Legal, illegal, asozial

Im letzten Jahr waren es die „Panama Papers“, jetzt sind es die „Paradise Papers“. Das Netzwerk investigativer Journalisten (ICIJ) – 380 Journalisten aus 90 Medien – hat unter diesem Schlagwort die Ergebnisse einer Recherche veröffentlicht, die auf 13,4 Millionen Dokumenten aus Steueroasen beruhen. Die Enthüllungen geben einen tiefen Einblick in die zwielichtige Welt der Steuerfluchtzentren, in die schmutzigen Ecken der Schattenwelt der Steuervermeidung und des Steuerbetrugs und mit welchen dreisten Praktiken die Superreichen und multinationale Konzerne sich im großen Stil ihrer Steuerpflicht entziehen.
Fast 10 Prozent des Vermögens weltweit lassen Superreiche in Steueroasen verschwinden. Nach Berechnungen des Ökonomen Gabriel Zucman haben Superreiche 7,9 Billionen Euro in Briefkastenfirmen geparkt. Experten des unabhängigen Steuerverbunds „Tax Justice Network“ gehen davon aus, dass es alleine den großen Unternehmen gelingt, pro Jahr weltweit Steuerzahlungen in Höhe von 500 Milliarden Dollar zu vermeiden. Zusätzlich sollen den Staaten rund 200 Milliarden Dollar dadurch verloren gehen, dass vermögende Privatpersonen ihr Geld vor dem Finanzamt verstecken.
Das schamlose Profitstreben der Konzerne und Reichen bekommt ein Gesicht: Konzerne wie Facebook, Uber oder Whirlpool, aber auch deutsche Konzerne wie Sixt, die Post, Siemens, Bayer und die Deutsche Bank haben mit Hilfe dubioser Finanzkonstrukte fällige Steuerzahlungen minimiert. So hat beispielsweise der Sportartikelproduzent Nike seine weltweite Steuerquote durch Hilfe der Anwaltskanzlei Appleby, gegründet in Hamilton, der Hauptstadt der Bermudas, auf nur 13,2 Prozent gedrückt. Ebay hat laut „Financial Times“ in Großbritannien für 2016 nur 1,8 Millionen Euro Steuern gezahlt, Netflix, das dort über 6,5 Millionen Abonnenten verfügt, nur 200.000 Euro. Apple – weltweiter Jahresgewinn 2016: knapp 84 Milliarden Euro – zahlte hierzulande vergangenes Jahr nur 25 Millionen Euro Steuern.
Nun befleißigen sich manche „Edelfedern“ in den Medien daraufhin zu weisen, dass die Verlagerung von Vermögen in Steuerparadiese nicht ungesetzlich, also legal und Steuervermeidungsstrategien nicht illegal sind. Doch selbst, wenn vieles in der Schattenwelt von Briefkastenfirmen scheinbar legal und nicht illegal ist, so ist es doch asozial. Denn hier bereichern sich die Reichen zusätzlich zulasten der ArbeitnehmerInnen weltweit.
Für die Soziologin Brooke Harrington gibt es für die „Superreichen eine Welt außerhalb des Rechts“. Die Reichsten würden „die Wohltaten der Gesellschaft“ genießen, ohne selbst kaum etwas dazu beizutragen. Das ist Diebstahl: Den nationalen Volkswirtschaften entgehen dadurch Milliarden an Steuern – die an anderen Stellen fehlen, etwa um Schulen und Krankenhäuser instand zu halten, Krippenplätze zu schaffen oder Straßen und Brücken zu sanieren. Die Steuern, die die Konzerne und die Reichen „vermeiden“, werden durch eine höhere Besteuerung der Haushalte mit niedrigerem Einkommen kompensiert.
Die Paradise Papers zeigen, dass weltweit „Zonen der Gesetzlosigkeit“ entstanden sind. Dass die Steuerumgehung nicht nur ein Instrument exotischer Inselstaaten wie die Caymans, Jersey, Guernsey oder die Bermudas ist, sondern, dass es mitten in Europa – mit Luxemburg, Malta, Irland, Zypern und den Niederlanden – gleich fünf Staaten gibt, die mit fragwürdigen Steuergesetzgebungen die groß angelegte Umgehung von Steuern ermöglichen. Im Übrigen: Die wohl größte Steueroase der Welt ist Delaware, ein kleiner Bundesstaat mitten im Herzen der USA.
Die „Paradise Papers“ dokumentieren auch die Kumpanei, mit der die demokratisch gewählten Regierungen der westlichen Länder der Verspottung des Gemeinwohls durch die parasitären Reichen Vorschub leisten. Denn außer ein paar markigen Sonntagsreden unternehmen diese wenig gegen den Boom in den Finanzparadiesen.
Die typische Entschuldigung für diesen Zustand gab der ausgeschiedene Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zum Besten: Man lebe nun mal „in einer globalisierten Welt“ und da sei es schwer, dem Steuerfluchtwesen zu begegnen. Kaum hätten er und seine Minister-Kollegen „der Hydra einen Kopf abgeschlagen“, würden „zwei neue wachsen“. Dabei verschwieg er geflissentlich, dass er entgegen der Empfehlungen der Beamten aus seinem Ministerium z.B. auf ein öffentliches Register der Inhaber von Briefkastenfirmen verzichtet hat.
Gäbe es wirklich einen ernsthalten politischen Willen, dann ließe sich das „parasitäre Geschäft“ von heute auf morgen beenden. Die Parlamente in der EU und in den USA müssten beschließen, dass Banken, die Geschäfte mit Firmen auf der Isle of Man, den Kaiman-Inseln und anderen steuerfreien Zwergstaaten betreiben wollen, kein Konto mehr bei der Europäischen Zentralbank (EZB) oder der US-amerikanischen Nationalbank Federal Reserve bekommen, folglich also nicht mehr in Euro oder Dollar handeln könnten. „Sofort müssten alle internationalen Banken dieses Geschäft einstellen, und der Spuk wäre vorbei“ schreibt Harald Schumann im Tagesspiegel. (07.11.2017)