„Meister des Todes 2“ – „Ein schmutziger Deal“

Die HSW- „Familie“ aus dem schwäbischen Hochdorf hat sich in der fiktiven Waffenfabrik zu einer kleinen Feier versammelt. Anlass ist der 60 Geburtstag des örtlichen Bundestagsabgeordneten Klaus Wagner (Heinz Hoenig), der verspricht, auch dann „zu euch“ zu stehen, „wenn aus Stuttgart dunkle Wolken aufziehen“. HSW-Geschäftsführer Heinz Zöblin (Axel Milberg) bedankt sich mit einer Spende für eine Schule für körperlich und geistig eingeschränkte Kinder. Manager und Politiker inszenieren sich als befreundete Wohltäter, die „Familie“ im Saal spendet brav Beifall. Mit „dunklen Wolken“ ist der Prozess vor dem Landgericht Stuttgart gemeint, vor dem vier Mitarbeiter der Rüstungsfirma angeklagt sind, weil sie Sturmgewehre illegal nach Mexiko verkauft haben.
Tatsächlich mussten sich seit dem 15. Mai 2018 zwei ehemalige Geschäftsführer, zwei Ex-Vertriebsleiter und eine frühere Sachbearbeiterin der Oberndorfer Rüstungsschmiede Heckler & Koch vor der 13. Großen Wirtschaftsstrafkammer in der baden-württembergischen Landeshauptstadt verantworten. Gegen vier der Angeklagten lautete der Vorwurf auf Verbrechen „eines gewerbs- und bandenmäßigen Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz sowie des vorsätzlichen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz in besonders schweren Fällen“. Da es in Deutschland kein entsprechendes Unternehmens-Strafrecht gibt, sind in diesem Prozess nur einzelne ehemalige Beschäftigte von H&K und nicht die Firma selbst angeklagt. Das Unternehmen ist dennoch am Verfahren beteiligt, weil ihr im Falle einer Verurteilung eine Geldbuße droht.
Im ersten Film „Meister des Todes“ erzählte Autor und Regisseur Daniel Harrich die brisante Whistleblower-Geschichte um Waffenexporte der fiktiven Firma HSW in nicht genehmigungs-fähige Provinzen in Mexiko, die sich auf reale Ereignisse und Geschäfte der Waffenschmiede Heckler & Koch im schwäbischen Oberndorf, gelegen zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb, bezogen hat. Die Wirklichkeit hat die Geschichte weitergeschrieben: Daniel Harrich und sein Drehbuch-Autor Gert Heidenreich zeigen im zweiten Teil „Meister des Todes 2“ wie sich die Manager von HSW vor Gericht bemühen, die Verantwortung den angeklagten Beschäftigten zuzuschieben, während diese die Verantwortung an die Behörden in Mexiko weiter delegieren.
Während ihre Gegenspieler*innen, die Menschenrechtsanwältin Christiane Schuhmann (Katharina Wackernagel) und die Witwe eines ehemaligen HSW-Managers, Sabine Stengele (Veronica Ferres), in Mexiko nach Beweisen suchen. Denn könnte nachgewiesen werden, dass das Massaker an 43 Lehramtsstudenten des Lehrerseminars „Raúl Isidro Burgos“ in Ayotzinapa im Bundesstaat Guerrero mit deutschen Sturmgewehren begangen wurde, könnte das den Prozess beeinflussen.
Im Mittelpunkt des Stuttgarter Prozesses im Jahr 2018 standen die Lieferungen von 10.077 Heckler & Koch G36-Sturmgewehre in den Jahren 2006 – 2009 nach Mexiko u.a. in die die mexikanischen Bundesstaaten Chihuahua, Guerrero, Jalisco und Chiapas geliefert, obwohl ein dortiger Endverbleib von der Bundesregierung in den Export-Genehmigungsverfahren nicht akzeptiert worden ist, da in diesen Regionen die Menschenrechte offensichtlich nicht sichergestellt waren.
Die blutigen Konsequenzen dieses „Mords“-Geschäfts zeigten sich Ende September 2014 als ein Bus mit Lehramtsstudenten in der Stadt Iguala im Bundesstaat Guerrero von der Polizei angegriffen wurde. (1) Sechs von ihnen wurden erschossen, 40 weitere verletzt und weitere 43 Studenten gelten – nachdem die Polizei sie an eine kriminelle Organisation übergeben hatte – bis heute als vermisst. Bei diesem Angriff sind H&K-Sturmgewehre G36 (2) zum Einsatz gekommen. Über vier Jahre später wurde unter dem neuen mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador (AMLO) endlich die Einrichtung einer Sonderstaatsanwaltschaft in der mexikanischen Stadt Ayotzinapa vereinbart.
Im Film schleichen sich Miguel Hernández (Krystian Ferrer) und sein jüngerer Bruder Angel (Juan Rámon López) in die Kirche, in der gerade der Sohn des Gouverneurs heiratet, und protestieren lautstark gegen die Korruption im Land. Draußen werden sie von ihren Mitstreitern begeistert gefeiert. In bester Stimmung fährt die Gruppe in einem Reisebus heim – bis sie von der Polizei gestoppt wird. Als einige der jungen Demonstranten, darunter auch der furchtlose Angel, den Bus verlassen und mit erhobenen Händen auf die Polizei zugehen, eröffnen die Sicherheitskräfte das Feuer. Miguel flieht, überwältigt in einem Kakteenfeld einen Polizisten und schnappt sich dessen Gewehr. Die Familie findet Angel schließlich in einem Krankenhaus, er hat schwere Kopfverletzungen erlitten und liegt im Koma.
„Menschenrechtsanwälte, wie beispielsweise die Anwälte der mexikanischen Organisation Pro Derechos Humanos, dem European Center of Constitutional and Human Rights (ECCHR) in Berlin spielen bei der Aufarbeitung dieser Verbrechen eine zentrale Rolle“, so Filmemacher Harrich. Menschenrechtsanwält*innen, Journalisten vor Ort und Aktivisten von Nichtregierungsorganisationen kämpfen für die Rechte der Opfer und für mehr Transparenz bei den umstrittenen Rüstungsexporten, ein gefährliches Engagement.
Im Film nimmt die Menschenrechtsanwältin Christiane Schuhmann als Beobachterin am Prozess in Stuttgart teil. Sie will die wahre Dimension der illegalen Waffenexporte nach Mexiko ans Licht bringen und die Angehörigen der ermordeten Studenten in einer Nebenklage vor Gericht vertreten. Doch die Richterin lässt die Nebenklage nicht zu und wehrt alle politischen Implikationen ab.
Das Drehbuch des Films von Harrich und Heidenreich lehnt sich bei der Darstellung des Prozesses am Landgericht eng an die Wirklichkeit an. Die Verhandlung und das Urteil werden in der fiktionalen Variante des Films zwar zugespitzt, aber viele Details stimmen mit der Wirklichkeit überein: Beispielsweise, dass sich der Handelsvertreter aus Mexiko krank meldete, oder dass der Prozess „kein Tribunal über Waffenexporte und Rüstungsindustrie“ werden soll, wie es der Vorsitzende Richter Maurer der 13. Großen Wirtschaftsstrafkammer in Stuttgart betonte.
Sie transportieren die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse über den wirklichen Nutzen von „Endverbleibserklärungen“ für Waffen, dass dieser vielbeschworene Kontrollmechanismus ein Papiertiger ist, und es endlich an der Zeit ist sich von dem Narrativ zu verabschieden, das da lautet: „Nirgendwo auf der Welt werden Waffenexporte besser kontrolliert als in Deutschland“. So grenzt es an Zynismus, wenn der Zeuge aus dem zuständigen Bundes-wirtschaftsministerium am siebten Prozesstag gegenüber den Richtern forsch formulierte: „Fort ist fort. Wenn es erst mal über die deutsche Grenze ist, sind unsere Möglichkeiten eingeschränkt, nahezu nicht vorhanden.“
Im Februar 2019 werden die beiden Geschäftsführer und ein früherer Vertriebsleiter von Heckler & Koch freigesprochen. Ein Ex-Vertriebsleiter und die frühere Sachbearbeiterin werden zu Bewährungsstrafen, das Unternehmen zu einem Bußgeld von 3,7 Millionen Euro verurteilt. Die Verurteilten und die Staatsanwaltschaft sowie das Unternehmen legten Revision ein, so dass der Fall vor den Bundesgerichtshof erneut verhandelt wird.
Wie im ersten Film „Meister des Todes“ gelingt es dem Team um den Grimme-Preisträger Harrich, die Mechanismen hinter den deutschen Waffenexporten offen zu legen und zugleich eine packende Story zu erzählen. Aus der Mischung von wirtschaftlichen und politischen Interessen, der Rolle der Justiz ist ein Gerichtsdrama und ein emotional investigativer Thriller entstanden.
Mittwoch, 1. April 2020, 20:15 Uhr, im ARD-Fernsehen: Spielfilm „Meister des Todes 2“
Im Anschluss um 21.45 Uhr: Dokumentation „Tödliche Exporte – Rüstungsmanager vor Gericht“
Die Dokumentation „Tödliche Exporte – Rüstungsmanager vor Gericht“ analysiert die Rolle der deutschen Waffenexport-Kontrolleure und fragt danach, was seit der ersten Doku von 2015 aus dem Geschäftsmodell der deutschen Rüstungsfirmen wurde. Die Macher beleuchten, was im Hintergrund des Strafprozesses stattgefunden hat und gehen der Frage nach, ob der Prozess am Landgericht Stuttgart ein falsches Signal gesetzt hat. Sie fragen auch, ob es ein System gibt, das es möglich macht, dass Kriegswaffen eben doch in Krisengebiete gelangen, obwohl keine Ausfuhrgenehmigungen erteilt wurden und warum Verantwortliche nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Mit dem Themenabend „Waffenhandel“ in der ARD wollen sie einen politisch-gesellschaftlichen Denkanstoß initiieren.
Artikel von Otto König, ehemaliger 1. Bevollmächtigter der IG Metall (Hattingen) und Richard Detje, Redakteur der Zeitschrift Sozialismus (Hamburg)
Anmerkungen:
(1) Siehe auch: Otto König / Richard Detje: Die Verschwundenen von Ayotzinapa/Mexiko »Wir wollen sie lebend zurück«, SozialismusAktuell.de 24.11.2014
(2) „Das G36 ist perfekt geeignet für infanteristische Aufgaben im abgesessenen Kampf. Optimal in der Handhabung, im Gewicht und der Feuerdichte im Nahkampf«, bewirbt der schwäbische Rüstungsproduzent euphorisch sein profitables Produkt das nach der Kalaschnikow (AK-47) zu den am meisten verbreiteten Kleinwaffen der Welt gehört.