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„Gesetzliche Ausbildungsgarantie“ notwendig

DGB-Jugend: Studie zu Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Berufsausbildung

Die weltweit gerühmte duale Berufsausbildung zeigt in der Corona-Pandemie deutliche Schwächen: Der Ausbildungsmarkt in Deutschland befindet sich auf einem historischen Tiefpunkt: Nur 465 700 Ausbildungsverträge haben die Arbeitgeber*innen im vergangenen Jahr abgeschlossen – das ist der niedrigste Wert seit mehr als 40 Jahren. Laut Statistischem Bundesamt waren das 47 600 oder 9,3 % Verträge weniger als im Jahr 2019.

Die Pandemie wirkt sich jedoch nicht nur auf die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge aus. Sie hat auch deutliche Spuren bei den fast 1,5 Millionen Auszubildenden hinterlassen. In den zurückliegenden Monaten hat vor allem die Qualität der dualen Ausbildung deutliche Einbußen erlitten. Putz- und Aufräumarbeiten, Kellnern statt Eventmanagement, Unkraut zupfen statt Rezeption, Corona-Tests statt Trainingspläne: Mehr als ein Viertel der Auszubildenden (26,3 Prozent) muss „immer“ oder „häufig“ solche ausbildungsfremden Tätigkeiten erledigen, heißt es in der „ Sonderstudie zu den Auswirkungen der Corona-Krise auf die duale Berufsausbildung“ der DGB-Jugend. (1) Im Vergleich zur Vor-Pandemie-Zeit hat sich dieser Wert mehr als verdoppelt.

Die Ergebnisse der „Corona-Ausbildungsstudie“ zeigen deutliche Qualitätsprobleme in Betrieben und Berufsschulen auf. 60 Prozent der Befragten haben Teile ihrer Ausbildung im Homeoffice absolviert. Von Homeschooling bzw. Distanzunterricht waren fast alle Auszubildenden (94,9 %) betroffen. Fast die Hälfte (45,2%) der Auszubildenden vergibt schlechte Noten für die fachliche Qualität der Ausbildung im Homeoffice: 32,1% „befriedigend“, 9,2 % „ausreichend“ und 3,9% „mangelhaft“. Nur 35 Prozent der Befragten gaben an, dass sie alle Materialien und Geräte zur Verfügung gestellt bekommen haben, die sie für die Ausbildung von zu Hause aus benötigten. Jede bzw. jeder Fünfte bekam keine Arbeits- und Lernmittel gestellt. Auch bei der Betreuung, die im Berufsbildungsgesetz vorgeschrieben ist, hat es Engpässe gegeben: Nur einem Drittel der Befragten (33,1 %) standen Ausbilder*innen während der Homeoffice-Phasen „immer“ zur Verfügung.

Die Befragten wiesen auch auf erhebliche Mängel im Zusammenhang mit dem Berufsschulunterricht hin: Von den befragten Azubis, die bereits vor der Corona-Pandemie ihre Ausbildung begonnen haben, sagt etwa ein Drittel (30.1%), dass sich die fachliche Qualität des Berufsschulunterrichts seit der Pandemie verschlechtert hat. Mehr als die Hälfte der Auszubildenden (52,7%) bemängelt die digitale Ausstattung der Berufsschulen. Nur etwa ein Drittel (32,4%) der Befragten ist der Ansicht, dass sich diese Situation seit Beginn der Corona-Pandemie verbessert hat. Jede/r Zehnte (13,3%) stellte gar eine Verschlechterung fest.

Da für die Prüfung notwendige Ausbildungsinhalte nicht vermittelt wurden, macht sich mehr als ein Drittel der Befragten (34,6 %) „große“ oder „sehr große“ Sorgen, die Ausbildung nicht erfolgreich abschließen zu können. Insbesondere die Auszubildenden im dritten Ausbildungsjahr, die kurz vor ihren Abschlussprüfungen stehen, schätzen ihre Situation kritisch ein. Lediglich 51,1 Prozent waren mit der Prüfungsvorbereitung von betrieblicher und 47,2 Prozent von berufsschulischer Seite „sehr zufrieden“ oder „zufrieden“.

Die Berufsausbildung ist ein Lernverhältnis und kein klassisches Arbeitsverhältnis. Dennoch wurde in der Pandemiezeit mehr als die Hälfte der Auszubildenden (57,6%) „immer“ oder „häufig“ als volle Arbeitskraft eingesetzt. Ein Drittel der Auszubildenden (32,6%) musste „immer“ oder „häufig“ Überstunden machen; die meisten (fast 80%) wöchentlich bis zu 5 Stunden. Aber auch mehr als 20 Überstunden pro Woche kamen vor. Wenn die Ausbildung aus betrieblichen Gründen ausgefallen ist, mussten die Betroffenen (23,3%) „Minusstunden“ ansammeln. 83 Prozent von ihnen mussten die Minusstunden voll (55,2%) oder teilweise (27%) nacharbeiten, obwohl weder Überstunden noch Minusstunden im Berufsbildungsgesetz vorgesehen sind. „Die Ausbildungsinhalte müssen vielmehr in der vertraglichen Arbeitszeit vermittelt werden“, sagt Joscha Wagner, Jugendreferent beim DGB.

Krisenbedingte Kürzungen der Ausbildungsvergütungen musste knapp jede/r vierte Auszubildende (24,3%) in Kauf nehmen, obwohl dafür keine Rechtsgrundlage besteht. In kleinen Betrieben mit 5 bis 10 Beschäftigte waren dies sogar 37,9 Prozent. Obgleich es nicht erlaubt ist, wurde 18,7 Prozent der Befragten seit Beginn der Corona-Pandemie mindestens einmal der Urlaub gekürzt. Bei der Mehrheit der Betroffenen (61,6%) ging es dabei um bis zu 5 Urlaubstage. Damit eine gute Ausbildungsqualität vermittelt und geltende Gesetze eingehalten werden, seien „mehr effektive und regelmäßige Kontrollen in den Ausbildungsbetrieben“ notwendig, fordert die DGB-Jugend. Gegen die Zukunftsängste von Auszubildenden helfe nur mehr Sicherheit: das heißt eine berufliche Perspektive. Deshalb stehe die unbefristete Übernahme nach der Ausbildung oben auf der gewerkschaftlichen Agenda.

Angesichts der deutlich gesunkenen Zahlen neuer abgeschlossener Ausbildungsverträge bekräftigt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) seine Forderung nach „einer gesetzlichen Ausbildungsgarantie“. Die derzeitigen Maßnahmen reichen nicht aus, um nachhaltig Ausbildungsplätze zu sichern, darum muss über- und außerbetriebliche Ausbildung einen höheren Stellenwert erhalten. „Ausbildung für alle” heißt das Ziel, um einem eklatanten Fachkräftemangel vorzubeugen, betont Gewerkschaftssekretärin Nadine Schroer-Krug.

Eine gesetzliche Ausbildungsgarantie, gekoppelt an ein Umlagefinanzierungsmodell, wäre eine echte Strategie, um langfristig die Ausbildungsbereitschaft zu steigern. In Österreich bekommen seit 2008 Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz finden, eine überbetriebliche Ausbildung angeboten. Entweder wechseln sie nach einem Jahr in eine reguläre Ausbildung in der Wirtschaft oder sie erhalten am Ende der überbetrieblichen Ausbildung einen vollwertigen Abschluss.

Die Vorteile einer „gesetzlichen Ausbildungsgarantie“ hat jüngst eine von der Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegebene Studie untermauert. Das Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien hatte das österreichische System auf die Bundesrepublik übertragen und war zu dem Ergebnis gekommen, „dass sich eine Ausbildungsgarantie in Deutschland für Jugendliche, für die Wirtschaft und für die Gesellschaft auszahlt“. Der Leiter der Studie Clemens Wieland, sagte im Deutschlandfunk: „Die Ausbildungsgarantie kann pro Jahr bis zu 20.000 zusätzliche Fachkräfte bringen“.

Nach den Vorschlägen der DGB- und IG Metall-Jugend soll eine umlagefinanzierte Ausbildungsgarantie in Deutschland über drei Stufen funktionieren: Junge Menschen finden erstens eine passende Ausbildung in einem Betrieb. Zweitens sollen kleinere und mittlere Betriebe, die aufgrund mangelnder Kapazitäten nicht ausgebildet haben, auf das Modell der Verbundausbildung zurückgreifen. Das heißt: Ein Betrieb, der nicht über bestimmte Maschinen verfügt, sendet seine Auszubildenden an außer- oder überbetriebliche Einrichtungen, wo diese Ausbildungsmittel bereitstehen. Finden drittens junge Menschen keinen passenden betrieblichen Ausbildungsplatz, wird ihnen ermöglicht, ihre Ausbildung in einer außerbetrieblichen Einrichtung zu beginnen. Der Ausbildungsträger kooperiert mit Betrieben in der Umgebung, in denen die Auszubildenden Praxisphasen absolvieren. Zudem besuchen die Auszubildenden eine berufliche Schule, wo sie gemeinsam mit betrieblichen Auszubildenden lernen.

Ziel ist es jedoch, die Auszubildenden so schnell wie möglich an einen Betrieb zu vermitteln, um dort ihre Ausbildung fortführen zu können. „Es gilt, Brüche in der Bildungsbiographie zu vermeiden und Perspektiven aufzuzeigen“, sagt Gewerkschaftssekretärin Nadine Schroer-Krug. „Die Unsicherheit, die einige junge Menschen nach Abschluss ihrer schulischen Laufbahn spüren, kann sich durch ihr weiteres Leben ziehen. Umso wichtiger ist es, zunächst durch eine garantierte Ausbildung Halt zu geben.“

„Die Ausbildungsgarantie ist für uns nur in Verbindung mit einer Umlagefinanzierung über einen Zukunftsfonds vorstellbar“, erklärt Stefanie Holtz, Bundesjugendsekretärin der IG Metall. Aus diesem Fonds, in den alle Unternehmen einzahlen, erhalten Betriebe, die ausbilden, eine finanzielle Förderung der Ausbildungskosten. Aus den weiteren eingezahlten Geldern wird die Bereitstellung zusätzlicher Ausbildungsplätze finanziert, also Kosten, die bei den außerbetrieblichen Trägern und deren Kooperationspartnern entstehen. „Die Umlagefinanzierung bietet den Betrieben einen zusätzlichen Anreiz, die Anzahl der Ausbildungsplätze zu erhöhen.“

Der Vorstoß der gewerkschaftlichen Jugendverbände stößt bei den Arbeitgeber*innen auf Skepsis bzw. auf Ablehnung. Eine staatliche Garantie verleite die Jugendlichen „zu Passivität“ und leiste „einer Anspruchshaltung“ Vorschub, tönt aus deren Verbänden. Alexander Burstedde vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) bringt es auf den Punkt: „Ausbilden kostet am Ende des Tages Geld”- jedes Unternehmen müsse daher freiwillig entscheiden, ob „es eine duale Ausbildung anbieten möchte“. Es sind gerade solche Positionen, die die Einrichtung „umlagefinanzierter Zukunftsfonds“ dringend notwendig machen, damit alle Unternehmen – vor allem diejenigen, die bisher nicht ausbilden – zur Verantwortung gezogen werden.

Autoren: Otto König, ehemaliger 1. Bevollmächtigter der IG Metall (Hattingen) und Richard Detje, Mitarbeiter der Zeitschrift Sozialismus (Hamburg)

Anmerkungen

(1) DGB-Jugend „Sonderstudie zu den Auswirkungen der Corona-Krise auf die duale Berufsausbildung“ Die repräsentative Befragung wurde vom Institut für sozialpädagogische Forschung Mainz (ISM) zwischen Februar und März 2021 durchgeführt. Befragt wurden 1035 Auszubildende.

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