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„Grundstein enthüllt“

„Der Grundstein ist gelegt. Nun muss das Haus ‚Beschäftigungsgesellschaft‘ von allen Beteiligten aufgebaut werden“, sagte der damalige Betriebsratsvorsitzende Rolf Bäcker am 19. August 1987 vor der Hütte in Hattingen. Gemeinsam mit dem ehemaligen NRW-Arbeitsminister Hermann Heinemann enthüllte er den „Grundstein“ für die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen auf der Henrichhsütte. Heinemann betonte in seiner Ansprache vor 30 Jahren, dass alle Denkmodelle wie z.B. die „IG Metall-Konzeption für eine Beschäftigungsgesellschaft“, mit denen Arbeitsplätze gesichert und geschaffen werden können, sorgfältig geprüft werden müssen.

Zuvor – am 23 Juni – hatte der Aufsichtsrat der Thyssen Stahl AG das Daumen über den Hattinger Stahlstandort gesenkt und das „Aus“ für die Henrichshütte beschlossen. „Nach dem ersten Schock planen die Stahlarbeiter weitere Aktionen gegen Massenentlassungen“, schrieb Tage später die Süddeutsche Zeitung. Nachdem feststand, dass die Stahlarbeiter bereit waren, den Widerstand fortzuführen, hieß das neue Kampfziel: Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen durch den Thyssen Konzern auf dem Werksgelände der Henrichshütte in Hattingen.

 

Ansprache des Arbeitsministers Hermann Heinemann anlässlich der Grundsteinlegung

 

IG Metall-Konzept „Beschäftigungsgesellschaft Stahl“

Grundlage dafür war das IG Metall-Konzept „Beschäftigungsgesellschaft Stahl“, das von Heinz Bierbaum und Nico Schmidt aus der Wirtschaftsabteilung in der Frankfurter IG Metall-Zentrale mit den örtlichen Hauptamtlichen der IG Metall Hattingen entwickelt worden war. Die „Beschäftigungsgesellschaft“ sollte als Tochtergesellschaft der Thyssen Stahl AG gegründet werden. Die Sicherung der von der Kündigung bedrohten Arbeitsverhältnisse und der Einkommen der Beschäftigten der Henrichshütte sollte durch den Eintritt der „Beschäftigungs-gesellschaft“ in die mit dem Unternehmen weiterbestehenden Arbeitsverhältnisse erfolgen.

Gleichzeitig sollte die „Beschäftigungsgesellschaft Thyssen Henrichshütte“ unter Nutzung der Ressourcen des Thyssen-Konzerns neue Beschäftigungsmöglichkeiten am Standort Hattingen schaffen. „Die konzeptionelle Arbeit auf der betrieblichen Ebene wollten wir mit einer regionalen, arbeitsorientierten Beschäftigungs- und Strukturpolitik verbinden“, sagte der ehemalige Hattinger IGM Bevollmächtige. Angedacht war die Schaffung einer „Entwicklungsgesellschaft Ruhr“ auf der Basis des von der NRW-Landesregierung verabschiedeten „Programms für Zukunftsinvestitionen in den Montanrevieren“.  ZIM enthielt für die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen zwei zentrale Komponenten: Eine erhebliche Ausweitung öffentlicher Investitionen für qualitatives Wachstum und die gezielte Technologieförderung auf den Feldern wie Umwelttechnik, Verkehrstechnik und Techniken für Altlastensanierung.

Thyssen-Konzern bricht Zusagen

Anfang Oktober 1987 verständigten sich in der Bundeshauptstadt Bonn die Bundesregierung, die Stahlindustrie und die IG Metall auf Basis der „Frankfurter Vereinbarung“ vom Juni des Jahres auf 600 Millionen DM öffentliche Hilfe (Bund, Länder und EU-Mittel). Die Konzerne verpflichteten sich, bis Ende 1989 keine „betriebsbedingten Kündigungen“ auszusprechen: Frühpensionierungen über Sozialpläne, konzerninterne Ver- und Umsetzungen, „freiwilliges“ Ausscheiden mit Abfindungen und neue Arbeitsplätze sollten die Stahlarbeiter vor dem Schicksal bewahren, sich in das Heer der Dauerarbeitslosen einzureihen.

Die Hattinger Stahlarbeiter hatten mit ihren vielfältigen Aktionen die Massenentlassungen vom Tisch gefegt, doch nun verweigerte sich der Thyssen-Konzern weiteren Gesprächen über die Umsetzung des Konzepts zur Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen. Mit der Bonner Einigung war von den Unternehmen der Druck genommen. Sie bekamen öffentliche Mittel zur Vernichtung tausender Arbeitsplätze in Hattingen, Oberhausen, Osnabrück und später in Rheinhausen. Die Thyssen-Bosse ließen durch ihren Pressesprecher Dreesbach arrogant verkünden: „Es steht nirgendwo, dass wir uns zur Umsetzung der Kriwet-Steinkühler Vereinbarung verpflichtet haben“. Damit entledigten sich die Stahlkonzerne dem lästigen Thema „Beschäftigungsgesellschaft“, d.h. aus der Verantwortung etwas Neues zu schaffen.

Von der „Beschäftigungsgesellschaft“ zur „Transfergesellschaft“

Das in Hattingen entwickelte Konzept der Beschäftigungsgesellschaft kam wenige Jahre später als arbeitsmarktpolitisches Instrument bei der Bewältigung des massiven Arbeitsplatzabbaus in den Betrieben der ehemaligen DDR bzw. neuen Bundesländer als „Qualifizierungs- und Beschäftigungsgesellschaft“ zur Anwendung. Die nun angewandte Konzeption wurde jedoch um die Komponenten Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen und regionale Strukturpolitik entkernt. Im Vordergrund stand die „Qualifizierung“ der von Arbeitslosigkeit Betroffenen bzw. ihre Tätigkeit in sogenannten „Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen“.

Diese ABM- und Qualifizierungsansätze wurden Ende der 1990er Jahre als Bestandteil des SGB III zum Beschäftigtentransfer weiterentwickelt. Die zu Beginn darin noch enthaltene zweijährige Förderung durch Struktur-Kurzarbeitergeld wurde jedoch im Zuge des Sozialabbaus infolge von Hartz-IV als Transfer-KuG auf ein Jahr begrenzt. Für Betriebsräte und die IG Metall sind heute die Transfergesellschaften in der Metall- und Elektroindustrie ein wichtiges Instrument geworden, um Arbeitsplatzabbau sozial zu bewältigen –  als Brücke in die Rente oder durch Qualifizierung in neue Beschäftigung.

 

Fotos: IGM GH Archiv

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