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„Gürtel enger schnallen?“

Ein Ende der Preistreiberei bei Energie, Rohstoffen und Lebensmitteln fordert die IG Metall

Fast täglich gibt es Meldungen über drastische Preiserhöhungen. Gleichzeitig kommen aus der politischen Blase in Berlin zynische Vorschläge von wegen es sei an der Zeit „den Gürtel enger zu schnallen“. Der Wohlstand habe seinen Höhepunkt erreicht. Man werde sich künftig nicht mehr alles leisten können, so die trivialen Botschaften.

Es empfiehlt sich genauer hinzuschauen, wer den Gürtel wie viel enger schnallen muss. Schon in der Corona-Krise hatte sich die soziale Lage verschärft. Auch jetzt leiden wieder Familien mit niedrigem Einkommen, Bezieher*innen von Transferleistungen sowie Rentner*innen am meisten unter der hohen Inflation.  Etwa jeder siebte Erwachsene in Deutschland (15,2%) kann nach eigenen Angaben kaum noch seine Lebenshaltungskosten bestreiten, wie eine aktuelle YouGov-Umfrage im Auftrag der zum Deutsche-Bank-Konzern gehörenden Postbank ergab.

In Folge der wirtschaftlichen Verwerfungen durch die Corona- Pandemie und die damit einhergehenden Störungen in den Lieferketten  sowie erste Auswirkungen des Krieges in der Ukraine stiegen die Verbraucherpreise für alle Haushalte im März so stark wie seit rund 40 Jahren nicht mehr. Der Preisanstieg hat sich zuletzt nicht nur bei den Preistreibern der Vormonate, Haushaltsenergie und Kraftstoffen, sondern  auch bei Nahrungsmitteln spürbar beschleunigt. Die Nahrungsmittel verteuerten sich nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im März um 6,2 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Besonders stark stiegen dabei mit 17,2 Prozent die Preise für Speisefette und Speiseöle sowie mit 14,8 Prozent für frisches Gemüse.

Eine Studie (1) des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zeigt: Die aktuell stärksten Preistreiber – Haushaltsenergie, Kraftstoffe und Lebensmittel – schlagen unterschiedlich durch. Je geringer das Einkommen und je größer die Familie, desto stärker sind Haushalte von der Inflation betroffen. Am höchsten ist die individuelle Inflationsrate bei der Familie mit zwei Kindern und niedrigem Einkommen mit 7,9 Prozent. Bei etwas höherem Einkommen sind es 7,4 Prozent, bei einem Paar ohne Kinder 7,2 Prozent. Bei einer Alleinerziehenden mit einem Kind bewegt sich die Teuerungsrate mit 7,4 Prozent etwa auf dem Niveau der allgemeinen Preissteigerung von 7,3 Prozent. Für Singles stiegen die Preise im März weniger stark als beim Durchschnitt, am besten kamen sehr gut verdienende Singles mit einer Inflationsrate von 6,0 Prozent weg.

Daraus lässt sich schlussfolgern, dass Haushalte mit geringeren Einkommen durch den Preisanstieg bei Haushaltsenergie überproportional belastet sind und auch die Verteuerung der Nahrungsmittel stärker spüren, schreiben die Autoren der Studie, Silke Tober und Sebastian Dullien. Sie erwarten, dass sich dieser Trend noch verschärft. Denn noch seien nicht alle Preissteigerungen von Haushaltsenergie im Großhandel an die Privathaushalte weitergegeben worden, zudem seien inzwischen die Preise für Nahrungsmittel auf den Weltmärkten noch weiter kräftig gestiegen.

Eine fortgesetzte Preisexplosion bei der Haushaltsenergie werde gerade ärmere Alleinstehende empfindlich treffen. Hinzu kommt: Grundsätzlich haben Haushalte mit niedrigem Einkommen ein besonderes Problem mit starker Teuerung, weil sie vor allem unverzichtbare Alltagsgüter kaufen und kaum Spielräume besitzen, ihr Konsumniveau etwa durch Rückgriff auf Erspartes aufrechtzuerhalten.

Das von der Bundesregierung im März beschlossene Hilfspaket von 16 Milliarden Euro zielt fast ausschließlich auf die hohen Energiepreise ab. Das Entlastungspaket für den Ausgleich sieht u.a. vor:

  • Alle einkommensteuerpflichtigen Erwerbstätigen sollen einmalig eine Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro als Zuschuss zum Gehalt ausgezahlt bekommen. Nach aktuellem Stand muss die Pauschale allerdings versteuert werden.
  • Befristet für drei Monate soll die Energiesteuer auf Kraftstoffe auf das europäische Mindestmaß abgesenkt werden, um vor allem Pendler und Firmen zu entlasten. Der Benzinpreis sinkt damit um 30 Cent je Liter, Diesel um 14 Cent je Liter.
  • Bundesweit soll für 90 Tage ein Ticket für 9 Euro pro Monat für den Öffentlichen Personennahverkehr eingeführt werden. Die Länder sollen dafür entsprechende Mittel bekommen.
  • Zur Abfederung besonderer Härten für Familien soll schnellstmöglich für jedes Kind – ergänzend zum Kindergeld – eine Einmalzahlung in Höhe von 100 Euro über die Familienkassen erfolgen. Der Bonus wird auf den Kinderfreibetrag angerechnet.
  • Die bereits beschlossene Einmalzahlung von 100 Euro für Empfänger*innen von Sozialleistungen soll um 100 Euro pro Person erhöht werden. Außerdem sei angesichts der aktuellen Energiepreise davon auszugehen, dass die Regelbedarfe zum 1. Januar 2023 angemessen erhöht werden.

Doch das allein reicht nicht aus. Deshalb fordern mehr als 8000 Betriebsräte die rund 2,4 Millionen Beschäftigte in über 3600 Betrieben vertreten, zusammen mit der IG Metall, die Steuern auf Strom und Gas befristet zu senken sowie den Gaspreis bis zu einem Verbrauch von 8 000 Kilowattstunden zu deckeln. Darüber hinaus solle der steuerliche Grundfreibetrag auf 12 800 Euro steigen. Dies helfe Haushalten mit geringen und mittleren Einkommen. Zudem solle ein sozial gerechtes Mobilitätsgeld eingeführt werden. IG-Metall-Chef Jörg Hofmann verlangte ein Ende der „Preistreiberei bei Energie, Rohstoffen und Lebensmitteln“.

Immer mehr Menschen hätten inzwischen die Grenze ihrer finanziellen Belastbarkeit erreicht, sagte die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele. Die Preise für Energie sowie Lebensmittel steigen rasant – und der Staat verdiene über die Mehrwertsteuer an der Inflation, da sie prozentual erhoben werde, gehe sie mit den Preisen nach oben. „Der VdK fordert deshalb, die Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel drastisch zu senken, und zwar auf null Prozent“, so Bentele. Eine erst vor zwei Wochen in Kraft getretene „EU-Mehrwertsteuersystemrichtlinie“ mache es möglich, für bestimmte Produktgruppen – darunter auch Lebensmittel – diese Steuer komplett zu streichen.

Aber auch der Entwicklung der Löhne kommt in den nächsten Wochen und Monaten eine wichtige Rolle zu. Denn die Einkommen können mit der allgemeinen Teuerung kaum schritthalten«, analysierte Postbank-Chefvolkswirt Marco Bargel. „Während die Löhne und Gehälter in Deutschland im Vorjahresvergleich zuletzt um 3,6% gestiegen sind, erhöhten sich die Lebenshaltungskosten um 7,3%. Vom Realeinkommensverlust sind auch Haushalte mit einem mittleren Einkommen betroffen.“

Niedrige Löhne sind für den einzelnen Arbeitgeber möglicherweise gut, für eine gesamte Volkswirtschaft sind sie Gift. Die hohen Inflationsraten sind nicht nur ein individuelles Problem für die Beschäftigten. Wenn immer mehr Geld für Energie und Nahrungsmittel ausgegeben werden muss, dann fehlt es an anderer Stelle. Die Menschen müssen sich wohl oder übel einschränken mit der Folge, dass der private Konsum, der in der Vergangenheit meist die Konjunktur stützte, einbricht  Als Nächstes ist dann die Wirtschaft als Ganzes dran, es droht eine handfeste Rezession.

Deshalb fordert der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, Lohnanpassungen als Ausgleich für die stark gestiegenen Preise. Das sei wichtig, „damit der Konsum weiterhin aufrechterhalten werden kann“, sagte Fratzscher  im Deutschlandfunk. „Denn wenn das nicht passiert, dann werden die Unternehmen Schwierigkeiten bekommen, die Arbeitslosigkeit wird steigen, und dann kommen wir in eine Spirale aus immer schwächerem Wachstum und hoher Inflation „, führte der Ökonom aus. Forderungen nach einer Zurückhaltung von Beschäftigten in den Tarifrunden wies der DIW-Präsident zurück. Lohnerhöhungen und die anstehende Anhebung des Mindestlohns seien die besten Maßnahmen, um Menschen schnell und unbürokratisch zu helfen.

Die Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie (M+E) im Herbst im Visier weist der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann Forderungen aus dem Arbeitgeber*innenlager nach Zurückhaltung zurück und erklärt Einmalzahlungen zum „No-Go“. Lohnpolitisch müsse auf die gestiegene Inflation reagiert werden, bekräftigte er.

Autor: Otto König

(1) Sebastian Dullien, Silke Tobe, IMK INFLATIONSMONITOR Hohe Unterschiede bei haushaltsspezifischen Inflationsraten, IMK Policy-Brief 121 – April 2022

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