Lernen aus der Krise!

Memorandum 2021: Alternativen zur Wirtschaftspolitik
Die Corona-Krise überlagert und verschärft Trends in der sozialen und ökonomischen Entwicklung, die zu Mehrfachkrisen in Deutschland geführt haben. Kennzeichen sind prekäre Arbeit, Niedriglöhne, Armut und vor allem eine unzureichende Bekämpfung der Klimakrise. Die Bilanz der Politik der 16-jährigen Merkel-Regierung ist verheerend: Die Massenarbeitslosigkeit wurde nicht beseitigt. Im Zuge der Corona-Krise haben im vergangenen Jahr mehr als eine Million Menschen ihre Arbeit verloren, davon waren über die Hälfte Minijobber*innen. Die Verteilung von Einkommen und Vermögen zugunsten der Besserverdienenden und Reichen in Deutschland hat weiter zugenommen.
Im „Memorandum 2021“ unter dem Titel „Corona – Lernen aus der Krise! Alternativen zur Wirtschaftspolitik“ fordert die „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“ (AAW) u.a. eine Vermögensabgabe zur Bewältigung der Pandemiefolgen. Die Ökonom*innen wollen damit verhindern, dass die Coronakrise zu einer weiteren Umverteilung von unten nach oben führt.
Die Staatsverschuldung wird bis 2023 voraussichtlich bis auf 420 Milliarden Euro steigen. „Die Staatsverschuldung ist für Deutschland durchaus zu stemmen“, erklärte die Bremer Wirtschaftsprofessorin Mechthild Schrooten. Die Schulden dürften aber nicht „von unten“ finanziert werden. Aus diesem Grund müsse die Vermögensteuer aktiviert und die Erbschaftsteuer erhöht werden. Bei der Vermögensabgabe lehnen sich die Wissenschaftler*innen an den Vorschlag des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) an, der eine einmalige, über 20 Jahre gestreckte Abgabe für Vermögen ab 2 Millionen Euro vorsieht. Die Abgabe ist gestaffelt zwischen 10 Prozent und 30 Prozent ab 100 Millionen Euro. „Das würde Einnahmen zwischen 310 und 320 Milliarden Euro bringen“, sagte Axel Trost.
Da die große Mehrheit der Wirtschaftswissenschaftler*innen sowie die „Edelfedern“ in den Redaktionsstuben ein eher konservatives Gesellschaftsbild besitzen und folglich an dem Hindernis „Schuldenbreme“ im Grundgesetz festhalten wollen, ist zu begrüßen, dass die Autor*innen des „Memorandums“ eine entgegengesetzte Position einnehmen. Zugespitzt wird im Text formuliert, dass die Bundesrepublik Deutschland selbst unter Krisenbedingungen kein Schuldenproblem hat, sehr wohl aber ein Problem mit der Schuldenbremse. Dies beweist insbesondere der Anteil der Zinszahlungen des Staates an den Steuereinnahmen, die sogenannte Zins-Steuer-Quote. Während diese 1992 noch bei 14 Prozent lag, betrug sie 2020 nur drei Prozent. Da das Zinsniveau weiter niedrig sein wird, ist die Tragfähigkeit einer höheren Staatsverschuldung ohne Einschränkungen gegeben.
Darüber hinaus warnen die alternativen Wirtschaftswissenschaftler*innen, die einen Rückfall in die Marktgläubigkeit befürchten, davor, dass „der Markt alles richten werde“. Tatsächlich habe die Krise Trends verschärft, die zu „Mehrfachkrisen in Deutschland“ geführt hätten. In der aktuellen Corona-Krise habe der Staat an vielen Stellen eingegriffen, was „gut und richtig“ sei, so Heinz-J. Bontrup. Denn ein starker Staat sei grundsätzlich nötig, um die Fehler des Marktes nachhaltig zu korrigieren. Der Wittener Professor befürchtet jedoch, dass die Politik wie nach der Finanzkrise 2009 die Lehren aus der Krise schnell wieder vergessen werde.
Vergleicht man die im „Memorandum“ aufgezeigten Wege und Alternativen zur gegenwärtigen Wirtschaftspolitik, wird schnell klar, dass die herrschende Politik in ihrer jetzigen Verfasstheit den vor ihr stehenden Herausforderungen nicht gewachsen ist. So werde der Staat seit mehr als zwei Jahrzehnten „unterfinanziert, diagnostizieren die Wissenschaftler*innen. Die Folge seien große Defizite in vielen Bereichen. Auch die privaten Unternehmens-Investitionen hinken seit Langem dem gesellschaftlichen Bedarf hinterher.
Es geht um eine fundamentale sozialökologische Wende
Es gehe nicht nur um eine kurzfristige konjunkturelle Pandemiebekämpfung. Es gehe vielmehr um eine fundamentale sozialökologische Wende in Deutschland. Von daher fordern die Memo-Autor*innen ein langfristig angelegtes Investitionsprogramms in Höhe von 120 Milliarden Euro jährlich über mindestens 10 Jahre für eine sozial-ökologische Transformation. „Die Dekarbonisierung und Digitalisierung der Industrie sind hier wichtige Stichworte“ betont Heinz-J. Bontrup. In diesen Prozess müssen die Beschäftigten stärker einbezogen werden, zugleich muss er vom Staat aktiv begleitet werden. In diesem Zusammenhang hat die AAW ein umfassendes Konzept zur Verkehrswende vorgelegt: Gefordert werden eine Vollbremsung bei „PS-starken“ Fahrzeugen, wie den umstrittenen SUVs, sowie Preiserhöhungen für Benzin und Diesel. Da der Pkw auf dem Land jedoch alternativlos ist, müssten Preiserhöhungen sozial abgefedert werden. Und der ÖPNV soll massiv ausgebaut werden.
Im mittlerweile 45. Memorandum (1) ist ein weiterer Schwerpunkt eine finanziell gesicherte und armutsfeste Reform der gesetzlichen Rentenversicherung. Im Widerspruch zu den Vorschlägen, die auf die private Kapitalvorsorge setzen, fordern die Autor*innen den Ausbau des Generationenvertrags auf der Basis einer Umlagefinanzierung. Denn auch in der Altersvorsorge habe der Markt schlichtweg versagt. Es seien weitere Anstrengungen zur Finanzierung notwendig, die ohne kräftige Umverteilungen zugunsten der Beschäftigten nicht umsetzbar sind.
Die Verfasser*innen des „Memorandums“ lassen keinen Zweifel daran, dass die Pandemie derzeit nur ein Problem unter vielen ist und dass sich in der Folge ihrer Bewältigung unsere Gesellschaft nachhaltig verändern wird. Eine radikale, an den Wurzeln der Fehlentwicklungen ansetzende staatliche Zukunftspolitik müsse sich, so die Wissenschaftler*innen auf Eingriffe konzentrieren in die stark „vermachteten“ Marktstrukturen, auf die Abschaffung der Schuldenbremse sowie eine gerechte Steuerpolitik, zu der neben der Vermögensteuer, eine Reform der Einkommens- und Unternehmensbesteuerung sowie eine unnachgiebige Bekämpfung von Steuerkriminalität gehört.
Nicht zuletzt sei endlich eine Wirtschaftspolitik notwendig, die für Vollbeschäftigung sorgt. Ohne eine vollbeschäftigte Wirtschaft würden sich die vielfältigen Verteilungsprobleme und das bestehende Prekariat nicht auflösen lassen, zumal die längst chronisch gewordene Massenarbeitslosigkeit der Gesellschaft hohe Kosten aufbürde.
(1)Das „Memorandum“ erscheint seit Mitte der 1970er Jahre regelmäßig im Frühjahr als der aufklärerische Gegenentwurf der sogenannten „fünf Wirtschaftsweisen“. Es beinhaltet sowohl eine wissenschaftlich fundierte Kritik der Auffassungen des Sachverständigenrates als auch Alternativen zu den geäußerten wirtschaftspolitischen Vorschlägen.
Eine Kurzfassung des Memorandums 2021 ist auf www.alternative-wirtschaftspolitik.de zu finden.