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Interview: IG Metall-Arbeit in der Coronakrise – „Gerade jetzt brauchen uns die Mitglieder“

Foto: Archiv
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Bis Mitte April haben rund 725.000 Betriebe bundesweit bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) Kurzarbeit angemeldet. Die Zahl der betroffenen Beschäftigten kann erst im Nachhinein nach der Abrechnung durch die Betriebe ermittelt werden. Auch in den Bezirken der Arbeitsagentur Hagen und Wuppertal sind die Zahlen nach oben geschossen, zum Teil um das drei- bis vierfache im Vergleich zur Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009. „Wir erleben eine Mischung aus Wirkungen der Corona-Pandemie, dem Strukturwandel und konjunkturellen Problemen in der Region“, so die beiden IG Metall-Bevollmächtigten Clarissa Bader und Mathias Hillbrandt im Interview mit der Redaktion Website.

Wie sieht es in der Region Ennepe-Ruhr-Wupper aus?        

Clarissa Bader: Auch in den Betrieben in unseren Branchen und unserem Geschäftsstellenbereich hat aufgrund der Coronakrise die Kurzarbeit zugenommen. Zum Teil haben die Firmen Schwierigkeiten bei der Teilzulieferung und/oder umgekehrt keine Abnehmer für ihre Produkte. Stark hat es die Automobil-Zuliefererbetriebe getroffen, nachdem die Automobilhersteller die Bänder stillgesetzt haben. Die im Maschinenbau angesiedelten Betriebe sind zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht so stark betroffen. Im Gegensatz dazu gibt es auch Bereiche in der Textilindustrie oder der verarbeitenden Textilindustrie in denen Mehrarbeit gefahren werden muss und die Menschen im Dauereinsatz sind. Insgesamt stellen wir aber fest, dass Stand heute mehr Betriebe Kurzarbeit verfahren als vor zehn Jahren in der Wirtschaftskrise 2008/2009.

Welche Auswirkungen hat das für die Beschäftigten?                                                                                     

Clarissa Bader: Sehr unterschiedlich. In Bereichen, wo es möglich ist, lassen Unternehmen Beschäftigte im Home-Office arbeiten. In der Produktion reicht die Spanne des Arbeitsausfalls von wenigen Tagen bis hin zu Kurzarbeit Null. Es gibt aber auch einige betriebliche Ausnahmen, bei denen es momentan noch rund läuft. Wir nehmen wahr, dass teilweise Arbeitszeiten und Schichten in Absprache mit den Betriebsräten auseinandergezogen werden, um präventiv der Ansteckungsgefahr vorzubeugen. Wir nehmen aber auch wahr, dass diese Krise in manchen Betrieben ohne Betriebsrat die Beschäftigten zunächst härter trifft, als bei denen mit Betriebsrat. Einseitige Festlegung der Kurzarbeit, Abmahnungen, fragwürdige Aushänge zum Umgang in der Corona Krise, das Streichen von Urlaub und Leistungen bis hin zu Kündigungen.

Die Auswirkungen sind über alle Lebens- und Arbeitsbereiche spürbar. Wir versuchen mit den Betriebsräten gemeinsam die negativen Auswirkungen auf die Beschäftigten bestmöglich abzufedern, im Besonderen der Arbeits- und Gesundheits- und Beschäftigungsschutz stehen für uns im Fokus.

Was sind derzeit die wichtigsten Fragen und Probleme der Beschäftigten?                                                    

Mathias Hillbrandt: Viele IG Metall-Mitglieder haben natürlich Fragen zur Kurzarbeit und rund um Corona. Zum Beispiel: Der Arbeitgeber hat uns heimgeschickt, wer zahlt jetzt? Denn wenn die Beschäftigten bei Kurzarbeit nur noch 60 Prozent ihres Nettoeinkommens – oder mit Kindern 67 Prozent – erhalten, kann das in den unteren Entgeltgruppen schnell existenziell werden. Denn diese Kolleginnen und Kollegen müssen trotzdem Miete zahlen und ihre Familien ernähren. Und eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes ist nur in manchen Betrieben geregelt. Teilweise erhalten die Beschäftigten zwar 80 Prozent und mehr ihres Nettoentgelts, in vielen Betrieben die es sich eigentlich leisten könnten weigern sich Arbeitgeber aber aufzustocken. Deshalb haben auch in unserem Geschäftsstellenbereich Betriebsräte die Bundestagsabgeordneten angeschrieben und aufgefordert, die Verordnung der Bundesregierung zur Kurzarbeit nachzubessern und die Arbeitgeber zur Aufstockung des Kurzarbeitergelds zu verpflichten. Die Last der Coronakrise darf nicht an den Arbeitnehmer*innen hängenbleiben. Die Anfragen zum Thema persönliche Schutzausrüstung, Arbeits- und Gesundheitsschutz und Verhalten am Arbeitsplatz häufen sich natürlich auch.

Die Hauptarbeit von hauptamtlichen Gewerkschafter*innen ist die Beratung und Unterstützung von Betriebsräten bei Verhandlungen, Wie organisiert ihr jetzt diese Arbeit?

Clarissa Bader: Das ist für uns alle tatsächlich eine Umstellung. Bei unserer Arbeit steht im Normalfall die direkte Beratung, das persönliche Gespräche mit unseren betrieblichen Funktionär*innen vor Ort im Mittelpunkt. Oder wir sitzen mit dem Betriebsrat und der Geschäftsführung am Tisch, wenn zum Beispiel der Abschluss einer Betriebsvereinbarung zu Kurzarbeit streitig ist. Heute läuft das alles über Telefongespräche und auch über Video-Konferenzen. So war ich beispielsweise beim Gussproduzenten Dieckerhoff bei den Verhandlungen live dazugeschaltet, während die Betriebsparteien in der Firma im gehörigen Abstand zueinander saßen.

Wie erhalten unsere IG Metall Mitglieder individuelle Beratung?                                                                         

Mathias Hillbrandt: Die individuelle Beratung unserer Mitglieder gehört auch in Zeiten der Coronakrise zu einer unserer Kernaufgaben. Gerade jetzt in der Corona-Krise brauchen uns unsere Mitglieder. Die Gewerkschaftssekretärinnen und Sachbearbeiterinnen unserer Geschäftsstelle arbeiten im Home-Office. Doch an drei Tagen in der Woche sind sie abwechselnd in den Büros im Gevelsberger Gewerkschaftshaus präsent, allerdings ist der Publikumsverkehr ausgeschlossen. Die Mitglieder können uns telefonisch und per Mail erreichen, außerdem gibt es Überlegungen die neuen Medien auch für unsere Mitgliederberatung zu nutzen.

Wie organsiert ihr aktuell die gewerkschaftliche Gremien- und Abschlussarbeit?                                                                

Mathias Hillbrandt: Auch hier kommen die neuen Medien zum Einsatz. Wir versuchen aus dem Homeoffice mit allen Gremien – mit unseren Betriebsräten, Vertrauensleuten und Jugend- und Ausbildungsvertreter*innen – die weitere Arbeit zu organisieren, denn die Probleme in den Betrieben nehmen ja nicht ab, sondern eher zu wie beispielsweise akut die Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes.

In diesem Jahr finden die Organisationswahlen und die Wahlen des Ortsvorstandes der neuen IG Metall Geschäftsstelle Ennepe-Ruhr-Wupper statt. Läuft alles nach Plan?

Clarissa Bader: Leider nein. Die Coronakrise hat unseren Zeitplan gehörig durcheinander gewirbelt. Auf den letzten Metern konnten wir wegen des Erlasses der „Kontaktsperre“ einige wenige ausstehende Mitgliederversammlungen zur Wahl von Delegierten nicht durchführen. Die müssen wir irgendwie noch nachholen. Deshalb lässt sich auch der für den 16. Mai geplante Termin für die Wahldelegiertenkonferenz zur Neuwahl des Ortsvorstandes nicht halten. Aus heutiger Sicht wird diese Konferenz nach der Sommerpause stattfinden. Für unsere Funktionäre und Mitglieder bringt das jedoch keine Nachteile mit sich.

Gibt es zum Abschluss noch etwas das wichtig ist?

Clarissa Bader: Ja, gibt es. In der jetzigen Situation gibt es viele Unsicherheiten und Ängste. Die Antwort auf alle Versuche diese Ängste auszunutzen oder die Spaltung der Gesellschaft voranzutreiben ist und bleibt: Solidarität und Zusammenhalt.
Denn: „Solidarisch ist man nicht alleine“! Das ist nicht nur das Motto zum diesjährigen 1. Mai der unter den Schatten dieser Krise nur digital stattfinden kann, sondern die Antwort im Betrieb, in der Gesellschaft und in der Welt in unsicheren Zeiten. Wir brauchen keinen Abbau von hart erkämpften Rechten für die Arbeitnehmer*innen in diesem Land. Wir brauchen einen Ausbau der Rechte und des Schutzes für Arbeitnehmer*innen und auch eine Diskussion darüber wie wir die Welt gestalten wollen, in der wir zukünftig leben werden. Wir sind als Geschäftsstelle gut aufgestellt und versuchen unseren Teil dazu beizutragen. Man kann sich auf die IG Metall auch in der Coronakrise verlassen.

Bleiben Sie gesund.

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