
Kein Tag vergeht mehr ohne neue Hiobsbotschaften aus der deutschen Wirtschaft. Von Produktionskürzungen über Kurzarbeitsanzeigen bis zu Personalabbau und Werksschließungen ist alles dabei, was mit Sorge in die nahe Zukunft blicken lässt. Die wirtschaftlichen Aussichten trüben sich weiter ein. Der Ifo-Geschäftsklimaindex erreicht den niedrigsten Wert seit Jahren. Laut den Angaben des Statistischen Bundesamtes ist die Industrieproduktion in Deutschland im Juni um 5,2% gegenüber dem Vorjahresmonat eingebrochen. Die Aufträge in wichtigen Industriebranchen gehen zurück.
Dass wir noch keine Wirtschaftskrise haben, liegt auch daran, dass die Konjunktur durch die Beschäftigungs und Lohnzuwächse getragen wird. Die Konsumfreude der Verbraucher*innen und der Bauboom halten die Wirtschaft noch am Laufen. Die exportorientierte deutsche Wirtschaft erhält weniger Bestellungen aus anderen Ländern. Die Wahrscheinlichkeit, dass Deutschland in den nächsten drei Monaten eine Rezession erlebt, hat sich laut Prognose des gewerkschaftsnahen „Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung“ (IMK) weiter erhöht. Der Leiter des IMK Sebastian Dullien sieht „die deutsche Konjunktur derzeit auf der Kippe“ stehen.
Wirtschafts- und Sanktionskriege der USA verschärfen die Lage
Betroffen sind vor allem Auto- und Maschinenbauer. Die Dieselkrise, die „Delle“ in der Autokonjunktur und der Umbau zur E-Mobilität machen besonders den Zulieferern zu schaffen. Die weltweiten Unsicherheiten angeheizt durch Strafzölle der USA auf deutsche Produkte, aber auch die US-amerikanischen Wirtschafts-Sanktionen gegenüber anderen Staaten und der Handelskrieg mit China trifft die deutsche Industrie und insbesondere die vom Export abhängigen Branchen, wie z.B. den Werkzeugmaschinenbau.
Die Wirtschafts- und Sanktionskriege der USA belasten zunehmend die deutsche Industrie und insbesondere die vom Export abhängigen Branchen, wie z.B. die Automobilisten und der Werkzeugmaschinenbau. War es deutschen Unternehmen noch gelungen, ihre Einbußen durch die 2014 verhängten Russland-Sanktionen durch Geschäfte mit anderen Ländern auszugleichen, schlägt sich der US-Wirtschaftskrieg gegen China jetzt in wachsendem Maß in empfindlichen Einbußen deutscher Unternehmen nieder. Im Juni lag der Wert der deutschen Ausfuhr nach China um ein Achtel unter dem Wert des Vorjahresmonats.
Bundesregierung muss Kurzarbeit weiterentwickeln
Die Gewerkschaften fordern von der Bundesregierung Ideen weiterentwickeln, die bereits in der Wirtschaftskrise 2008/2009 erfolgreich waren. Ein „Transformationskurzarbeitergeld“ wie von der IG Metall gefordert, das Kurzarbeit mit Weiterbildung verbindet und Arbeitsplätze sichert, muss schnellstens eingeführt werden. Die Maschen der sozialen Sicherung müssen so gestrickt werden, dass alle vom Strukturwandel Betroffenen aufgefangen werden können. Die Beschäftigten müssen sich darauf verlassen können, dass Umbrüche ihnen neue Chancen bieten und nicht zu Abwärtsspiralen führen. Bisher gab es im Arbeitgeberlager massive Widerstände dagegen. Doch inzwischen bröckelt die Front: Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger hatte sich jüngst positiv zum Transformations-KUG geäußert.
Die Pläne des Bundesarbeitsministers Hubertus Heil für ein „Arbeit-von-morgen-Gesetz“, mit dem Kurzarbeitergeld vereinfacht und Weiterbildung gefördert werden soll, könnte ein wichtiger Ansatz sein. Beides soll in möglichen Krisenfällen Arbeitsplätze in Unternehmen schützen und Beschäftigte und ihre Qualifikation für die Zukunft stärken. Der DGB erwarte eine zügige Ausgestaltung des Gesetzentwurfes so das DGB-Bundesvorstandmitglied Annelie Buntenbach: „Hierzu gehören das Recht auf das Nachholen von Berufsabschlüssen, die Förderung des Erlernens neuer Berufe im Beschäftigungsverhältnis und die stärkere Verknüpfung von Weiterbildung und Kurzarbeit.“ Wichtig sei es, die Betriebsräte einzubeziehen, wenn es darum geht, Qualifizierungspläne zu erstellen.
Jetzt Wachstum stabilisieren
Darüber hinaus muss auch das Wachstum in Deutschland stabilisiert werden. Eine massive Steigerung der öffentlichen Investitionsausgaben – u. a. in Infrastruktur, Bildung, bezahlbaren Wohnraum, Klimaschutz, Ladeinfrastruktur für E-Autos – wäre ein geeignetes Instrument dazu. Dafür muss die Regierung rasch ein Investitionsprogramm starten.
Eine Erhöhung der öffentlichen Investitionen würde auch private Investitionen anregen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat dazu neue Berechnungen angestellt und schreibt: „Eine investierte öffentliche Milliarde Euro erhöht die privaten Investitionen im Zeitraum von fünf Jahren um knapp zwei Milliarden Euro.“
Modernisierung der Infrastruktur vernachlässigt
Diese privaten Investitionen wären nicht nur konjunkturbedingt bitter nötig. Denn insgesamt haben der Privatsektor und der Staat den Ausbau und die Modernisierung von Anlagen und Infrastruktur grob fahrlässig vernachlässigt. In Deutschland sind die Investitionen – gemessen an der Wirtschaftsleistung (BIP) – so niedrig, wie in kaum einem anderen Industrieland. Im Durchschnitt der OECD-Länder flossen seit der Jahrtausendwende jedes Jahr rund 22 Prozent des BIP in öffentliche und private Investitionen, in China sogar mehr als 41Prozent. In Deutschland waren es nur rund 20 Prozent.
Quelle: EU-Kommission / Ameco-Datenbank
Betrachtet man nur die öffentlichen Investitionen zeigt sich: In den USA betrugen die staatlichen Investitionen 2018 rund 3,3 Prozent der Wirtschaftsleistung, in Frankreich 3,4 Prozent und in Deutschland nur 2,3 Prozent.
„Schwarze Null“ in Frage stellen
Zusätzliche öffentliche Investitionen sanieren nicht nur die veraltete Infrastruktur, sondern sorgen auch für einen sozialen und ökologischen Strukturwandel. Sie sichern damit die Lebensqualität der Menschen in Städten und Gemeinden, das Auskommen kommender Generationen und die Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft. Sie stützen Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze und Steuereinnahmen und finanzieren sich dadurch selbst. Deshalb und weil der Staat dank Negativzinsen daran verdient wenn er Geld leiht, müssen die Investitionen schuldenfinanziert sein.
Es ist notwendig, dass die Politik der „Schwarzen Null“ in Frage gestellt wird. An der schwarzen Null festzuhalten, ist ökonomisch unsinnig. Immer mehr Ökonom*innen schließen sich der gewerkschaftlichen Kritik an der Schuldenbremse an. Fakt ist: Die Schuldenbremse ist eine Investitionsbremse und somit eine Zukunftsbremse und gehört in ihrer jetzigen Form abgeschafft. Die Politik darf sich nicht länger selbst in ihrer Handlungsfähigkeit einschränken. Angesichts der schwächelnden Konjunktur muss die Bundesregierung jetzt „klotzen und nicht kleckern“. (Unter Verwendung des DGB-Klartext 25/2019)
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