlich viele positive Bewertungen entfielen dabei auf die Ukraine (+64 Prozent) und ihren Präsidenten Selenskyj (+67 Prozent). Fast ausschließlich negativ bewertet wurden hingegen Russland (-88 Prozent) und Präsident Putin (-96 Prozent).
Auch die Bundesregierung kommt in der Berichterstattung der acht Leitmedien eher schlecht weg (-26 Prozent). Noch schlechter allerdings schnitten Bundeskanzler Scholz (-31 Prozent) und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (-35 Prozent) ab, beide SPD. Vor allem Bild und Spiegel kritisierten Bundesregierung und Bundeskanzler stark. Im Gegensatz dazu bewerteten die untersuchten Leitmedien Grünen-Politiker deutlich positiver: Außenministerin Annalena Baerbock wird unter allen Akteuren am positivsten bewertet (+68 Prozent), und auch Wirtschaftsminister Robert Habeck kommt vergleichsweise gut weg (+19 Prozent). Die Medienberichterstattung scheint damit zwar nicht regierungs-, jedoch auffallend „oliv“grünenfreundlich zu sein. Das folgende Schaubild zeigt den Saldo aus positiven und negativen Bewertungen der analysierten Medien für elf besonders häufig bewertete Akteure in Prozent.

„Die Analysen zeigen, dass sich die Berichterstattung mit Abstand am häufigsten Wirtschaftssanktionen gegen Russland widmete (1.168 Nennungen), wobei die Medien diese Maßnahme in zwei Dritteln der Fälle (66%) wertend einordneten. Militärische Unterstützung für die Ukraine wurde in 748 Fällen thematisiert und in 72% dieser Fälle bewertet. Deutlich seltener thematisierten die Medien diplomatische Maßnahmen (393; in 66% bewertet) sowie explizit die Lieferung schwerer Waffen (330; in 83% bewertet). Humanitäre Maßnahmen waren noch seltener Gegenstand medialer Berichterstattung (284) und wurden zudem am seltensten bewertet (56%).“
Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass die Bellizisten in den Redaktionsstuben eine militärische Unterstützung der Ukraine (74 Prozent) und die explizite Lieferung schwerer Waffen (66 Prozent) außerordentlich positiv bewertet haben. D.h. die Medien haben ihren ursprünglichen Auftrag, die interessierte Bevölkerung möglichst unabhängig und genau zu informieren, zugunsten einer machtpolitisch einseitigen Information verlassen haben.
Deutlich unterschiedlicher seien die Urteile über diplomatische Maßnahmen ausgefallen: „Diese wurden vom Spiegel mit Abstand als am sinnvollsten bewertet, womit der Spiegel auch das einzige der untersuchten Medien war, das diplomatische Verhandlungen positiver bewertete als die Lieferung schwerer Waffen.“ Bei anderen Themen war die Einheitlichkeit weit geringer.
Die Studie bestätigt in Teilen auch den Vorwurf, dass die Medien in der Frage der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine die Bundesregierung mehr oder weniger ausnahmslos vor sich hergetrieben haben. Dies gilt auch für die weitere Berichterstattung im Jahr 2022. So begrüßten die bundesdeutschen Leitmedien in den zurückliegenden Tagen euphorisch die Entscheidung der Rot-gelb-grünen Ampel in Berlin der Ukraine 40 Schützenpanzer vom Typ Marder zu liefern. Gleichzeitig hatte Washington der Ukraine US-Schützenpanzer vom Typ Bradley versprochen, Paris einen Tag zuvor französische Spähpanzer vom Typ AMX-10 RC.
Bislang hatte die Bundesregierung die Lieferung von Schützen- und Kampfpanzern mit dem Verweis abgelehnt, man wolle keine „Alleingänge“ unternehmen. Bei der nun erfolgten Erklärung des US-amerikanischen Präsidenten Joe Biden und von Kanzler Olaf Scholz handelt es sich um einen Wendepunkt in der Positionierung des Westens hin zu einer verstärkten Waffenlieferung Richtung Ukraine. „Diese Waffenlieferungen folgen der immens gefährlichen Militärlogik beider Seiten, dass dieser Krieg militärisch zu gewinnen sei. Doch statt Öl ins Feuer zu gießen, sollte Deutschland endlich Friedensmacht werden“, fordert Jürgen Grässlin, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsgegnerInnen (DFG-VK).
Es verstärkt sich der Eindruck, dass die Bundesregierung zusammen mit anderen westlichen Staaten auf ein riskantes Spiel der Eskalation setzen. Weil Russland bislang nicht reagiert hat, werden Schritt für Schritt mehr und schwere Waffen geliefert. Was im Gegensatz zur Stimmung in der deutschen Bevölkerung steht: Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Insa finden 49 Prozent der Befragten die Entscheidung den Schützenpanzer Marder zu liefern eher falsch und 40 Prozent eher richtig. Die Lieferung von Kampfpanzern lehnen 50 Prozent ab, 38 Prozent sind dafür.
Wer davon ausging, dass mit der Entscheidung Marder-Schützenpanzer an die Ukraine zu liefern, sei die Angelegenheit nun vom Tisch, hatte sich getäuscht – das Gegenteil ist der Fall. Inzwischen hat ein regelrechter Überbietungswettbewerb eingesetzt, wer mit noch waghalsigeren Waffenforderungen noch mehr Aufmerksamkeit erheischen kann. Während große Teile der SPD derzeit den zurückhaltenden Part innerhalb der Regierungskoalition spielen und sich dafür in den Medien rechtfertigen müssen, wird die Eskalationsstrategie vor allem von den Grünen befeuert, allen voran dem Grünen-Politiker Anton Hofreiter und Außenministerin Annalena Baerbock, und von der FDP vor allem durch die Waffenlobbyistin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. So erklärte die Rüstungslobbyistin Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): „Wir lassen nicht locker. Nach dem Marder kommt der Leopard. Ich bleibe dran.“ Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter, sagte: „Ich würde mir wünschen, dass wir als Hauptherstellungsland für den Leopard 2 eine europäische Initiative starten für die Lieferung von Leopard 2“.
Verantwortungsvolle Politiker*innen und Journalist*innen würden sich dem aktuellen Versuch entgegenstellen, Deutschland durch die Lieferung von Kampfpanzern noch weiter zur Kriegspartei zu machen, um Schaden von den Bürgern abzuwenden. Sie würden alle diplomatische Kanäle ausschöpfen, um Friedensverhandlungen anzustoßen. Doch das Gegenteil ist zu beobachten. Es gilt nach wie vor die Aussage des Friedensnobelpreisträgers Carl von Ossietzky: „Der Krieg ist ein besseres Geschäft als der Friede. Ich habe noch niemanden gekannt, der sich zur Stillung seiner Geldgier auf Erhaltung und Förderung des Friedens geworfen hätte.“
Autor: Otto König
Anmerkung
(1)Marcus Maurer/ Jörg Haßler/ Pablo Jost „Die Qualität der Medienberichterstattung über den Ukraine-Krieg“, Forschungsbericht zu ersten Befunden, Otto Brenner-Stiftung 15.12.2022