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Hände hoch für den Mietenstopp

DGB: Wohnungspolitische Kehrtwende notwendig.

Die Wohnungsmisere ist groß. Seit Jahren steigen die Mieten. Immobilien- und Baulandpreise gehen durch die Decke und immer mehr Menschen müssen einen großen Teil ihres Einkommens für die Miete aufwenden. Doch viele politisch Verantwortliche haben den Ernst der Lage immer noch nicht begriffen. Um ihnen auf die Sprünge zu helfen, fand Mitte Juni in über 65 Städten ein bundesweiter Aktionstag statt – Motto: „Es ist 5 vor 12. Hände hoch für den Mietenstopp!“ 

Die „Mietenstoppkampagne“ wird von 130 Initiativen und Organisationen – darunter dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und dem Deutschen Mieterbund – getragen. Alle vereint ein Ziel: Die nächste Bundesregierung muss aktiv werden und den Mieter*innen durch einen sechsjährigen Mietenstopp eine Atempause verschaffen. In dieser Atempause müssen neue, bezahlbare Wohnungen gebaut werden. Dazu ist eine Ausweitung der Fördermittel für den sozialen Wohnungsbau, eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit und ein soziales Bodenrecht erforderlich. Die Kommunen müssen Investoren bei Neubauprojekten stärker auf das Gemeinwohl verpflichten. Bund, Länder und Kommunen müssen sich wieder verstärkt ihrer Verantwortung als Anbieter günstiger, öffentlicher Wohnungen bewusst werden. (1)

Viele Haushalte müssen heute schon mehr als die Hälfte ihres Einkommens für die Miete aufbringen und die Angst vor der nächsten Mieterhöhung steigt. Gerade die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie verschärfen die Angst der Menschen, die eigene Wohnung zu verlieren, weil sie aufgrund von Einkommensausfällen nicht mehr in der Lage sind, ihre monatlichen Mietzahlungen oder Tilgungsraten ihrer Immobiliendarlehen zu zahlen. Gründe dafür sind Gehaltseinbußen aufgrund der massiven Ausweitung der Kurzarbeit, der Arbeitslosenzahlen sowie weggefallener Mini-Jobs, insbesondere in der Gastronomie.

49,2 Prozent der rund 8,4 Millionen Haushalte, die in Deutschlands Großstädten zur Miete wohnen, müssen mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens ausgeben, um ihre Miete (bruttowarm) zu bezahlen. Das entspricht mehr als 4,1 Millionen Haushalten, in denen etwa 6,5 Millionen Menschen leben. Das ergibt eine neue, von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie. (2) Bei Sozialwissenschaftlern wie bei Immobilienexperten gilt eine Mietbelastungsquote oberhalb von 30 Prozent des Haushaltseinkommens insbesondere bei Haushalten mit niedrigerem Einkommen als problematisch, weil dann nur noch wenig Geld zur sonstigen Lebensführung bleibt. Doch der „Mietenwahnsinn“ ist längst nicht nur auf städtische Ballungsräume begrenzt, mittlerweile hat er auch ländliche Regionen erreicht. 

Für Beschäftigte mit geringen und mittleren Gehältern auf Dauer ein untragbarer Zustand. Obwohl sie im Schnitt spürbar weniger Wohnraum in älteren und schlechter ausgestatteten Wohnungen zur Verfügung haben, müssen Mieter*innen mit geringen Einkommen einen überdurchschnittlichen Anteil davon für die Bruttowarmmiete aufwenden: In Haushalten an der Armutsgrenze, die maximal 60 Prozent des mittleren (Median-) Einkommens aller Großstädter*innen zur Verfügung haben, beträgt die Mietbelastung im Mittel rund 46 Prozent. Dagegen müssen Mieterhaushalte mit einem hohen Einkommen von mehr als 140 Prozent des Medians im Mittel lediglich knapp 20 Prozent für die Warmmiete ausgeben, so das Forschungsteam um den Stadtsoziologen Dr. Andrej Holm.

Um die Wohnungsmisere zu lösen, ist eine wohnungspolitische Kehrtwende und Maßnahmen in den Kommunen, den Ländern und dem Bund notwendig. „Die drei Bereiche Bodenpolitik, Wohnungsbaupolitik und Mietenpolitik müssen gleichermaßen in den Blick genommen werden. Kurzfristige Maßnahmen wie ein bundesweiter Mietenstopp müssen mit dem Aufbau eines gemeinnützigen Wohnungssektors und der Rekommunalisierung von Grund und Boden einhergehen“, sagte auch der 2. Bevollmächtigte der IG Metall Ennepe-Ruhr-Wupper Mathias Hillbrandt.

Das Verbändebündnis „soziales Wohnen“ fordert den Bau von mindestens 80.000 neuen Sozialmietwohnungen und die Sicherung von weiteren 75.000 Bestandswohnungen durch Modernisierung und Ankauf von Belegrechten, um bis zum Jahr 2030 den Bestand an Sozialmietwohnungen wieder auf über zwei Mio. Sozialmietwohnungen zu erhöhen. Diese Investitionsoffensive in Sachen sozialer Wohnungsbau mit einem jährlichen zusätzlichen Finanzvolumen von 6,9 Mrd. Euro (69 Mrd. Euro über 10 Jahre) wird aber nur gelingen, wenn das von den Kommunen dafür zur Verfügung zu stellende Bauland einen Preis bis maximal 300 Euro pro Quadratmeter Bauland nicht überschreitet.

Doch durch den Neubau von Wohnungen allein wird das Problem der ständig steigenden Mieten und der Verdrängung von Menschen aus ihren Quartieren, weil sie sich die Mieten nicht mehr leisten können, nicht gelöst werden. Weitere Maßnahmen sind erforderlich:

  • Eine Mietpreisbremse, die wirklich bremst. Durch die Einführung eines Mietendeckels, bei dem die Mieten über einen Zeitraum von z.B. fünf Jahren nicht oder nur mäßig angehoben werden dürfen, könnte die Lage der Mieter*innen sehr schnell verbessert werden.
  • Eine gründliche Renovierung der Regelungen des Mietenspiegels. Es muss ausgeschlossen werden, dass die Neuvertragsmieten voll auf den Mietspiegel durchschlagen.
  • Eine Grundsteuerreform, die ihren Namen verdient, mit Ausschluss der Möglichkeit der Überwälzung auf die Mieter*innen.
  • Wiedereinführung der Vermögenssteuer, die den Bundesländern weitere Ressourcen für eine soziale Wohnungspolitik erschließt.
  • Anpassung der Obergrenzen für den Bezug von Wohngeld.
  • Maßnahmen zur Bekämpfung der Immobilienspekulation.

Um die Situation zu verbessern, empfiehlt der Stadtsoziologe Holm einen mehrgleisigen Ansatz: Neben mietrechtlichen Instrumenten zum Schutz der bestehenden Mietpreise und dem Ausbau von Belegungsbindungen für Haushalte mit geringen Einkommen sollte der soziale und gemeinnützige Wohnungsbau mit möglichst dauerhaften Mietbindungen erheblich gestärkt werden. Ein weiterer entscheidender Schlüssel zu einer sozialen Wohnversorgung ist die Einkommenssituation der Mieter*innen. Ohne wirksame Maßnahmen zur Auflösung des weit verbreiteten Niedriglohnsektors sei eine soziale Wohnversorgung in den Großstädten nicht zu gewährleisten, so der Forscher.  

Fakt ist: Die Kontroverse um Wohnungs- und Mietenpolitik wird die Bundestagswahl am 26. September beeinflussen. Zurecht: Denn wohnen ist ein Grundrecht und darf kein Luxus sein.

Also: Wahlprogramme prüfen. Wählen gehen. Das richtige Kreuz setzen. 

Anmerkungen

(1)Dialogbroschüre: „Bezahlbar ist die halbe Miete“ (PDF, 2 MB) Gewerkschaftliche Positionen für eine soziale und nachhaltige Wohnungspolitik. 

(2)Andrej Holm, Valentin Regnault, Max Sprengholz, Meret Stephan: Die Verfestigung sozialer Wohnungsprobleme. Entwicklung der Wohnverhältnisse und der sozialen Wohnversorgung von 2006 bis 2018 in 77 deutschen Großstädten. Working Paper der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 217, Juni 2021                                                                                                          

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