Home-Office als „Covid-19-Blocker“

Arbeitsministerium: SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung erlassen
Während für den privaten Bereich verschärfte Regeln mit strengen Kontaktbeschränkungen gelten und Schulen und Kitas geschlossen sind, treffen in Deutschland Millionen Menschen Tag für Tag am Arbeitsplatz aufeinander. Dennoch blieb es in der Arbeitswelt lange bei Appellen an die Unternehmen, freiwillig mehr Beschäftigten das Arbeiten von Zuhause aus zu ermöglichen.
Ende Oktober forderten Bund und Länder die Unternehmen „eindringlich“ auf, Homeoffice zu ermöglichen. Doch im November gaben dann in einer Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung 14 Prozent der Erwerbstätigen an, zu Hause zu arbeiten – und damit viel weniger als im ersten Lockdown im April, als es 27 Prozent waren. Nachdem im Herbst die Infektionszahlen erneut nach oben geschossen sind, hat Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) die Forderung der DGB-Gewerkschaften nach „Recht auf Home-Office“ aufgegriffen, er scheiterte jedoch am Widerstand der Allianz von CDU/CSU mit Arbeitgeberverbänden.
Danach drehte sich die öffentliche Debatte: Das Homeoffice soll nun „Covid-19-Blocker“ werden.

Natürlich ist Arbeiten am heimischen Schreib-/Wohnzimmer- oder Küchentisch keine unproblematische Angelegenheit, doch in der aktuellen Situation spricht einiges dafür. Denn wo viele Menschen auf engem Raum zusammenkommen, ist das Risiko hoch und dass mit mehr Arbeit von Zuhause die Kontakte im Gemeinschafts- oder Großraumbüro und im öffentlichen Nahverkehr deutlich weniger werden, liegt auf der Hand. Eine Studie der Universität Mannheim kommt zu dem Schluss: „Ein Prozentpunkt mehr Arbeitnehmer*innen im Homeoffice kann die Infektionsrate um bis zu acht Prozent verringern.“
Am 27. Januar ist nun als Teil des Bund-Länder Maßnahmenpakets zur Eindämmung der Corona-Pandemie die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung (Corona-ArbSchV) in Kraft getreten. Darin werden die Arbeitgeber verpflichtet, befristet bis zum 15. März 2021 „soweit wie möglich, Homeoffice anzubieten“.
Das ist gut und richtig: Wer kann, sollte von der eigenen Wohnung aus arbeiten, so werden viele Kontakte vermieden. Chef*innen, die derzeit aus Prinzip auf eine Präsenzkultur pochen, obwohl sich die Arbeit auch anders organisieren ließe, handeln deshalb unverantwortlich. So stellt das Bundesarbeitsministerium auf seiner Website klar, dass Beschäftigte sich im Konfliktfall an Betriebs- und Personalräte wenden müssen und zwischen den Betriebsparteien zwingend Vereinbarungen getroffen werden müssen.
Dort wo es keine Betriebsräte gibt, sollen individuelle Vereinbarungen getroffen werden.
Im Konfliktfall wird auch die Arbeitsschutzbehörde des jeweiligen Bundeslandes als Ansprechpartner genannt. Auf Verlangen der Behörde müsse der Arbeitgeber dann Gründe darlegen, weshalb Homeoffice nicht möglich sei.
Die Verordnung regelt leider keine grundsätzlichen Vorgaben wie beispielsweise zur Arbeitsausstattung durch die Arbeitgeber, zur Übernahme zusätzlicher Kosten oder zum Unfallversicherungsschutz. Es fehlen Regeln, die die Bedingungen für die Arbeit im Homeoffice definieren und damit sichere und gesunde Arbeit im Homeoffice sicherstellen. Verbindliche Standards sind nach Auffassung der Gewerkschaften jedoch notwendig, denn ungeregelte mobile Arbeit geht zu Lasten der Beschäftigten – ihrer Arbeitssicherheit und Gesundheit. Die Gewerkschaften fordern schon länger vom Gesetzgeber, einen dauerhaften Ordnungsrahmen für mobiles Arbeiten zu schaffen. In diesem Ordnungsrahmen müssen Aspekte wie individuelles Recht auf Homeoffice, Stärkung der Mitbestimmung, Regelung zur Einhaltung der Arbeitszeiten und zum Arbeitsschutz, Datenschutz und Unfallversicherungsschutz sowie die Möglichkeiten zur Kommunikation mit Betriebsräten und Gewerkschaften geregelt werden. Um für die Region einen Überblick zu den Homeoffice-Bedingungen zu erhalten und die Belange der davon betroffenen Beschäftigten in zukünftige Regelungen einzubinden, führt die IG Metall Ennepe-Ruhr-Wupper derzeit mit einigen Betriebsratsgremien Online-Befragungen zum Homeoffice durch.
Die Ergebnisse des bundesweiten DGB-Reports „Gute Arbeit“ zeigen schon jetzt einen Trend. Beschäftigte, die mobil arbeiten verfügen zwar über vergleichsweise größere Handlungsspielräume bei der Planung und Einteilung ihrer Arbeit sowie der Gestaltung der Arbeitszeit. Gleichzeitig aber haben sie durchschnittlich höhere Belastungen, vor allem durch überlange Arbeitszeiten sowie verkürzte Ruhezeiten. „Wir erleben aktuell, dass Arbeitszeiten im Homeoffice in der Regel überhaupt nicht erfasst werden«, so der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann. Dabei würden schon heute jährlich eine Milliarde unbezahlte Überstunden in Deutschland geleistet. Der Trend zum „Lohndiebstahl“ werde noch verstärkt, „wenn es keine vernünftigen Regeln für die digitale Arbeitswelt gibt“. mahnt aber Vorkehrungen an, um massenhaften »Lohndiebstahl« zu unterbinden
Richtig und wichtig ist, dass die Verordnung keine Homeoffice-Pflicht für die Beschäftigten regelt – denn niemand darf gezwungen werden, von Zuhause aus zu arbeiten. Letzteres wollen die Gewerkschaften vermeiden, da Heimarbeit je nach Wohnsituation belastend bis unmöglich sein kann: Viele Kolleg*innen, die mobil arbeiten, müssen stark improvisieren, weil sie in ihrer Wohnung weder den geforderten Platz noch die erforderliche Ausstattung haben. Und: Arbeit ist immer auch ein Stück Identifikation und Kommunikation unter Kolleg*innen, in der Kaffeepause, beim Mittagessen. Das fällt beim Homeoffice ersteinmal weg und das geht zu Lasten von Kreativität und Innovationspotenzialen. Zudem ist Homeoffice mit Kinderbetreuung kein Weg zur Gleichstellung der Geschlechter, sondern kann die Emanzipationsbestrebungen um Jahre zurückwerfen kann, weil die Doppelbelastung Arbeit und Familie wieder bei den Frauen hängen bleibt.
Es verwundert nicht, dass die aktuelle SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung vor allem im Arbeitgeberlager auf Kritik gestoßen ist. Die beschlossenen Vorgaben für mehr Homeoffice nannte der Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer, Oliver Zander, als „inakzeptabel“. Zuvor polemisierte der BDI-Präsident Siegfried Russwurm in der Tagesschau: „Schweißen aus dem Homeoffice hat noch niemand erfunden.“ Einen solchen Nonsens hat auch niemand gefordert. In der Neuen Osnabrücker Zeitung behauptete Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf nur „zwei bis vier Prozent“ aller Corona-Infektionen würden sich in Industriebetrieben ereignen.
Diese hanebüchenen Argumentationen sprechen nicht gerade dafür, dass für die Arbeitgeber „die Gesundheit der Beschäftigten über allem steht“. Tatsächlich gibt es zum Infektionsgeschehen am Arbeitsplatz kaum belastbare Daten, da sie von den Gesundheitsämter nicht erhoben werden.
Anders als bei den größeren Corona-Ausbrüchen in mehreren deutschen Schlachthöfen im Jahr 2020 dringt über das Infektionsgeschehen in Betrieben in der Industrie- und in den Dienstleistungsbereichen wenig an die Öffentlichkeit. Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di berichtete Ende November, dass im Amazon-Versandzentrum Graben bei Augsburg von insgesamt 1.800 Beschäftigten rund 300 an Covid-19 erkrankt waren. Von weiteren Amazon-Standorten wurden ähnlich hohe Infektionszahlen gemeldet.
Solche dramatischen Berichte sind aus der Industrie bisher nicht bekannt. Aber eine vom Virus verschonte Zone, wie Gesamtmetall-Präsident Wolf suggeriert, ist sie auch nicht: Beispielhaft ist der Fall des Flugzeugherstellers Airbus in Hamburg, wo es Anfang des Jahres einen Corona-Ausbruch gegeben hat. Laut Gesundheitsbehörden wurden insgesamt 21 Beschäftigte positiv getestet, danach wurden für rund 500 Arbeitnehmer*innen Quarantäne angeordnet. (Spiegel.de 25.01.2021)
Die Corona-ArbSch-Verordnung verschärft zudem die Regeln für den Infektionsschutz am Arbeitsplatz. Die Beschäftigtenzahl in geschlossenen Räumen wird begrenzt. Wenn mehrere Menschen in einem Raum arbeiten, muss es mindestens zehn Quadratmeter Platz für jeden geben. Wenn das wegen der Arbeitsabläufe nicht möglich ist, muss der Arbeitgeber „durch andere geeignete Schutzmaßnahmen den gleichwertigen Schutz der Beschäftigten“ sicherstellen, heißt es in der Verordnung. Das könnten zum Beispiel Trennwände sein. Wo auch das nicht umsetzbar ist oder Abstand nicht eingehalten werden kann, müssen Arbeitgeber „medizinische Gesichtsmasken“ oder FFP2-Masken stellen. Das gilt auch für „Tätigkeiten mit Gefährdung durch erhöhten Aerosolausstoß“, zum Beispiel da, wo wegen viel Lärm laut gesprochen werden muss. Die teilweise vagen Formulierungen können in der betrieblichen Umsetzung zu Konflikten führen.
Autor: Otto König