Kurz vor dem Ziel – zurück zur paritätischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung
Die Bundesregierung setzt eine wichtige Forderung der IG Metall um: Die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Krankenkassen. Die Reform war längst überfällig. Die Arbeitgeber sollen sich nach über 13 Jahren wieder hälftig an den Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung beteiligen.
Während ihr Anteil bisher gedeckelt war, mussten die Versicherten die höheren Kosten für die Gesundheitsversorgung in diesem Zeitraum über Zusatzbeiträge alleine finanzieren.
Inzwischen wurde der Entwurf des sogenannten „Versichertenentlastungsgesetzes“ (GKVVEG), der vorsieht, dass die Beiträge ab 1.1.2019 wieder hälftig von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanziert werden, vom Bundeskabinett in Berlin auf den Weg gebracht. Doch noch ist das Gesetz nicht verabschiedet, es muss noch durch den Bundestag. „Die Parität muss kommen, ohne Wenn und Aber. Jetzt geht es um den Endspurt auf der Zielgeraden. Wir bleiben dran, bis das Gesetz verabschiedet ist – im Interesse der Versicherten“, sagten Mathias Hillbrandt und Clarissa Bader, die Ersten Bevollmächtigten der IG Metall Geschäftsstellen Witten, Wuppertal und Gevelsberg-Hattingen.
Aktuelle Rechtslage
Der allgemeine Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) von 14,6 Prozent ist gesetzlich festgelegt. Er wird von Arbeitgebern und Arbeitnehmern paritätisch (hälftig) finanziert. Seit 1. Juli 2005 gilt jedoch ein zusätzlicher Beitrag (Sonderbeitrag), den die Arbeitnehmer*innen alleine finanzieren müssen. Dieser „Zusatzbeitrag“ ist von Kasse zu Kasse unterschiedlich und liegt zwischen 0,0 und 1,7 Prozent. Jetzt soll die Parität auch für diesen Zusatzbeitrag eingeführt werden, steht im Gesetzentwurf.
Durch das Einfrieren des Arbeitgeberanteils gingen alle Kostensteigerungen im Gesundheitswesen in den vergangenen Jahren zu Lasten der Arbeitnehmer*innen. Die Rückkehr zur Parität würde nach mehr als 13 Jahren deren einseitige Belastung endlich beenden. Durch die hälftige Finanzierung ab dem 1. Januar 2019 hätte ein/e Versicherte/r mit einem Monatsbrutto von 3500 Euro, der/die bei einer Krankenkasse mit einem Zusatzbeitrag von 1,0 Prozent versichert ist, monatlich 17,50 Euro mehr im Portemonnaie. Dies ist ein Erfolg der Gewerkschaften und ihrer Mitglieder, die mit Unterschriftensammlungen im Betrieb und Diskussionen mit Gesundheitspolitikern sowie Besuchen bei Bundestagsabgeordneten im Wahlkreis dafür gekämpft haben.
Arbeitgeber laufen Sturm
Wie nicht anders zu erwarten, laufen die Arbeitgeber Sturm gegen die Rückkehr zur Parität. Von der „größten Zusatzbelastung in der deutschen Sozialgeschichte“ ist die Rede. Der Bund deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) warnt vor drohenden Arbeitsplatzverlusten. Das sei „pure Panikmache“ der Arbeitgeberlobby, so Hans-Jürgen Urban, zuständig für Sozialpolitik im Vorstand der IG Metall, schließlich sei es bis 2005 völlig normal gewesen, dass Arbeitgeber die Hälfte zahlen: „Und nun soll sich Deutschland diese soziale Errungenschaft bei einer boomenden Wirtschaft nicht leisten können?“ Von einer Überforderung der deutschen Wirtschaft können keinesfalls die Rede sein.
Mittlerweile fordert die BDA die Begrenzung des Arbeitgeberanteils auf den hälftigen Zusatzbeitrag der günstigsten wählbaren Kasse. Das beträfe nur einen kleinen Teil der Versicherten und hätte mit Parität nichts zu tun. Weiterhin verlangen die Arbeitgeber-Lobbyisten, dass die Entgeltfortzahlung bei Krankheit auf insgesamt sechs Wochen im Kalenderjahr begrenzt wird. Neu- oder Folgeerkrankungen blieben außen vor. Die Entgeltfortzahlung bei Krankheit gegenzurechnen, ist in der Sache falsch; die Parität hat mit dem Anspruch der Beschäftigten auf Entgeltfortzahlung rein gar nichts zu tun. Und mehr noch:
Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist eine der wichtigsten sozialen Leistungen und sorgt für eine wirksame Absicherung aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Krankheitsfall.
Schattenseiten des Gesetzentwurfes
Der vorliegende Gesetzentwurf hat allerdings auch Schattenseiten. So will sich Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) profilieren, indem er Versicherte noch stärker entlasten will. Die Krankenkassen sollen per Gesetz dazu gezwungen werden, ab 2020 vorhandene Reserven abzubauen und Zusatzbeiträge zu senken. Als beabsichtigter Nebeneffekt würden abgesenkte Zusatzbeiträge den Arbeitgebern die Parität erleichtern. Was sich nach einer Entlastung anhört, könnte jedoch für die Versicherten schnell zum Bumerang werden.
Der Koalitionsvertrag enthält mehrere Maßnahmen, die die Krankenversicherung finanzieren soll, zum Beispiel 13.000 zusätzliche Pflegekräfte oder Verbesserungen beim Zahnersatz. Auf die Krankenkassen kommen also schon bald weitere Kosten zu. Sind dann keine Reserven vorhanden, bleibt nur die Beiträge erneut anheben. Zudem würde der Preiswettbewerb unter den Kassen angeheizt. Denn die Kassen mit hohen Reserven sind tendenziell die, deren Zusatzbeiträge ohnehin niedrig sind. Werden diese zu weiteren Senkungen gezwungen, klaffen die Beiträge der gesetzlichen Kassen immer weiter auseinander. Manche Kassen könnten in finanzielle Schieflage geraten.
Endspurt – die IG Metall bleibt dran
Kurz vor dem Ziel heißt es, weiterhin Flagge zu zeigen und die Bundestagsabgeordneten auffordern, Wort zu halten. Die Ablenkungsmanöver der Arbeitgeber dürfen keinen Erfolg haben. Die Parität muss kommen, ohne Wenn und Aber.