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„Kein Anlass den Fuß vom Gas zu nehmen!“

Die Warnstreikwelle in der Metall- und Elektroindustrie rollt: Rund 450.000 Beschäftigte – davon allein in NRW über 80.000 und 1.600 im Bereich der Geschäftsstelle Gevelsberg-Hattingen – haben seit Anfang Januar mehrere Stunden die Arbeit niedergelegt. Sie folgten dem Aufruf „Heraus aus den Betrieben“ und machten öffentlich Druck: Für 6 Prozent mehr Geld, einen Anspruch auf „kurze Vollzeit“, d.h. Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit bis auf 28 Stunden, und Entgeltzuschüsse für bestimmte Freiräume wie die Betreuung von Kindern und Pflegebedürftigen sowie bei besonders belastenden Arbeitsbedingungen wie beispielsweise Schichtarbeit.

Fest steht: Eines haben die Warnstreiks in der Metall- und Elektrobranche schon gebracht – die Arbeitgeber rüsten ab und verzichten auf die Durchsetzung ihres „bestellten Gutachtens“, in dem der Münsteraner Arbeitsrechtler Clemens Höpfner die Forderung nach einem Entgeltzuschuss und die Warnstreiks, um diesen durchzusetzen, als „rechtswidrig“ einstufte. Der Tarifstreit müsse am Verhandlungstisch gelöst werden, legte der Südwestmetall-Chef Stefan Wolf in Böblingen den Rückwärtsgang ein, es mache keinen Sinn „weder für die Unternehmen, noch für die Beschäftigten – sich in ellenlange Rechtsdiskussionen zu begeben.“

Nerv der Arbeitgeber getroffen

Mit der Forderung nach einer „kurzen Vollzeit“ hat die IG Metall eine Forderung mit breiter gesellschaftlicher Ausstrahlung aufgestellt und bei den Arbeitgebern einen Nerv getroffen. Ihre Reaktion: Empörung und Verweigerung von ernsthaften Verhandlungen. Eine massenhafte Inanspruchnahme koste Arbeitszeit in der Größenordnung von 200 000 Vollzeitstellen, maulte Gesamtmetall-Geschäftsführer Oliver Zander. Der geforderte Lohnausgleich wirke wie „eine Stilllegeprämie für Fachkräfte“. Rainer Dulger, Chef von Gesamtmetall,  assistierte mit der unsäglichen Bemerkung „mehr Geld für nichts tun, wird es mit uns nicht geben.“

Tatsache ist: Für die Metallarbeitgeber ist Flexibilität nur dann gut, solange sie ihnen den unreglementierten Zugriff auf die Arbeitskraft der Werktätigen erlaubt, fordern jedoch die Beschäftigten wie in dieser Tarifrunde mehr „Zeitsouveränität“, wird für sie daraus eine Zumutung, eine „Bedrohung der Wettbewerbsfähigkeit“. Dies unterstreicht die verräterische Bemerkung von Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer: „Es geht nicht, dass der Arbeitnehmer allein entscheidet, wann er wie viel arbeiten will.“

Wenn die ArbeitnehmerInnen Arbeitszeiten fordern, die zu ihrem Leben passen, führe dies in den Abgrund, warnen die Arbeitgeber. Dieses Argument ist nicht neu, das kennen alle Generationen der Arbeiterbewegung seit dem 19. Jahrhundert: Das haben die Unternehmer vor der Einführung des 8-Stunden-Tages, der 40- und schließlich der 35-Stundenwoche bzw. des Mindestlohnes genauso beschworen, und dennoch hat sich die deutsche Wirtschaft blendend entwickelt.

„Trotz Bewegung“ – Skepsis bleibt angesagt

Die einzig richtige Antwort auf diese „vordemokratische Denkweise“: Die MetallerInnen, darunter auffallend viele junge KollegInnen, folgten massenhaft dem Aufruf ihrer Gewerkschaft und beteiligten sich an Demonstrationen und Kundgebungen. Auch deshalb lenkten die Arbeitgeber, die bisher nicht über die aus ihrer Sicht „rechtswidrigen“ Arbeitszeitwünsche der Gewerkschaft reden wollten, bei der dritten Verhandlungsrunde in Baden-Württemberg „minimal“ ein und stimmten erstmals Gesprächen zu dieser Thematik zu.

Es sei in der Frage der Zeitsouveränität zugunsten der Beschäftigten „Bewegung erkennbar geworden“, doch „nach wie vor liegen die Arbeitgeber meilenweit von unseren Vorstellungen zum Thema Arbeitszeit entfernt“, sagte der baden-württembergische Bezirksleiter Roman Zitzelsberger nach den dreistündigen Verhandlungen. Dies ermögliche „konstruktiv weiterzuarbeiten“, deshalb sei eine Expertengruppe, der neben Vertretern der Tarifkontrahenten auch Fachleute aus den Betrieben angehören, gebildet worden, die „das Verhältnis von Zeitsouveränität der Beschäftigten zu den Flexibilitätsansprüchen der Unternehmen durchdeklinieren“ und konkrete Lösungsvorschläge machen soll

Angesichts des bisherigen „strikten Vetos“ der Arbeitgeber gegen die Arbeitszeitforderung bleibt Skepsis angesagt. So betonte Südwestmetall-Chef Wolf: „Wir brauchen mehr Arbeitsvolumen“, sprich die IG Metall solle ihnen Möglichkeiten aufzeigen, „wie wir Arbeitsvolumen nach oben bringen können.“ Dagegen beharrt die Gewerkschaft auf ihrer Forderung nach einer „kurzen Vollzeit“ und darauf, dass es für bestimmte Lebenssituationen einen finanziellen Ausgleich gibt.

Und dies zurecht: Erstens zeigt die IG Metall, dass sie mit ihren Forderungen „nach 6 Prozent mehr Geld und individueller Arbeitszeitverkürzung“ sehr nah dran ist an den Bedürfnissen von Millionen hart arbeitender Menschen. Zweitens sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in diesem Tarifkonflikt so gut wie lange nicht. Der deutschen Wirtschaft, und insbesondere der Metall- und Elektroindustrie, geht es nach Jahren der Hochkonjunktur blendend – die Fabriken sind ausgelastet, die Firmen verdienen prächtig. Deutschlands Exporteure steuern 2017 auf das vierte Rekordjahr in Folge zu. Die Unternehmen in Deutschland investierten zuletzt mehr in Ausrüstungen wie Maschinen, Geräte und Fahrzeuge.

Warnstreikwelle muss weiterrollen

„Es gibt es keine Veranlassung, den Fuß vom Gas zu nehmen“, betonte die Erste Bevollmächtigte der IG Metall Clarissa Bader. Die Warnstreikwelle muss weiter rollen. In dieser Woche gehen die Verhandlungen weiter. Jetzt muss sich erstmal zeigen, was die Metallarbeitgeber am 18. Januar in NRW auf den Verhandlungstisch packen. Sollte ihr „Paket“ genauso „mickrig“ sein, soll am 24. Januar erneut in Böblingen ein weiterer „ernsthafter Versuch“ gemacht werden.

Dieser Termin ist mit Bedacht gewählt: Denn zwei Tage später kommt der IG-Metall-Vorstand zusammen, um über das weitere Vorgehen im Tarifkonflikt, z.B. über die Ausrufung der „24-Stunden-Streiks“ zu entscheiden. Die Arbeitgeberseite muss sich darüber im Klaren sein: In Zeiten voller Auftragsbücher kann das für die betroffenen Unternehmen sehr teuer werden.

Fest steht schon jetzt: Gelingt es der IG Metall, den 3,9 Millionen Beschäftigen in der Metall- und Elektroindustrie mehr Souveränität über ihre Arbeitszeit zu verschaffen, mehr Freiräume für die Betreuung von Kindern und Pflegebedürftigen und mehr Humanität für Beschäftigte in belastenden Arbeitszeitsystemen, dann wäre das ein großer Schritt der Ermutigung, ein Signal weit über die Branche hinaus.

Foto: Thomas Range

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