Kluft zwischen Arm und Reich öffnet sich weiter
Corona-Krise: Reiche scheffeln Milliarden

Man könnte meinen, dass vor einem Virus alle gleich sind. Die Corona-Pandemie hat weltweit alle Menschen getroffen, aber keineswegs alle gleichermaßen.
Covid-19 wirkt mittlerweile wie ein „Brennglas für soziale Missstände“: Das Coronavirus hat die Kluft, zwischen Arm und Reich sowie den bestehenden Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit deutlicher hervortreten lassen. Krise? Welche Krise? Das fragen sich jene, die trotz der Pandemie in Deutschland neu in den Kreis der Dollar-Millionäre aufgerückt sind. Ihre Zahl wuchs im ersten Halbjahr 2020 um 58.000 und beträgt 2,1 Millionen, so eine Studie der der Schweizer Bank Crédit Suisse.
Während Millionen Menschen um ihre Existenz bangen, wächst das Vermögen der US-Dollar-Milliardäre weltweit an – auch in Deutschland. Was vor der Corona-Krise schon ungerecht war, wurde noch ungerechter. Das eigentliche Ungleichheitsvirus ist der Neoliberalismus. Corona wirkt da nur als Katalysator. Das Kardinalproblem unserer Gesellschaft ist die bestehende Verteilungsschieflage. Der Unterschied zwischen den Gewinnen der Milliardäre und dem weltweit verbreiteten wirtschaftlichen Elend ist krass.
Die Corona-Krise hat die Superreichen rund um den Globus noch reicher gemacht. Das Gesamtvermögen der mehr als 2000 Dollar-Milliardäre weltweit stieg auch dank der Erholung an den Aktienmärkten auf den Rekordwert von rund 10,2 Billionen Dollar (8,7 Billionen Euro), so Berechnungen der Beratungsgesellschaft PwC und der Schweizer Großbank UBS. Vor allem Engagements in schnell wachsenden Bereichen wie Technologie und Gesundheitswesen erwiesen sich der Studie zufolge als Treiber.
In Deutschland stieg das Nettovermögen der Ultrareichen nach einem Einbruch zu Beginn der Corona-Pandemie bis Mitte des Jahres auf 594,9 Milliarden Dollar. Der Club der Superreichen ist seitdem von 114 auf 119 Mitglieder gewachsen. Zu den Hauptprofiteuren des Krisendesasters gehören einige der profitabelsten Unternehmen mit den reichsten Anteilseignern. Den größten Zuwachs erzielten die deutschen Dollar-Milliardäre nach Ausbruch der Pandemie in den Bereichen Technologie (plus 46 Prozent), Gesundheitswesen (plus 12 Prozent) und Finanzwesen (plus 11 Prozent).
Nach der jüngst veröffentlichten Rangliste des Manager Magazins gehören zu den reichsten Deutschen die Unternehmerfamilie Reimann mit einem geschätzten Vermögen von 32 Milliarden Euro. Auf Platz zwei folgt Lidl-Gründer Dieter Schwarz mit einem geschätzten Vermögen von 30 Milliarden Euro. Als Drittplatzierte werden die Geschwister Susanne Klatten und Stefan Quandt genannt, die fast die Hälfte der BMW-Aktien besitzen, mit einem geschätzten Vermögen von 25 Milliarden Euro.
Die Pandemie trifft Facharbeiter*innen durch Kurzarbeit und Arbeitsplatzverlust und insbesondere Beschäftigte in prekären Jobs in der Gastronomie und im Einzelhandel. 20 Prozent aller abhängig Beschäftigten arbeiten in Deutschland im Niedriglohnsektor. Viele müssen ihren Lohn mit Hartz IV-Leistungen aufstocken. Den betroffenen Arbeitnehmer*innen brechen die Einkommen weg. Bei einer vom Berliner „Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung“ (DIW) unter den Haushalten durchgeführten Befragung berichteten 20 Prozent der im Jahr 2019 erwerbstätigen Personen, dass ihr Einkommen aufgrund der Coronakrise gesunken sei. Letztlich kommt es nicht auf das Einkommen, sondern auf das Vermögen an. Es ist hierzulande besonders ungleich verteilt und konzentriert sich bei 45 hyperreichen Familien, die mehr besitzen als die ärmere Hälfte der Bevölkerung – über 40 Millionen Menschen.
Schon vor der Coronakrise herrschte in den USA eine große soziale Not: 34 Millionen Menschen lebten unter der Armutsschwelle. In den letzten Monaten sind laut Berechnungen von Forschern der Columbia University noch einmal acht Millionen Menschen dazugekommen – zum größten Teil seit dem Auslaufen des Extra-Coronakrisen-Arbeitslosengeldes des Bundes Ende Juli, währenddessen herrscht für diejenigen an der Spitze Hochkonjunktur. Jeff Bezos (Amazon) und Bill Gates (Microsoft-Gründer) haben zusammen mit den anderen US-Milliardären in dieser Zeit weitere 845 Milliarden Dollar eingenommen, so das „Institute for Policy Studies“ in Washington D.C. Die 643 reichsten US-Amerikaner verfügen damit zusammen über ein Gesamtvermögen von 3,8 Billionen Dollar – die Summe entspricht in etwa dem Brutto-Inlandsprodukt (BIP) von Belgien und Österreich zusammen.
Das Einkommen von Arbeitnehmer*innen ist weltweit wegen der Corona-Pandemie drastisch eingebrochen. Der Rückgang dürfte von Januar bis Ende September 3,5 Billionen Dollar (rund drei Billionen Euro) betragen, berichtete die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) in Genf. Das ist ein Rückgang von 10,7 Prozent zum Vergleichszeitraum 2019. In diesen Zahlen sind staatliche Einkommensbeihilfen nicht berücksichtigt.
Ungleich größer ist die Not in ärmeren Regionen der Welt, wo die Pandemie noch viel tiefere Spuren hinterlassen hat. In einem eindringlichen Appell wandte sich deshalb der Chef des Welternährungsprogramms (WFP) an die Milliardäre dieser Welt, im Kampf gegen den Hunger zu helfen. „Wir brauchen 4,9 Milliarden Dollar, um ein Jahr lang alle 30 Millionen Menschen zu ernähren, die ohne die Hilfe des WFP sterben werden“, sagte David Beasley vor dem UN-Sicherheitsrat in New York.
Diese Entwicklung wird durch ein Wirtschaftssystem und ein internationales Steuersystem begünstigt, das es den Reichsten erlaubt, am Ende der Steuerzahlung zu entkommen, während der mittelständische Unternehmer und erst recht die mittleren und unteren Schichten nicht der Steuer entgehen können. Dieses System, die Konzentration finanzieller Macht bei sehr wenigen Menschen, verhindert wirtschaftlichen Wohlstand und die Teilhabe möglichst vieler Menschen am wirtschaftlichen, sozialen und politischen Leben.
Die Lösung kann deshalb nur lauten: Statt Facharbeiter*innen und Menschen mit niedrigem Einkommen weiter zu belasten, müssen nun die Vermögenden rangenommen werden. Viel spricht für eine einmalige, auf die Corona-Bekämpfung konzentrierte Vermögensabgabe, so der Ökonom Rudi Hickel. Eine solche einmalige Abgabe, die sich nicht auf die hohen Einkommen, sondern auf die Spitzenvermögen konzentriert, ist gegenüber einem Corona-Soli zu präferieren. Diese Abgabe auf das Vermögen wird aus der hohen ökonomischen Leistungskraft der Vermögenden abgeleitet – insbesondere des obersten „einen Prozent“ bei den privaten Haushalten. Das „eine Prozent“ an der Spitze der Pyramide besitzt nicht wie bisher angenommen „nur“ 22 Prozent, sondern ganze 35 Prozent aller Nettovermögen. Bei den obersten 10 Prozent der Vermögenden konzentrieren sich sogar gut zwei Drittel des gesamten Nettovermögens in Deutschland.
Der Ruf nach Umverteilung kommt im Übrigen auch von Vermögenden selbst: Über 100 Millionär*innen weltweit forderten in einem offenen Brief der „Millionaires for Humanity“ höhere Steuern für Reiche, um die Krisenkosten zu stemmen. Fakt ist: Die bestehenden Verhältnisse müssen in Richtung von mehr sozialer Gerechtigkeit verändert werden. Zurecht stellt der Politikwissenschaftler und Armutsforscher Christoph Butterwegge fest: „Wenn das Infektions-, Krankheits- und Sterblichkeitsrisiko in und nach der Covid-19-Pandemie nicht mehr zentral von den jeweiligen Ressourcen abhängen soll, muss das kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftssystem grundlegend verändert werden“.
Autor: Otto König