Politik und Gesellschaft

Kulturkampf von rechts

Rechte Versuche, demokratische Traditionen zu vereinnahmen

Das Hambacher Schloss. Foto: privat
Das Hambacher Schloss. Foto: privat

Autor: Otto König und Richard Detje

30.000 freiheitsliebende Bürger*innen zogen 1832 mit schwarz-rot-goldenen Fahnen vom Marktplatz im vorderpfälzischen Neustadt an der Haardt hinauf zum Hambacher Schloss.

Kaufleute, Handwerker, Ärzte, Juristen, Studenten, aber auch Winzer, Kleinbauern, Gesellen sowie – und das war neu – Frauen aus der ganzen Pfalz, aus Baden, Bayern, Hessen, dem Elsass und sogar Polen demonstrierten für die Presse- und Versammlungsfreiheit, Gleichheit vor dem Gesetz, soziale Gerechtigkeit, das Recht auf Bildung, freie Religionsausübung und die Überwindung der Kleinstaaterei in einem freien und einigen Deutschland. 

Auf der machtvollen Kundgebung brachten die Redner ihren Zorn über das Elend des Volkes und die Unterdrückung durch die Fürsten zum Ausdruck. Unter ihnen Phillip Jakob Siebenpfeiffer: Das Hambacher Fest gelte dem »Kampf für die Abschüttelung innerer und äußerer Gewalt, für die Erstrebung gesetzlicher Freiheit und deutscher Nationalwürde.« 1832 war der Kampf für den Nationalstaat zugleich einer nach einer liberalen Verfassung. Die Manifestation gipfelte in der Forderung, die 34 Fürstenfamilien, die Demokratie und Fortschritt verhinderten, aus dem Lande zu jagen. Die Forderungen nach Freiheit, das Abschütteln der absolutistischen Fesseln, nach Gewissens- und Pressefreiheit, nach einer Volksvertretung waren die Vorboten für die März-Revolution 1848.

Der Zug auf das Hambacher Schloss von 1832. Bild E. Müller-Baden PD

188 Jahre später versucht das Mitglied von CDU und Werte-Union sowie bekennender AfD-Wähler, Max Otte, mit dem »Neuen Hambacher Fest« ans Original von 1832 anzuknüpfen. In dem von ihm ausgerufenen »Kulturkampf von rechts« geht es darum, das historische Ereignis für rechtspopulistische Zwecke zu vereinnahmen und die Geschichte umzuschreiben. Anfang Juli 2020 hatten Otte, der auch Vorsitzender des Kuratoriums der »Desiderius Erasmus Stiftung« (Parteistiftung der AfD) ist, und seine reaktionäre Anhängerschaft – also jene, die der Hass auf die Moderne, Migration und »Multikulti« verbindet, aber auch die Angst vor dem Bedeutungsverlust des Nationalstaates und der patriarchalischen Familie – zum dritten Mal hintereinander eine der berühmten Anhöhen der deutschen Geschichte in Beschlag genommen. 

Bei den Themen »Pressezensur und Willkürherrschaft« gebe es Parallelen zur Situation von 1832, so die Geschichtsklitterung des Finanzexperten Otte, der schon bei der Eröffnung des ersten »Neuen Hambacher Festes« im Jahr 2018 erklärte: »Unser politisches System ist nicht mehr ganz so weit weg von der Fürstenherrschaft.« Damals hätte es staatliche Zensur gegeben, heute herrsche Selbstzensur und eine schlimme Verengung des Meinungskorridors. Damals wären die Demonstranten ins Gefängnis gekommen oder hätten fliehen müssen. Heute würden sie ausgegrenzt, geächtet und ökonomisch bestraft. Es sei notwendig, »die Freiheit zu verteidigen, vor allem die Redefreiheit«, denn die sei »von links« akut bedroht. Auf Ottes zahlreichen Veranstaltungen erschallen Rufe wie »Merkel muss weg«, stehen Klagen über Mainstream-Medien im Vordergrund und der Hass auf alles, was irgendwie links und grün »versifft« ist. 

Das Feindbild für Max Otte und seine aus den AfD-Reihen rekrutierten Anhänger *innen ist klar fokussiert: Es sind die »Systemparteien« der Berliner Republik und ihre multikulturellen Milieus. Also jene Agenten der »Völkervermischung« und »Umvolkung«, die mit ihrem anti-deutschen Hass das »Volk von seiner eigenen Kultur« entfremden wollen. Um dies zu verhindern, müssten die »richtigen« Politiker an die Macht gelangen, so die Botschaften der vorgeblich »neuen Hambacher«. Zu jenen, die auf dem »Otte-Fest« referieren, gehören u.a. der irrlichternde Thilo Sarrazin (SPD), die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin und CDU-Bundestagsabgeordnete Vera Lengsfeld, Initiatorin der »Erklärung 2018«,[1] der »Crash-Prophet« Markus Krall sowie der AfD-Co-Vorsitzende Jörg Meuthen. 

Sie alle stimmen überein, dass es notwendig ist, »eine politische Koalition von CDU und AfD als neue politische Perspektive für die Berliner Politik zu etablieren. »Um ihr Vorhaben in die Medien und vor allem in die Fernsehnachrichten zu bringen«, kaperten sie das Hambacher Schloss als Kulisse, so der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler in einem Interview mit dem Mannheimer Morgen. Es soll ein rechtes Bündnis geschmiedet werden, das von konservativen Strömungen in der CDU/CSU und der Werteunion über die AfD bis zu offen rechtsextremistischen, neofaschistischen und gewaltbereiten Kräften reicht. Für Letzteres steht zumindest verbal Markus Krall, den Otte schon zweimal auf seine Hambach-Veranstaltungen als prominenten Redner eingeladen hatte. Krall fordert eine »bürgerliche Revolution«, für die das »Blut von Patrioten und … Tyrannen« fließen muss. Sozialpolitik ist für Krall Korruption der Wähler und das Wahlrecht will er nur noch denjenigen zubilligen, die auf staatliche »Subventionen« (er meint etwa Kindergeld, Bafög, Sozialhilfe etc.) verzichten. Für Krall führt die nach seiner Meinung unausweichlich kommende »epochale Wirtschaftskrise« zur »finalen Auseinandersetzung« – ein Endkampf zwischen der von ihm gewünschten »bürgerlichen Revolution« und den »neofeudalistischen Sozialisten«, die nach Krall das gesamte Parteienspektrum des Bundestages, ausgenommen die AfD, umfassen.[2] 

Immer wieder haben in den zurückliegenden Jahrzehnten Rechtskonservative versucht, das »Hambacher Fest 1832« für ihre nationalistisch-völkischen Botschaften zu okkupieren. Schon in den 1970er Jahren hatte der rechtskonservative Verein gegen die »sittliche und politische Anarchie«, die »Deutschland-Stiftung e.V.«, diesen Traditionsort zur Verleihung des »Konrad-Adenauer Preises« für Wissenschaft, Literatur und Publizistik auserkoren. Während am 23. Mai 1970 vor dem Schloss mehr als fünfhundert Demokraten gegen die Preisverleihung protestierten, waren die »christlichen und staatserhaltenden Kräfte« hinter »den hohen Mauern aus grauen Quadern« versammelt, »hockten die Gäste auf harten Holzstühlen und redeten sich Mut zu; der Domprobst zu Speyer, Gerichtspräsidenten, Offiziere, Mitglieder der Landesparlamente und des Bundestags. (…) Die Sehnsucht nach Disziplin und Ordnung, die Empörung über das ›Parasitentum der Hippies und Gammler‹ bewegte sie. Sie beschworen die ›Inflation der Demokratie‹, sie zeigten sich erschüttert über die ›Erhöhung der Grundrechte‹«, schilderte der Journalist Sepp Binder in »Die Zeit« (29.5.1970) den Verlauf der Festveranstaltung. 

Eine Art »Harzburger Front« als ein Bindeglied zwischen der sich vulgär gebärdenden NPD und den vornehmen bürgerlichen Schichten charakterisierte damals der Marburger Politikwissenschaftler Reinhard Kühnl auf der Gegenkundgebung vor dem Schloss die Zusammenkunft »alter Nazis, das Wiederaufleben jenes Bündnisses aus Staat, Klerus und Heer, die den Nationalsozialisten den Weg bereitet haben.« Welches Wohlwollen die Stiftung demgegenüber in Kreisen der bundesdeutschen Polit- und Wirtschaftseliten genossen hat, zeigten die Grußbotschaften von Karl-Georg Kiesinger, Bundeskanzler a.D., Franz-Josef Strauß, Bundesminister a.D., von Bischöfen und dem ehemaligen Präsidenten der Arbeitgeberverbände, Siegfried Balke.[3] 

Die Methode, historische Daten und Orte für sich zu reklamieren, hat im rechten Milieu Tradition. Ob Rechtsintellektuelle, AfD-Politiker oder Pegida-Demonstranten – sie alle eint das Bemühen, ihre Aktivitäten als logische Fortführung des Werks heroischer Vorbilder und deren Tradition der deutschen Nationalbewegung des 19. Jahrhundert zu zeichnen. Das intellektuelle Gerüst liefert der Vordenker der Neuen Rechten hierzulande, Götz Kubitschek, der in seinem im Februar 2017 in seiner Zeitschrift Sezession veröffentlichten Aufsatz mit dem Titel »Selbstverharmlosung« postulierte: Es gehe darum, »die Vorwürfe des Gegners durch die Zurschaustellung der eigenen Harmlosigkeit abzuwehren«. Die AfD folgt dieser Maxime durch den regelmäßigen Verweis auf ihre vermeintliche »Bürgerlichkeit«. Ihr Nationalgefühl habe mit Hass, Extremismus und Antisemitismus nichts zu tun, lautet das Mantra ihrer Funktionäre. Um dies zu untermauern, sucht sie in der »erfolgreichen 1000-jährigen deutschen Geschichte«, wie der AfD-Bundestagsfraktionsvorsitzender Alexander Gauland in seiner »Vogelsschiss«-Rede formulierte, historische Ankerpunkte. 

Die Rechtskonservativen haben das Problem, dass ihnen Symbole fehlen, auf die sie sich problemlos beziehen könnten, »denn tendenziell alles, was sie an Personen, Orten und Ereignissen anbieten könnten, ist durch den Nationalsozialismus kontaminiert. Wer sich auf diese Symbole beruft, verlässt den bürgerlichen Rahmen und zeigt sich offen als Rechtsradikaler« (Münkler). Also versuchen Max Otte und seine rechten Freunde zentrale »Identitätsmarker der deutschen Demokratie«, wie das Hambacher Fest von 1832, umzudeuten. Dazu gehört auch das Propagieren von Schwarz-Rot-Gold.[4] Eigentlich müssten sie unter Schwarz-Weiß-Rot – der Flagge des Kaiserreichs und des Dritten Reichs – aufmarschieren. 

Mit einer öffentlichen Erklärung[5] gegen den Missbrauch des Hambacher Festes von 1832 haben jüngst Künstler, Gewerkschafter, Politiker und engagierte Bürger*innen aus Neustadt an der Weinstraße und der Metropolregion ein Zeichen gegen den rechtskonservativen Ökonomen Max Otte gesetzt. Mitstreiter*innen des »Regionalen Bündnisses gegen Rechts« und des »Freundeskreis Hambacherfest von 1832« lassen nichts unversucht, damit der kämpferische Ruf »Hinauf zum Schloss« nicht den Rechten überlassen bleibt. »Hambach ist nicht das Symbol der AfD, sondern Hambach ist eine demokratische Tradition, die in die politische Mitte unserer Gegenwart hineinführt«, so Andreas Rödder, Professor für Neueste Geschichte an der Universität Mainz.

Artikel von Otto König, ehemaliger 1. Bevollmächtigter der IG Metall (Hattingen) und Richard Detje, Redakteur der Zeitschrift Sozialismus (Hamburg)

Anmerkungen 

[1] In der »Erklärung 2018« stellen ehemalige Bürgerrechtler der DDR, Rechtsintellektuelle und AfD-Repräsentanten fest: »Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird. Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird«. Damit legitimieren sie u.a die Pegida-Demonstrationen. Vera Lengsfeld, eine der Erstunterzeichner*innen, wirbt auf ihrer Internetseite mit dem Zitat: »Die DDR-Bürger haben es 1989 vorgemacht! Wenn der Macht die Legitimation entzogen wird, ist sie machtlos!« Zu den Erstunterzeichnern gehört auch Max Otte.
[2] Siehe Erklärung zum dritten sogenannten »neuen Hambacher Fest« von Max Otte am 10.7.2020 auf dem Hambacher Schloss. https://hambacherfest1832.blog/
[3] »Das Hambacher Fest« und die Provokation der »Deutschlandstiftung«, in: Otto König: Band der Solidarität. Widerstand, alternative Konzepte, Perspektiven. Hamburg 2012, S. 51.
[4] Mit Schwarz-Rot-Gold okkupieren sie nämlich die Farben von Hambach 1832 und der bürgerlichen Revolution von 1848 sowie der Berliner Republik, die sie im Grunde von rechts bekämpfen.
[5] https://hambacherfest1832.blog/erklaerung2020/

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