Konzern will Standort Sprockhövel plattmachen

Die Geschäftsführung verkündete die „Order“ aus der Konzernzentrale in Pasadena (USA) nicht wie 2009 in der mondänen Umgebung der Partyscheune des Golfhotels Vesper in Haßlinghausen, sondern bescheidener in der „Ticketing“-Abteilung im Betrieb. Doch die „per Mail“ aus den USA freigegebenen „Strategische Planung“ schockierte die Belegschaft der Avery Dennison Central Europe GmbH Avery gleichermaßen. Hieß es vor sechs Jahren die „Produktion wird geschlossen“, so teilte am heutigen Mittwoch (29.04.2015) Geschäftsführer Jeremy Bauer emotionslos den Beschäftigten mit, der „Standort Sprockhövel des Textiletiketten-Spezialisten wird im Ersten Quartal 2016 endgültig stillgelegt.“
„Der Konzern will Sprockhövel zum europäischen Musterzentrum machen und bekennt sich damit weiter zu diesem Standort“, sagte 2009 der damalige Geschäftsführer Thomas Willing. Die ArbeitnehmerInnen kommentierten dies mit bitterem Lachen. Ähnlich klang es auch heute, als Jeremy Bauer und Prokurist Helmut Bendig davon sprachen, dass die verbleibenden Beschäftigten – etwa die Hälfte der derzeit ca. 120-köpfigen Belegschaft – an einem Standort in der Region Düsseldorf zusammengefasst würden bzw. im Nebenbetrieb in Löhne, der nicht betroffen sei.
Wieder mussten sich die Betroffenen, die in den vergangenen Wochen mit Allem gerechnet hatten, nur nicht mit diesem radikalen Kahlschlag, die sattsam bekannten Sprüche anhören: Avery Dennison ist gezwungen, Kosten zu reduzieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Schließung von Sprockhövel sei notwendig, um Prozesse zu verbessern und die Effizienz zu steigern. Dies könne nur durch die Verlagerung der operativen Bereiche an Standorte mit niedrigeren Arbeitskosten wie Rumänien und die Türkei erreicht werden.
Rund anderthalb Jahrzehnt hat es gedauert bis die beiden US-Amerikanischen Konzerne Paxar (Übernahme des Webetiketten-Produzenten Bornemann + Bick KG in 2000) und Avery Dennison Corporation (Übernahme des Textil-Etiketten-Herstellers Rinke in 2004) die ehemals mittelständischen Betriebe im westfälischen Sprockhövel vor die Wand gefahren haben. Produkte wurden im Konzern verschoben, das Know-How der Beschäftigten abgeschöpft und Kunden sprangen wegen dilettantischer Entscheidungen ab.
Im Jahr 2007 schluckte die Avery Dennison Corporation den Konkurrenten Paxar. Den Aufstieg zum führenden Produzenten von Etikettiersystemen ließen sich die Konzernverantwortlichen 1,45 Milliarden Dollar kosten. „Dafür mussten die Beschäftigten immer wieder bluten“, sagt der stellv. Betriebsratsvorsitzende Dirk Kolwe.
Seine Betriebsratskollegin Vicenza Mazzarissi zählt die bitteren „Stationen des Kahlschlags“ in den letzten Jahre auf: „2008 wurde zuerst der Paxar-Standort an der Harkortstrasse dicht gemacht, ein Jahr später wurde die Produktion von Avery Dennison CE in der Kleinbeckstrasse geschlossen und jetzt will sich der Konzern ganz aus Sprockhövel davon machen.“
Die Betriebsratsmitglieder sind überzeugt: So etwas wie „Soziale Verantwortung“ für Beschäftigte und ihre Familien bzw. für eine ganze Region ist der AD-Konzernspitze, deren Praxis durch die angelsächsische „hire und fire“-Mentalität geprägt ist, total fremd. Wie beim Monopoly kaufen und verkaufen sie, schieben sie weltweit Produktbereiche übers Spielfeld und stürzen Beschäftigte in eine Existenzkrise, um die Profite der „Coupon“- Schneider, also der Aktionäre, zu erhöhen.
Fragen nach Alternativen zu der Konzernstrategie drängen sich auf. Die Suche danach wird nicht einfach werden. Dennoch wollen die in der IG Metall organisierten Textiler die Pläne des Konzerns nicht einfach abnicken, sondern alle ihnen zustehenden Rechte ausschöpfen, wie die Ausarbeitung von „Vorschlägen zur Sicherung und Förderung der Beschäftigung“ nach § 92a Betriebsverfassungsgesetz. Dazu ist der sachverständige Rat von arbeitnehmernahen Beratern, die Unterstützung der Gewerkschaft, wie die Einbeziehung der Beschäftigten notwendig, in persönlichen Gesprächen in den Abteilungen bzw. in der Betriebsversammlung am morgigen Donnerstag im IG Metall Bildungszentrum Sprockhövel.
Foto: Protest der AD- Beschäftigten in 2009 gegen die geplante Arbeitsplatzvernichtung in Sprockhövel Foto: IGM GH-Archiv