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Generalstreik rettet die Republik 

Sprockhövel. Der Kapp-Putsch ist ein wichtiges, aber fast vergessenes Ereignis der deutschen Geschichte. „Vor hundert Jahren war es der erste Versuch der Rechten, die Weimarer Republik zu zerschlagen“, so Klaus Gietinger. Der Sozialwissenschaftler und Regisseur beleuchtete im IG Metall Bildungszentrum Sprockhövel die Geschichte des Militärputsches und der Abwehrkämpfe der Arbeiterschaft. Unterstützt wurde er vom Liedermacher Michael Zachcial von den Grenzgängern.

Coronabedingt konnte die sehr interessante Veranstaltung der IG Metall Region Ennepe-Ruhr-Wupper, des DGB-Kreisverbandes Ennepe-Ruhr und der VVN-BdA in der Sprocklhöveler Bildungsstätte leider nur vor kleinem Publikum stattfinden. „Doch viele sind zugeschaltet und können per Live-Streaming den Vortrag und die Musik verfolgen“, so Thomas Birg vom IG Metall-Bildungszentrum bei der Eröffnung.

Klaus Grietinger stellte dar, welche reaktionäre Politik zu dem Putsch geführt hat. Die Umsetzung der von den Siegermächten des 1. Weltkrieges im „Versailler-Vertrag“ durchgesetzte Verringerung der immer noch etwa 500.000 Mann starken Reichswehr auf zunächst 200.000 Mann und die Auflösung der im Januar 1919 entstandenen paramilitärischen Freikorps-Truppen (die Mörder von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht) waren für die Putschisten der offizielle Anlass für den Umsturzversuch. Die Militärs betrachteten die Freikorps als inoffizielle Reserve, mit der die Beschränkungen durch den Versailler Friedensvertrag unterlaufen werden sollten. Am 13. März 1920 putschte eine ultrareaktionäre Gruppe bürgerlicher Politiker und hoher Offiziere, mit dem preußischen Beamten und Aufsichtsrat der Deutschen Bank, Wolfgang Kapp, und dem Befehlshaber des Reichswehr-Gruppenkommandos 1 in Berlin, Walther von Lüttwitz, an der Spitze, gegen die demokratisch gewählte Regierung.

Putschende Freikorps-Truppen – Bundesarchiv

Die Gesinnung der Soldaten, die unter dem Befehl von Marinekapitän Hermann Ehrhardt durchs Brandenburger Tor ins Regierungsviertel marschierten, Straßensperren errichteten und Maschinengewehre postierten, war schon an ihren Stahlhelmen zu erkennen – viele der 5.000 Soldaten haben Hakenkreuze aufgemalt, erläuterte Klaus Grietinger. In einem ihrer Kampflieder hie´ß es: „Die Brigade Ehrhardt schlägt alles kurz und klein, wehe Dir, wehe Dir, Du Arbeiterschwein.“

De Liquidierung der jungen Republik im Auge, verfolgten die Putschisten das Ziel, ein „autoritäres Regime auf monarchisch-föderativer Grundlage“ zu errichten. Sie wollten die Außerkraftsetzung aller in Folge der Novemberrevolution 1918 erlassenen Gesetze – darunter die Beseitigung des Achtstundentages und ein generelles Streikverbot. Die Reichswehr-Generäle weigerten sich, den Putschisten entgegen zu treten: „Truppe schießt nicht auf Truppe“, lautete ihr Motto. Die SPD-geführte Regierung musste zuerst nach Dresden und dann nach Stuttgart fliehen.

Aufruf zum Generalstreik Bild: ver.di.de

Zwölf Millionen treten in den Generalstreik

Es kam zum größten Streik in der deutschen Geschichte:  Zwölf Millionen Menschen legten die Arbeit nieder. Sie folgten dem Aufruf des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) und der Angestelltengewerkschaft AfA zum Generalstreik. In den meisten Großstädten ruhte der öffentliche Verkehr. Für über eine Woche standen in Deutschland alle industriellen Räder still. In den Industriegebieten im Osten leisteten die Arbeiter massiv Widerstand. In Mecklenburg begehrten die Landarbeiter auf. Im Westen, im Ruhrgebiet, formierte sich die „Rote Ruhrarmee“, aus „der SPD, USPD und KPD-Basis mit bis zu 80.000 Kämpfern“, schildert Grietinger die Situation im Pott. Im Raum Bochum, Hagen, Wetter, Herdecke und Dortmund gelang es den bewaffneten Arbeitern – darunter viele Bergarbeiter, Eisenbahner und Metaller – den Putschisten eine Reihe schwerer Niederlagen zu zufügen sowie konterrevolutionäre Einwohnerwehren und Zeitfreiwilligenverbände zu entwaffnen.

Nach vier Tagen brach der Putsch im Reichsgebiet zusammen. Die Anführer des Putsches gaben auf:  Kapp floh nach Schweden, Lüttwitz nach Ungarn. Die Brigade Ehrhardt wurde aufgelöst, die Freikorps-Schlächter kamen jedoch straflos davon. Ein breites Bündnis von Demokraten und Gewerkschafter*innen hatte die Republik gerettet. „Noch niemals ist eine Bande von Usurpatoren so schnell fortgefegt worden wie die von Kapp und Genossen. Noch nie hat eine Volksparole eine so schnelle und gewaltige Wirkung gehabt wie die Aufforderung zum Streik. Sie war die eigentliche demokratische Parole, die die Grenze zwischen den Links- und Mittelparteien niederlegte und für wenige Tage das ganze arbeitende Deutschland einigte“, kommentiert der Schriftsteller Carl von Ossietzky damals in der „Berliner-Volkszeitung“ den Zusammenbruch des Putsches.

Demokraten retten die Republik

Die Regierung kehrte nach Berlin zurück. Die Gewerkschaften beendeten den Generalstreik. Sie forderten von der Regierung Sozialreformen. Die bewaffneten Arbeiter der „Roten Ruhrarmee“, die die Freikorps- und Reichswehrverbände teilweise besiegt oder kampflos zum Aufgeben gezwungen hatten, verlangten jedoch mehr: im Grunde wollten sie die Vollendung der steckengebliebenen Revolution im November 1918 – die Sozialisierung der Industrie, aber auch die Zerschlagung der alten Reichswehr und  die Demokratisierung des Militärs – Forderungen, die die SPD schon in ihrem Erfurter Programm 1891 verabschiedet hatte.

Der Liedermacher Michael Zachcial unterlegte dieses Wollen musikalisch mit der „Resolution der Kommunarden“ von Bert Brecht:In Erwägung, daß wir der Regierung was sie immer auch verspricht, nicht trau’n haben wir beschlossen, unter eig’ner Führung uns nunmehr ein gutes Leben aufzubau’n.“

Es ist die bittere Ironie der Geschichte, dass die knapp dem Putsch entronnene Regierung, statt auf die Forderungen einzugehen, nun jenes Militär gegen die Arbeiterverbände vorgehen lässt, das zuvor nicht bereit war, die Demokratie zu verteidigen. Im Ruhrgebiet führte dies zu schweren, blutigen Kämpfen. General von Watter ließ am 2. April, Reichswehr und Freikorps ins Ruhrgebiet einmarschieren, wo sie den Aufstand mit äußerster Brutalität niedergeschlagen haben. Der Einsatz seiner Truppen gegen die Arbeiter war begleitet von Misshandlungen und willkürlichen Erschießungen von Gefangenen mit über tausend Toten.

Wer es schaffte, floh ins „neutrale Köln“, das von den Engländern besetzt war, oder ins noch unbesetzte Bergische Land.

Das brutale Vorgehen gegen die Teile der Arbeiterbewegung, die den Putsch gestoppt hatten und eine Politik, die gleich wieder zur Tagesordnung übergehen wollte , führte zu „einer bleibenden Traumatisierung und Spaltung der Linken“, so der Sozialwissenschaftler Klaus Gietinger. Auch wenn der Faschismus !920 noch nicht gesiegt hatte, die meisten Freikorpsmänner wurden später Nazis: Ihre Aktivitäten endeten 1933 in der Machtergreifung der Nationalsozialisten und der endgültigen Zerschlagung der Weimarer Republik. Sechs Jahre später – am 1.September 1939 – hatte die deutsche Wehrmacht Polen überfallen und den 2. Weltkrieg vom Zaun gebrochen-

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