Im Spendensumpf

Am 26. Mai ist Europawahl und es steht viel auf dem Spiel. Es geht um Europa als Friedensprojekt, um Demokratie und soziale Sicherheit für die Menschen. Es geht konkret um entscheidende wirtschaftliche und soziale Fragen wie die Mitbestimmung der Arbeitnehmer, um faire soziale Standards bei der Entlohnung und den Arbeitsbedingungen: Obwohl die EU oft unübersichtlich, widersprüchlich und frustrierend erscheint, lohnt es sich – für Arbeitnehmer*innen mehr denn je, am 26. Mai für eine sozialere Politik zu stimmen.
Als „Kumpel für Europa“ biedert sich der Essener Guido Reil auf Wahlplakaten nicht nur im Ruhrgebiet den Wählern an. Doch wer soll ihm eigentlich glauben? Der Spitzenkandidat der AFD für die Europawahl und sein stellvertretender Parteivorsitzender Jörg Meuthen stecken in einer Spendenaffäre, die immer dubioser wird. Fraktionschefin Alice Weidel versteckt sich in ihrem eigenen Spendensumpf. Und alle tun so, als habe das nichts mit ihnen zu tun.
Aus dem Bundestag heraus verbreiten AFD-Politiker ihre eigenen Wahrheiten vor allem in sozialen Medien, so können sie Verschwörungstheorien und rassistische Beschimpfungen ihrer Mitbürger*innen mit migrantischem Hintergrund verankern. In den sechs Jahren seit der Gründung hat die AfD sich offenkundig an das Gefühl gewöhnt, dass sie sich fast alles leisten kann, mit fast allem durchkommt. Diese Methode stößt jedoch an Grenzen, wenn es nicht um die ergebene Gefolgschaft geht, sondern um Recht und Gesetz. So ist einfach nur peinlich, wie die AFD, die sich als Rechtsstaatspartei aufspielt, ihre eigenen Rechtsverstöße mit grotesken Tricks zu kaschieren versucht.
Die Spendenaffäre der AfD ist nicht nur eine inhaltliche, sondern auch eine teure Bankrotterklärung. Die Bundestagsverwaltung hat mittlerweile entschieden, dass die rechtslastige Partei wegen illegaler Parteispenden eine Strafe von insgesamt 402 900 Euro zahlen muss. Jörg Meuthen und das Bundesvorstandsmitglied Guido Reil hätten finanzielle Zuwendungen in Höhe von 89.800 und 44.500 Euro nicht annehmen dürfen, „da die Spender zum Zeitpunkt der Spendenannahme nicht feststellbar waren (§ 25 Absatz 2 Nummer 6 PartG). Aufgrund dieses Verstoßes gegen das Parteiengesetz entsteht gegen die AfD gemäß § 31c Satz 1 PartG ein Zahlungsanspruch in Höhe des Dreifachen der unzulässig angenommenen Spendenbeträge, somit in Höhe von 269.400 (Meuthen) beziehungsweise 133.500 Euro (Reil)“, heißt s in dem Bescheid der Bundestagsverwaltung.
Die Abteilung für Parteienfinanzierung in der Bundestagsverwaltung geht dem Vernehmen nach davon aus, dass Reil im Landtagswahlkampf 2017 in Nordrhein-Westfalen von illegaler Parteienfinanzierung durch die Schweizer Werbeagentur Goal AG profitiert hat – und zwar nicht durch direkte Geldzahlungen, sondern durch Sachleistungen. Es ging um Werbeplakate und Flyer im Wert von etwa 50 000 Euro, die ihm die Schweizer Agentur des Deutschen Alexander Segert für seinen Wahlkampf als Direktkandidat hatte zukommen lassen. Parteichef Meuthen hatte im Jahr zuvor in seinem Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg ebenfalls kostenlose Plakate, Flyer und eine Homepage für seinen persönlichen Wahlkampf von der Schweizer Agentur erhalten.
Reil und seine Kameraden werden nicht müde den anderen Parteien, die sie als „Altparteien“ oder „Systemparteien“ denunzieren, vorzuwerfen, nur an Macht und materiellem Wohlergehen interessiert zu sein. Der kritische Beobachter hat sich schon immer die Frage gestellt, woher all das viele Geld kommt, das die AfD für ihre Wahlkampfe aufwenden kann. Selbst verkaufte die Partei Gold, um eine Lücke im Parteienrecht zu ihrer Profitmaximierung auszunutzen, doch da diese Einnahmen nicht ausreichten, ließ sie sich die immer weiter nach rechts abdriftende Partei von den anonymen Spendern finanzieren und bekam darüber hinaus fragwürdige Spenden aus der Schweiz.
Nun ist die Schweiz für das Großkapital und den Geldadel ein sicherer Hafen. Die Republik in den Alpen bleibt trotz Lockerung des Steuergeheimnisses ein bevorzugter Ort der Superreichen. Auch die AFD, die sich selbst zur „Partei der kleinen Leute“ erklärt, hat eine innige Beziehung dorthin. Die sogenannte „Schweiz-Connection“ offenbart ein weiteres Kapitel in der endlosen Spendengeschichte der AfD und verweist erneut auf einen Milliardär als Geldgeber.
Zur Erinnerung: Alice Weidel hatte 2017 über die Schweizer Firma PWS Pharmawholesale International AG Geld erhalten, dieses jedoch nicht als Spende deklariert, sondern für den Wahlkampf genutzt und erst später zurückgezahlt, da es sich offensichtlich um eine illegale Parteispende handelte. Die AfD teilte der Bundestagsverwaltung mit, es seien 14 Einzelspenden und damit legale Zuwendungen gewesen, die Namen der Spender wurden an den Bundestag gesandt.
Der PWS-Geschäftsführer, der Züricher Drogist Kurt Häfliger, hat inzwischen eingeräumt, dass die 14 Namen auf der Liste nicht die wahren Spender seien. Offenbar wurde den auf der Liste vermerkten Personen bis zu 1.000 Euro dafür geboten, ihre Namen als Strohmänner für eine fiktive Spende herzugeben. Tatsächlich hat es nur einen Einzelspender gegeben und zwar den Milliardär Henning Conle. Die deutsch-schweizerische Familie Conle lebt seit vielen Jahren auch in der Schweiz, am schönen Zürichsee. Ihr Geld soll sie in der Nachkriegszeit mit Sozialwohnungen und öffentlichen Bauten, später zudem mit der Fluggesellschaft LTU gemacht haben. Ihr Vermögen wird laut SZ auf 1,3 Milliarden Schweizer Franken geschätzt.
Bei Meuthen führt der Weg des Geldes zur Schweizer PR-Firma Goal AG. Geleitet wird diese vom deutschen Staatsbürger Alexander Segert, einem Freund Meuthens. Von der Goal AG war die Werbekampagne – die mit den 90.000 Euro bezahlt wurde – geführt worden, mit der Meuthen in Baden-Württemberg 2016 in den Landtag einzog. Auch hier lautete die Behauptung, es handele sich tatsächlich um bis zu zehn Einzelspenden, die zwischen 6.000 und 9.000 Euro umfassten. Die AfD legte den zuständigen Behörden für die Überprüfung der Parteispenden eine Liste mit Namen vor. Jetzt kam ans Tageslicht, dass die Geldgeber für Meuthens Wahlkampf Strohmänner bezahlt haben sollen, um die wahren Spender zu vertuschen.
Nun sind historischen Vergleiche zum Aufstieg des Nationalsozialismus in den 30er Jahren nicht unproblematisch, dennoch: Der Künstler John Heartfield hat die großzügige Finanzierung der Nationalsozialisten durch mächtige Interessensgruppen mit seinem politischen Plakat „Sinn des Hitlergrußes“ karikiert, bei dem ein riesiger Anzugträger dem Führer Geldscheine in die zum Hitlergruß angewinkelte Hand streckt. Der „kleine Mann“ bitte um „große Gaben“, hieß es damals. Im Vergleich zu den 30er Jahren hat sich inzwischen etwas verändert: Die rechten Partei des „kleinen Mannes“ – die AFD – muss nicht mehr um Gaben bitten – sie wird, so die offizielle Version der Parteiführung, ganz ohne ihr Zutun mit geldwerten Zuwendungen und Gefälligkeiten überhäuft.
Foto: telepolis_eurofly