
Die Corona-Krise verschärft bestehende soziale Ungleichheiten. Abhängig Beschäftigte mit ohnehin schon niedrigeren Einkommen haben deutlich mehr unter den wirtschaftlichen Folgen zu leiden als Arbeitnehmer*innen mit höheren Einkommen. Sie büßen deutlich häufiger beim Einkommen ein, erhalten bei Kurzarbeit seltener eine Aufstockung des KUG und fürchten doppelt so häufig, in Folge der Pandemie ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Dies zeigen Ergebnisse einer Online-Befragung im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zwischen Mitte und Ende Juni 2020.
Die Folgen der Krise spüren die Befragten zunehmend im eigenen Geldbeutel: Im April 2020 sagten 20 Prozent, die Krise habe sich bereits negativ auf ihr persönliches Einkommen ausgewirkt, im Juni waren es 26 Prozent. Zugleich zeigt sich eine auffallende soziale Spreizung: In Haushalten mit einem Einkommen unter 1500 Euro berichten 40 Prozent von Einbußen, bei einem Einkommen ab 3200 Euro sind es 22 Prozent. In allen Einkommensgruppen geben etwas weniger Personen an, Einbußen zu erleben, wenn sie ein Arbeitsverhältnis mit Tarifvertrag haben. Es ist nicht überraschend, dass die größten Belastungen ausgerechnet auf jene treffen, die am wenigsten in der Lage sind, sie zu tragen.
Zwölf Prozent der befragten Arbeitnehmer*innen gaben an, im Juni 2020 in Kurzarbeit zu sein. 9 Prozent gaben an, „weniger zu arbeiten“ oder ihre vertragliche Arbeitszeit reduziert zu haben, aber nicht in Kurzarbeit zu sein. Hierzu dürften vor allem Selbständige zählen. 14 Prozent sagen, sie würden mehr arbeiten. Von den Befragten in Kurzarbeit erklärten 43 Prozent, dass ihr Kurzarbeitergeld aufgestockt werde, rund 10 Prozentpunkte mehr als im April 2020. Dazu dürfte beitragen, dass das gesetzliche Kurzarbeitergeld mittlerweile ab dem vierten Bezugsmonat auf bis zu 77 Prozent steigt. Unabhängig davon gibt es der Umfrage zufolge für Beschäftigte mit Tarifvertrag weiterhin deutlich häufiger eine Aufstockung. Auch das Einkommen spielt eine Rolle: Befragte, die weniger als 1500 Euro zur Verfügung haben, erhalten zu 33 Prozent eine Aufstockung, Personen mit einem Einkommen von mindestens 2600 Euro zu 48 Prozent.
Die soziale Balance müsse ein vorrangiges Ziel der Anti-Krisenstrategie sein, auch über die akute Pandemiesituation hinaus: „86 Prozent der Befragten äußern Sorgen, dass die soziale Ungleichheit in Deutschland weiter steigt. Wir hätten ein großes Problem, wenn sich der Eindruck festsetzen würde: Der Staat hat die Wirtschaft mit Milliarden gerettet, aber dafür müssen die sprichwörtlichen kleinen Leute zahlen“, so Bettina Kohlrausch, WSI-Direktorin und Soziologieprofessorin an der Universität Paderborn.
Generell bessere Perspektiven in der Krise haben Beschäftigte in Unternehmen mit Tarifvertrag beziehungsweise mit Betriebsräten: Kurzarbeiter mit Tarifvertrag erhalten beispielsweise zu 54 Prozent eine Aufstockung, während es ohne Tarifvertrag nur 31 Prozent sind. In mitbestimmten Betrieben existieren deutlich häufiger feste Regeln für das Homeoffice als in Betrieben ohne Betriebsrat. Gibt es eine solche Vereinbarung, empfinden die Befragten die Arbeitssituation zu Hause als weniger belastend.
Es arbeiten weitaus mehr Befragte mobil und im Homeoffice als vor Ausbruch der Pandemie. Allerdings ist der Anteil gegenüber April 2020 wieder etwas gesunken, was für eine gewisse Normalisierung spricht. Die Erfahrungen der Befragten mit dem Homeoffice sind gemischt. 37 Prozent geben an, mehr Wochenstunden zu arbeiten. Andererseits sagen 77 Prozent, das Homeoffice erleichtere die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Die Umfrage hat jedoch ergeben, dass die Betreuungsarbeit der Kinder vor allem die Frauen. übernehmen. Das gaben sowohl männliche als auch weibliche Befragte an, die in PaarBeziehungen leben und Kinder haben. Gegenüber dem April 2020 ist der Anteil der in erster Linie betreuenden Väter und der Paare mit ausgeglichener Verteilung noch einmal leicht gesunken. „Die Befürchtung bleibt, dass sich Mütter und Väter unter dem Druck der Krise wieder an traditionelle Rollenmuster gewöhnen“, sagt Kohlrausch. Männliche Befragte mit Kindern waren vor der Corona-Krise im Durchschnitt 41 Stunden pro Woche erwerbstätig, Frauen 31 Stunden. Ende Juni 2020 waren es 38 und 26 Stunden. Die Differenz stieg also von 10 auf 12 Stunden.
Die Zukunftsängste haben laut den Ergebnissen der Umfrage im Durchschnitt etwas abgenommen: Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation äußerten im April 70 Prozent der Erwerbstätigen, im Juni 58 Prozent. Am stärksten sank der Anteil unter den Befragten mit mehr als 3200 Euro Haushaltsnettoeinkommen, nämlich von 61 auf 47 Prozent. Dagegen blieb er in der Gruppe unter 1500 Euro mit 83 beziehungsweise 82 Prozent praktisch unverändert und weitaus höher.
Erfolge bei der Anti-Krisenpolitik von Bund und Ländern werden positiv wahrgenommen. Rund zwei Drittel der Bevölkerung sind eher oder voll zufrieden mit dem Krisenmanagement. Auch hier ist festzustellen: Die Zustimmungswerte steigen mit dem Einkommen und liegen zwischen 46 Prozent bei Erwerbstätigen mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen unter 1500 Euro und 72 Prozent bei einem Einkommen über 3200 Euro. Dass die Corona-Pandemie „benutzt wird, um die Interessen von Reichen und Mächtigen durchzusetzen“, können sich knapp 39 Prozent aller Befragten vorstellen. Menschen mit niedrigen Einkommen stimmen hier zu 50 Prozent zu.